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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2018 Form und Struktur

WELT.WEIT

Die Perle an der Seine

Die Hülle aus Holz und Glas für das Auditorium des Musikzentrums Seine Musicale in Paris wurde komplett digital vorgefertigt. Die Basis dafür bilden die 3D-Modelle von Design-to-Production aus der Schweiz.

Text Fabian Scheurer | Fotos Jean-Luc Dolmaire, Laurent Blossier

La Seine Musicale ist das Flaggschiff des Stadterneuerungsprojekts auf der Seine-Insel Île Seguin. Das Pariser Kulturzentrum beherbergt eine Reihe von Konzert- und Probesälen. Kernstück des Projekts ist ein Auditorium mit 1100 Plätzen, das vom mittlerweile ikonischen Sechseckmuster des japanischen Architekten Shigeru Ban umschlossen wird. Die fast 30 Meter hohe Glasfassade sitzt auf einer Holzstruktur, deren doppelt gekrümmte Holzträger sich an den Knotenpunkten gegenseitig durchdringen. Ein Segel aus Photovoltaikmodulen wandert mit der Sonne, tankt solare Energie und schützt im Inneren vor der direkten Sonneneinstrahlung.

Das Zürcher Planungsbüro Design-to-Production, kurz D2P, erhielt Mitte 2014 vom ausführenden Unternehmen Hess Timber den Auftrag für die Ausführungsplanung. Die Aufgabe lautete, die gesamte Fassadenstruktur digital zu modellieren und eine aktive Rolle bei der Konzeption der komplexen Montagesequenz zu übernehmen. Gesagt, getan: Das Planungsbüro D2P entwickelte ein vollumfassendes 3D-Modell, das jedes Detail der Konstruktion berücksichtige. Es entstand ein digitaler Zwilling für die Holzperle an der Seine. Das parametrische 3D-CAD-Modell war die Basis für die Produktion. Denn daraus wurden automatisch die Fertigungsdaten für die Verleimung und den Abbund der genau 1296 Trägersegmente sowie die Volumenmodelle aller 3342 Fassadenrahmen abgeleitet. Abschliessend wurde daraus ein vollständiger Satz von Werkstatt- und Montageplänen erstellt.

 

 

Präzise gekrümmte Rohlinge

Normalerweise ist bei Brettschichtholz eine gewisse Abweichung zwischen der Faserrichtung des Holzes und der Geometrie des Fertigteils unproblematisch. Für die Seine Musicale war der Anspruch allerdings, die Fasern exakt der Fertigteilgeometrie folgen zu lassen. Das Ziel war, sichtbar angefräste Klebefugen vollständig zu vermeiden und somit ein absolut störungsfreies Erscheinungsbild zu erlangen. Daher mussten die Rohlinge in einem mehrstufigen Prozess auf die Bauteilgeometrie angepasst werden. Sie wurden aus Stäbchenlamellen mit einem Querschnitt von nur 32?×?40 Millimetern verleimt. Drei Verleimungsmethoden standen zur Auswahl – abhängig von der Krümmung und Länge jedes einzelnen Bauteils. Jede erforderte ein eigenes Set an Fertigungsdaten: angefangen bei den detaillierten Zeichnungen über Tabellen bis hin zu maschinenlesbaren Einstellungsdateien. Jeder der 2798 Kreuzungspunkte im Gebäude ist einzigartig. Das liegt an der Freiformgeometrie.

Um den Anspruch an Individualität und Massgenauigkeit zu bewältigen, parametrisierte Design-to-Production alle Details: Die Daten wurden in regelbasierter Form angelegt und abhängig von statischen und konstruktiven Anforderungen in acht Familien mit insgesamt 120 Unterkategorien eingeteilt. Mit den Statikern definierte D2P eine tabellenbasierte Schnittstelle, die es erlaubte, das geometrische und das statische Modell synchron zu halten und so sicherzustellen, dass an allen Punkten die korrekten Detailtypen verwendet wurden.

 


Vorprogrammierte Montage

Das Holzbauunternehmen montierte die diagonalen Träger zu x-förmigen Elementen vor und platzierte sie reihenweise. Anschliessend wurden die bis zu 24 Meter langen Ringsegmente eingefahren. Dieses Konzept stellte zu jeder Zeit eine selbsttragende Struktur sicher, die nur punktuell unterstützt werden musste – eine Massnahme gegen Verformungen im Montagezustand. Um das Einfahren der langen Ringsegmente zu ermöglichen, mussten die Flanken der Ausschnitte an den Kreuzungspunkten individuell abgeschrägt werden. Hierzu wurde die exakte Einfahrrichtung aller Segmente vorab festgelegt. Die Bewegung wurde als Eindrehen um ein Ende jedes Segments definiert, um die Kreuzungspunkte nacheinander statt gleichzeitig einfahren zu können und um die Winkel der Abschrägungen möglichst klein zu halten.

Nach einer knapp dreijährigen Planungs- und Bauphase feierte La Seine Musicale auf der einstigen Fabrikinsel von Paris im April 2017 Eröffnung – mit einem Konzert von Bob Dylan. Einer seiner Hits ist «Watching the River Flow» (1971). Für schweifende Blicke auf die Seine ist die Perle aus Holz und Glas der perfekte Ort. designtoproduction.com, laseinemusicale.com

Die Zahlen

73 909 CNC-Bohrungen
3342 Teile Fassaden-UK
2789 Verbindungen (8 Typen, 120 Varianten)
1296 Brettschichtholz-Teile
900 m3 Fichte / Buche-BSH


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Konzerthalle La Seine Musicale
Standort: Paris (FR)
Fertigstellung: 2017
Bauherrschaft: Bouygues Bâtiment IDF
Architektur: Shigeru Ban, Paris; Jean de Gastines, Paris
Holzbauingenieur: SJB Kempter Fitze, Eschenbach (DE)
Holzbau: Hess Timber, Kleinheubach (CH)
Digitale Planung: Design-to-Production, Zürich

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