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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2018 Facettenreich

Wohn.kultur

Vom Leben in Balance

Volle Züge, Stau, Pendlerstress – davon ist im Alltag der Brüder Roland und Martin Oberholzer nichts zu spüren. Ihr Arbeitsweg führt sie von der Haustür über den Hof direkt zum eigenen Betrieb. Leben, Familie und Arbeiten sind hier im Einklang. Ihre beiden neuen Einfamilienhäuser zeigen, dass Holz mehr als nur ein Werkstoff ist. Holz trägt Erinnerungen – an Schönes und Vergängliches.

Text Sandra Depner | Fotos Tom Zünd

Jeder fängt mal gross an. Zumindest jeder, der es wie Roland Oberholzer macht: «Ich wollte etwas Grosses bauen», sagt der Zimmermeister. Er und seine kleine Tochter sitzen vor dem Nieselregen geschützt unter dem Vordach seines Lehrabschlussmodells: ein Gartenhäuschen, das er 1997 auf dem Grundstück seiner Eltern baute. Im Massstab eins zu eins realisierte er hier ein Lehrstück der Handwerkskunst: hier ein Andreaskreuz, da eine Verbindung namens «Wilder Mann», Türen und Satteldach mit Kreuzfirst und Turmdach. «Alles in allem waren das rund 2000 Stunden Arbeit», schätzt Roland Oberholzer. In Eigenregie regelte er damlas als 20-Jähriger die Baueingabe, die Werkzeichnung machte er von Hand, er erteilte der Sägerei den Auftrag für das Massivholz und baute los. Das Häuschen platzierte er auf dem weitläufigen Grundstück am Ortsrand Eschenbachs im Diemberg neben dem Elternhaus, in der Sichtachse zur Produktionshalle der familieneigenen Zimmerei.

Zurück in die Gegenwart. Roland Oberholzer nippt an seinem Kaffee, ein entspannter Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Hätte er sich damals schon denken können, was er heute auf dem Grundstück vor sich sehen würde? Mittlerweile hat sich die Vorstellung des Zimmermeisters, was es heisst «Grosses» zu bauen, gewandelt. Das Gartenhäuschen im Rücken, lässt er den Blick schweifen über das Grundstück, das Arbeiten und sein Familienleben in Einklang bringt.


Zwei Brüder, zwei Neubauten, ein Idyll

Seit Roland Oberholzer als 20-Jähriger hier das erste Mal baute, hat sich einiges verändert. Wo einst das Elternhaus war, steht seit 2017 das Haus 5B: das neue Zuhause seines Bruders Martin Oberholzer und dessen Familie. Blickt er nach links, so sieht er sein Eigenheim: Haus 5C, das er sich mit seinen zwei Kindern und Frau Diana teilt. Zwischen den Häusern auf grüner Wiese sorgen Details für eine idyllische Atmosphäre: hier ein Gemüsegarten, da eine Feuerstelle, ein Spielplatz und das an eine andere Stelle versetze Gartenhäuschen, das der Nachwuchs der Brüder als Spielhaus in Beschlag genommen hat.

Das Idyll und die Ruhe stört auch nicht die Nachbarschaft. Schliesslich gibt es nur einen einzigen Nachbarn. Das ist der eigene Betrieb, in dem die Familientradition weiterlebt. Die Geschichte der Holzbau Oberholzer liest sich wie die eines modernen IT-Start-ups: Vater Gottlieb Oberholzer startete die Einzelfirma 1970 in der Garage eines Wohnhauses. Er kaufte anfangs nur die nötigsten stationären Maschinen. 1974 entstand die Werkhalle, die er 1999 erweiterte. Zwei seiner drei Söhne – Marcel und Roland Oberholzer – beteiligten sich am Unternehmen und wandelten die Einzelfirma Gottlieb Oberholzer in die Holzbau Oberholzer GmbH. Seitdem wurde mit einem Bürogebäude und in der Produktion erweitert. 2007 übergab der Vater die Firma und die Leitung an die beiden Söhne. Sohn Martin Oberholzer packt im Familienbetrieb als Vorarbeiter und Webmaster an. Das Dreiergespann lebt das Holzhandwerk im knapp 35 Mann starken Betrieb weiter. Zu den Leistungen gehören Holzsystembauten, landwirtschaftliche Bauten, Umbau, Sanierung, Innenausbau, Treppenbau und Ingenieurholzbau.


Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit

Bei den neuen Einfamilienhäusern agierte Roland Oberholzer als Projektleiter und Koordinator. Er hatte die Kosten im Blick und erteilte die Aufträge für sämtliche am Bau tätigen Gewerke. Sein Bruder Martin Oberholzer nahm bei den Eigenheimen die Ausführung vor Ort in seine Verantwortung. Die Brüder arbeiteten als Team zusammen – zuerst bei Haus 5C, dann bei Haus 5B. Für die Tragwerke der zweigeschossigen Häuser in Ständerbauweise kamen rund 53 Kubikmeter Holz zum Einsatz. Die Versorgung mit Wärme erfolgt über die Holzschnitzelheizung des angrenzenden Holzbaubetriebs. Die Neubauten sind miteinander verbunden: Das Haus 5B zapft direkt an der Fernheizung im Betrieb und speist über eine Leitung Haus 5C. Die Stromgewinnung erfolgt durch eine Photovoltaikanlage. Eine kontrollierte Lüftung sorgt für das entsprechende Innenraumklima. «Es handelt sich bei den beiden Wohnhäusern um einen nicht zertifizierten Minergie-A-Standard», erläutert Bauherr und Koordinator Roland Oberholzer.

Zeit in der Produktion und in der Montage sparte Roland Oberholzer beispielsweise dadurch, dass sich das Satteldach aus wenigen, dafür aber grossen Elementen zusammensetzt. Die sechs vorproduzierten Dachelemente wären viel zu gross für einen Transport über das normale Verkehrsnetz gewesen. Jedoch sieht dies anders aus, wenn der Transport nur quer über den eigenen Hof erfolgen muss. Ohne viel Bürokratie und Sonderbewilligungen wurden die Elemente schnell und unkompliziert auf den Pritschenwagen gehievt und für die Montage die paar Meter direkt zum Bauplatz gefahren.


Zuerst widmeten sich die Brüder dem Haus 5C für Roland Oberholzer: Es handelt sich um einen zweigeschossigen Neubau. 2012 startete die Bauplanung. Projektierung und Baueingabe erfolgte über das Büro von Merkli Degen Architekten aus Zürich. Die Vorfertigung im eigenen Betrieb dauerte etwa vier Wochen und an nur zwei Tagen wurde montiert. Der detaillierte und mit viel Bedacht geplante Ausbau aus eigener Hand nahm hingegen rund fünf Monate in Anspruch. Die junge Familie bezog Mai 2016 ihr neues Zuhause.

 

Belasteter Altbau durchkreuzt Pläne

Dann ging es an das Haus 5B für Martin Oberholzer, ein Ersatzneubau, der durch seine offene und helle Galerie besticht. Im Sommer 2016 stand der Abbruch des Elternhauses an. Das Unterfangen stellte sich zäher heraus als erwartet: Der Altbau aus den 1970er-Jahren war ein eingeschossiger Holzriegelbau mit massivem Untergeschoss – versetzt mit Eternit und Asbest. Deshalb kam es für die Brüder nicht in Frage, den Bestand umzubauen, und sie entschieden sich für einen vorsichtigen Rückbau der Substanz. Erhalten blieb schliesslich das Untergeschoss – und auch noch das ein oder andere Holz, dem durch den Einsatz im Haus 5B ein neuer Sinn verliehen wurde. Nach dem Abbruch ging es dann Schlag auf Schlag voran. Planung und Ausführung erfolgten in einem ähnlichen Zeitplan wie beim Haus 5C.

 

Bauherr hat die Qual der Wahl

Roland Oberholzer sah sich bei der Verwirklichung seines Eigenheims mit ganz besonderen Herausforderungen konfrontiert, die wohl jeder Bauherr kennt, der in der Baubranche arbeitet: «Was will ich? Wie soll ich das bauen? Welches Holz nehme ich?» Fragen über Fragen, die aufkommen, wenn man das Handwerk so gut kennt und schon so viel gebaut und gesehen hat. Während die Produktion und die Aufrichte der zwei Einfamilienhäuser zügig voranschritten, liessen sich die Bauherren vergleichsweise viel Zeit beim Innenausbau. Dass die Brüder vernarrt sind in das Material, mit dem sie tagtäglich arbeiten, zeigen die vielen Details. Neun Holzarten finden sich in den Bauten – die sind ihrem Einsatz entsprechend oder der Vorgeschichte geschuldet unterschiedlich behandelt, was ihnen eine einzigartige Optik verleiht. So findet sich Fichte an der Decke und an der Fassade. Am Boden fügen sich drei Meter lange Planken von rustikaler, geräucherter Eiche zu einem edlen Parkett. Ein Fachwerkträger verleiht dem offenen Grundriss im Wohnbereich Struktur. Das Altholz aus einem ehemaligen Scheunenboden kommt im Büro und in der Sauna zum Einsatz. Die Treppe ist aus Weisstanne und Eiche gefertigt. Hier ist sonnenverbranntes Altholz, da gedämpftes Nussbaumholz, dort auffälliges Retrowood. Und die Liste liesse sich so weiterführen. Das zeigt den Facettenreichtum von Holz als Werkstoff, der auf sehr sorgsame Weise im Innenausbau und bei den Möbeln zum Vorschein kommt.

 

Der Baum vor dem Haus

Arbeiten für den Holzbau, Wohnen im Holzbau – bei den Brüdern Oberholzer spielt Holz eine zentrale Rolle im Leben. Und so kommt es, dass Holz nicht nur ein funktionaler Werkstoff ist, sondern auch ein emotionales Erinnerungsstück wird. Die Brüder verbinden damit Erlebnisse, Familie und Vergangenheit. Wie zum Beispiel beim Konstruktionsholz, das aus dem eigenen Wald aus Appenzell stammt. Bauherr Martin Oberholzer hat sich mit der kanadischen Timberframe-Bauweise ein Andenken an sein Arbeitsjahr in Kanada realisiert. Oder die Schweizer Eiche, die der mittlerweile verstorbene Vater in den 1990er Jahren an einer Holzversteigerung errang und heute bei der Treppe verbaut ist. Aus dem Nachlass des Vaters stammen auch die Klotzbretter, die nach der Verarbeitung zum Eschenträger die Deckenlast tragen.

Und da ist noch die Atlaszeder. Roland Oberholzer trinkt den letzten Schluck aus der Kaffeetasse, sein Blick bleibt zwischen den beiden Einfamilienhäusern hängen. «Hier stand der Baum meines Vaters», erzählt er. «Er ist mit mir gewachsen.» Als Roland Oberholzer 1997 sein Gartenhäuschen aufstellte, dominierte die Atlaszeder durch ihre schiere Grösse die umliegende Grünfläche. Im Rahmen der Baumassnahmen musste sie den Neubauten weichen. Die Brüder fällten sie im November 2014 und gaben ihr einen neuen Sinn: Der bearbeitete Stamm ziert heute die Stube von Roland Oberholzers Eigenheim und trägt die Lasten des Eschenträgers. Die andere Hälfte der Zedernsäule markiert den Eingang zu Martin Oberholzers Einfamilienhaus. holzbau-oberholzer.ch, merklidegen.ch

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Einfamilienhäuser 5B und 5C
Standort: Eschenbach (SG)
Baujahr: 5C 2015/2016; 5B 2016/2017, Bestand (UG) von 1970
Bauherrschaft: 5C Roland und Diana Oberholzer; 5B Martin und Petra Oberholzer
Architektur: Merkli Degen Architekten ETH SIA, Zürich
Projektleitung: Roland Oberholzer
Holzbau: Holzbau Oberholzer GmbH, Eschenbach (SG)
Gebäudevolumen (SIA 416): 5C 1500 m3; 5B 1065 m3, Bestand 490 m3
Geschossflächen (SIA 416): 5C 347 m2; 5B 350 m2

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