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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2014 Freiräume

Wohn.kultur

Garten-Stadt-Siedlung

Sie sind rar geworden: bezahlbare Wohnungen, zumindest in Zürich und Umgebung. Die moderne Genossen­schaftssiedlung Grünmatt am Friesenberg in Zürich bildet eine Ausnahme. Die Überbauung steht aber nicht nur für günstiges, sondern auch für urbanes, verdichtetes Wohnen. Ein Augenschein.

Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung in Zürich und Umgebung verläuft selten stressfrei.  3500 Franken für 3-Zimmer-Wohnungen oder 4500 Franken für 4 Zimmer sind keine Seltenheit. Ist dann doch einmal eine Wohnung für weniger im Angebot, bilden sich Warteschlangen beim Besichtigungstermin. Was tun? Aus Zürich wegziehen oder Genossenschafter werden? Keine schlechte Idee: Von den rund 212000 Wohnungen in der Stadt Zürich (Ende 2012) sind fast ein Viertel gemeinnützig. Rund 38000 werden von Baugenossen­schaften bewirtschaftet und rund 13000 von der Stadt bzw. von städtischen Stiftungen. Die Mieten liegen hier bis zu 50 Prozent unter den sonst üblichen Marktpreisen.

Vorbilder urbanen Wohnens
Genossenschafter haben einen Wandel vollzogen. Heute findet man unter Genossenschaftern auch Rechtsanwälte, Psychologen und Hochschuldozenten. Dies hat nicht nur mit den tiefen Mieten zu tun, sondern auch mit den Neubauten, die in den letzten Jahren erstellt wurden. Waren Genossenschaftswohnungen früher klein, dunkel und ungenügend  isoliert, werden sie heute ersetzt durch grosszügige, lichtdurchflutete Wohnungen, die ökologisch auf dem neuesten Stand sind. Genossenschaftssiedlungen sind dicht gebaut und architektonisch durchdacht, sie sind eigentliche Vorbilder urbanen Wohnens. «Wir sind nicht profitorientiert und denken langfristig. Deshalb sind unsere Bauten so fortschrittlich», erklärt Peter Schmid, Präsident des Dachverbandes der Zürcher Wohnbaugenossenschaften.

Modern präsentiert sich auch die Siedlung Grün­matt am Friesenberg in Zürich. Hier ersetzte die Familienheim-Genossen­schaft Zürich FGZ alte Reihen-Einfamilien­häuschen mit modernen Häusern in Mischbauweise (Holz und Beton). Fünfköpfige Familien leben hier auf 136m2 für knapp 3000 Franken. Wer die Siedlung besucht, wähnt sich in einem Hort, so viele Kinder toben in den Gärten herum. Genossenschaften werden auch deshalb beliebter, weil sie das Zusammenleben fördern. Die Siedlungen haben Gemeinschaftsräume und Kindergärten, es werden Mittagstische oder Jass­abende organisiert. Ältere Leute und Behinderte werden in spe­ziellen Wohnungen in die Siedlungen integriert. Das ist ein Gegentrend zu den vielen Single-Haushalten in der Stadt. «Soziale Gerechtigkeit und Durchmischung sind bei der Vergabe sehr wichtig», sagt Schmid. «Genossenschaften werfen ihre Mitglieder aber nicht aus ihrer Wohnung, wenn sie einmal besser verdienen als zum Zeitpunkt ihres Eintritts, denn diese haben als Mitglied ein Wohnrecht.» Nur einzelne Genossenschaften kennen Zuschläge für Gutbetuchte. 

Weiterentwicklung des Zeilenbaus
Der Friesenberg in Zürich ist ein grünes, also ein wohnliches Quartier. Es liegt am Fuss des Üetlibergs und ist mehrheitlich locker mit Häuserreihen bebaut. Für die Siedlung Grünmatt erwartete die FGZ «eine zukunftsweisende Interpretation zum Thema Gartenstadt», verlangte also explizit ein gutes Angebot an öffentlichen und privaten Aussenräumen. Graber Pulver Architekten erhielten den Zuschlag. Sie ordneten dreizehn Bauten in vier leicht gebogenen Gebäudezeilen an, was stark an die Lage der heutigen Reihenhäuser erinnert. «Das Projekt besticht durch seine Grosszügigkeit, geschaffen durch die Klarheit der Bauten und Zwischenräume», heisst es im Jurybericht. Das Freiraumkonzept orien­tiere sich strukturell an der Gartenstadt-Idee: Sich aufweitende, ebene Strassen und Platzflächen im Innern der Siedlung bieten Raum für Verweilen und Spiel, die Gartenzonen sind Orte des Rückzugs ins Private. Zudem biete das Projekt «eine innovative Weiterentwicklung von Zeilenbau und Reihenhaus». Als Vorbild für die Bauten dienten englische Garten­städte, das heisst Strassenzüge mit Reihenhäusern und Grünflächen davor. Die Wohnsiedlung Grünmatt sei ihre gebaute Interpretation der Thematik Garten­stadt: Bodennahes Wohnen in gut besonnten Wohnungen mit privaten Gärten und grosszügigen Loggien bildet hier die Basis für eine nachhaltige und hohe Lebensqualität, so die Architekten Marco Graber und Thomas Pulver. Das Pflanzkonzept orientiert sich mit Obst- und Zierobstbäumen sowie Hecken und Sträuchern eng am Charakter der bestehenden Gartenstadtsiedlung.

Mehrgeschossiger Holzbau
Massgeblich an der Entstehung beteiligt war auch die Arge Holzbau Blumer-Lehmann AG / Kost Holzbau AG. Mit dem Ersatz der eingeschossigen Reihenhäuser durch mehrgeschossige Häuserzeilen in Mischbauweise (Holz und Beton)  wird das Angebot der Familienheim-Genos­senschaft Zürich FGZ in der Siedlung Grünmatt von bisher 64 Wohnungen auf 155 vergrössert. Bei vielfacher, modularisierter Anwendung sinken im Holzbau die Kosten. Der optimierte Erstellungsprozess trug dazu bei, dass die Bauarbeiten schnell abgeschlossen wurden und die erneuerte Siedlung bezahlbaren Wohnraum bietet. Die günstigste 4,5-Zimmer-Wohnung liegt netto unter 1900 Franken.

Zwei-, Drei-, Viergeschossig
Die südlich und hangaufwärts gelegene erste Häuserzeile ist viergeschossig ausgeführt. Jedes dieser vier Häuser bietet vier Wohnungen pro Geschoss, erschlossen über zwei Treppenhäuser. Die Häuser von der zweiten bis zur vierten Zeile sind dreigeschossig. Allen Wohnungen sind im Süden und damit hangseitig grosszügige Loggien vorgelagert. Die zweite Häuserzeile verfügt insgesamt über 33 Triplex-Wohnungen mit jeweils internem Treppenhaus. In der dritten Häuserzeile sind in den beiden Obergeschossen je sechs Wohnungen angeordnet, erschlosse über je drei Treppenhäuser. Die Hälfte dieser Wohnungen verfügt zudem über intern erschlossene Schlafräume und Nasszellen im Sockelgeschoss. In der vierten Häuserzeile sind in zwei Häusern wieder­­um insgesamt 26 Triplex-Wohnungen angeordnet, während das dritte Haus gemischt genutzt wird: Pflegezentren der Stadt Zürich, ein Gemeinschaftsraum der Familienheim-Genossen­schaft Zürich, Kinderhort und Kindergarten ergänzen die zwölf Geschosswohnungen. 

Über den in den Hang geschobenen Sockelgeschossen in Massivbauweise sind die Gebäudeteile über Terrain bis auf die Treppenhäuser und die Stirnfassaden in Holzbauweise  ausgeführt. Stirnseitig sind die Häuser aus architektonischen Gründen durch eine massive, über alle Geschosse verlaufende Betonscheibe begrenzt. Als Deckenkonstruktion ist eine Holz-Beton-Verbunddecke im Einsatz. Der Brettstapel an der Deckenunterschicht bleibt sichtbar – auf eine aufwendige Verkleidung wurde bewusst verzichtet. Fassaden und Wände sind in Holzrahmen­bauweise aufgebaut. Die Fassadenbekleidung besteht aus abwechselnd horizontal und vertikal angebrachter Schalung in Holz. Alle Bauteile wurden im Werk vorgefertigt und in gros­sen Elementformaten für die Montage antrans­portiert. 

Grünmatt ist die erste autofreie Siedlung. Um auch die öffentlichen Strassen durchs Quartier zu erwerben, hat die FGZ der Stadt 1,6 Millionen Franken bezahlt. Bis 2019 wird das Zentrum Friesenberg zwischen Schweighof- und Arbentalstrasse erneuert. Heinz Aeberli, Leiter Planung und Bau der FGZ, erfüllt das Projekt mit Stolz: «Dank der verdichteten Bauweise wohnen heute 277 Menschen mehr (früher 207, heute 484) an diesem schönen, privilegierten Ort.» 

211_PU_Schnitt_1000_110504.pdf
211_PU_Situation_1000_DG_110504.pdf

Das Projekt – die Fakten und Zahlen

Bauherrschaft: Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ, Zürich

Architektur: Graber Pulver Architekten AG, Zürich

Holzbauingenieur: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau AG, Rain

Holzbau Arge: Blumer-Lehmann AG, Gossau / Kost Holzbau AG, Küssnacht a. R.

Verdichtungstyp: Holzbau Neubau / Ersatzneubau / Tafelkonstruktion

Grundstücksfläche SIA 416: 31799m2

Geschosszahl: 4 VG

Geschossfläche SIA 416: 19890m2

Gebäudevolumen SIA 416: 84224m3

Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2): CHF 740.–

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