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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2015 Hinter der Fassade

Menschen

Infrastruktur trifft Forschung

Das House of Natural Resources (HoNR) beweist, was mit neuen Technologien im Holzbau alles möglich ist. Was hinter dem Laubholzgebäude steckt, das sowohl Bürogebäude als auch Forschungsobjekt ist, beschreibt Andrea Frangi, Professor für Holzbau an der ETH Zürich.

Herr Frangi, Sie haben die Wahl zwischen Nadelholz und Laubholz. Wofür entscheiden Sie sich?

Ich wähle Nadelholz, da ich mir nicht vorstellen kann, Weihnachten mit meiner Familie ohne Tannenbaum zu feiern.

Das habe ich jetzt nicht erwartet – schliesslich haben Sie das neue Bürogebäude der ETH, das House of Natural Resources, gezielt in Laubholz gebaut. Das stimmt, denn neben der Grundlagenforschung liegt am Institut für Baustatik und Konstruktion ein Schwerpunkt in der Erforschung von Laubholz. Das heisst aber nicht, dass wir Nadelholz jetzt einfach auf die Seite legen. Wir hatten mit dem Neubau aber die Chance, ein Bürogebäude zu bauen, das gleichzeitig ein Forschungsobjekt ist und damit viele unserer Projekte umsetzt. Das heisst, wir können nun zeigen, wie neu entwickelte Produkte und Technologien in einem real existierenden Gebäude funktionieren – und dies nicht nur mittels Tests in der ETH-Bauhalle.

Wie wurde das Gebäude konstruiert respektive von welchen Technologien sprechen wir?

Der einfache Skelettbau des HoNR ermöglicht es, den Grundriss flexibel gestalten, das heisst die Innen- und Aussenwände sind nicht tragend, sondern können beliebig angeordnet werden. Das Ganze wird mit Hilfe der Vorspannung realisiert. Das heisst, alle Träger sind mit einem Kabel, das im Innern durch das Holz verläuft, vorgespannt. Die Träger zentrie­ren sich dadurch selber, und die gesamte Tragkonstruktion ist besonders verformbar, was sie deutlich erdbebensicherer macht. Die zweite Neuheit liegt in der Holz-Beton-Verbunddecke mit Buchenholz aus Schweizer Wäldern. Diese neue Verbunddecke hat ähnlich gute Trageigenschaf­­ten wie Stahlbetondecken, die meistverbauten Tragelemente in der Schweiz. Eine rund vier Zentimeter starke Buchenholzfurnierplatte dient sowohl als Schalungselement als auch als Armierung und ist gleichzeitig eine attraktive Oberfläche. Einzigartig ist auch die Dachkonstruktion mit einer unterspannten Buchenholzdecke, bei der Holzlamellen kreuz­weise angeordnet wurden. So werden die Lasten wie bei einer Betondecke in zwei Richtungen verteilt. 

Man würde erwarten, dass auch Ihr Büro in diesem Gebäude liegt.

Das wäre zwar sehr schön, aber nicht richtig. Der Neubau ist nämlich eine Art «Living Lab», was die einmalige Chance beinhaltet, von neutralen Nutzern, also den Mitarbeitern der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH, vor allem auch die kritischen Aspekte des Gebäudes zu erfahren. Dazu kommt ein relativ aufwendiges Monitoring­system, mit dem wir erfassen, wie sich das Gebäude über die Jahre verhält. Wir messen regelmässig die Feuchtigkeit in der Holzkon­struktion und zeichnen Verformungen mit Hilfe eines Tachymeters auf. Spezielle Sensoren messen die relative Verschiebung zwischen Holz und Beton in der Verbunddecke. Bereits während des Baus haben wir mit einem dichten Sensornetzwerk überwacht, wie sich die Tragstruktur verhält. Mit 16 Kraftmessdosen messen wir zudem die Vorspannkraft in jedem einzelnen Spannkabel permanent.  

Das klingt alles sehr innovativ und experimentierfreudig.

Stimmt. Und genau deshalb braucht es neben der Forschung auch die konkrete Umsetzung, damit die Investoren, Bauherren und Architekten nicht nur auf dem Papier sehen, was im Holzbau alles möglich ist. Leider scheitern so viele Innovationen oder Forschungsprojekte beim Schritt in die Umsetzung. Zwar gibt es in der Schweiz sehr gute Institutionen wie die Kommission für Technologie und Innovation KTI, aber es braucht die Expertisen und Referenzen, um das eher konservative Bauen ­vorwärtszubringen. Schliesslich soll das vermeintliche Risiko kalkuliert respektive minimiert sein. Und das geht nur mit effektiven Baubeispielen. 

Ein Versuchsfeld ist auch die Fassade des Gebäudes.

Ja, an einem Teil der Gebäudehülle haben Professor Arno Schlüter und seine Gruppe eine adaptive Solarfassade montiert, die Strom gewinnt und hilft, den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen des Gebäudes zu regulieren. Die Fassade besteht aus beweglichen Modulen aus Dünnschichtsolarzellen, die sich mittels druckluftgesteuerter Antriebe bewegen lassen. Dank diesen Aktuatoren richten sich die Solarzellen am Sonnenstand aus, passen sich aber auch dem Wärme- und Lichtbedarf des Hauses und insbesondere dem Verhalten der Nutzer an. Weiter haben Prof. Ingo Burgert und seine Gruppe neuartige Oberflächen­beschichtungen für die Holzfassaden entwickelt, die verbesserten UV-Schutz bieten und wasserabweisende Eigenschaften aufweisen. Sie sollen nun am Gebäude auf ihre Witterungs­beständigkeit getestet werden. Das House of Natural Resources ist damit auch ein gutes Beispiel von interdisziplinärer Forschung.

Wie optimistisch sind Sie, dass Holz in der Schweiz vermehrt als Baustoff zur Energiewende beitragen kann?

In neuen Holzprodukten steckt ein beträchtliches Potenzial, die Wertschöpfung des Schweizer Waldes und die Wettbewerbsfähigkeit von Holz zu erhöhen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit intensiver Forschung und Arbeit an der Zuverlässigkeit, Duktilität und Robust­heit von Holzbauteilen eine starke Alternative zu Stahl und Beton schaffen und damit einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten können. Wichtig ist, dass wir die Komplexität reduzieren und die Wirtschaftlichkeit mit einbeziehen.

Welchen Einfluss hat das HoNR auf Ihre Studenten?

Es ist bemerkenswert, dass sich die heutigen Doktoranden nicht nur als Forscher, sondern eben auch als Unternehmer sehen. Sie erforschen eine neue Technologie oder ein neues Produkt – aber sie bringen damit auch ein neues Geschäftsfeld hervor. Die innovativen Entwicklungen im Holzbau bringen diese eher neue Sicht auf die Wirtschaft hervor. Hinzu kommt, dass sich Studierende viel einfacher für eine Forschungsarbeit motivieren lassen, wenn die Möglichkeit der effektiven Umsetzung besteht. Es ist wichtig, dass wir die Erkenntnisse aus der Forschung in die Umsetzung bringen und so Erfahrungen sammeln und das Wissen damit vertiefen. Es braucht das Wechselspiel, wo sich Forschung und Umsetzung gegenseitig vorantreiben. 

Wie steht es um den akademischen Nachwuchs aus den eigenen Reihen?

Die Schweiz ist ein Land ohne klassische Rohstoffe. Wir haben Holz, Stein und Wasser und dazu viele gute Köpfe. Entsprechend können respektive müssen wir mit Innovationen und Technologien die Vorreiterrolle bei Klima- und Energiezielen übernehmen. Das bedingt aber, dass wir den akademischen Nachwuchs gut ausbilden und auch zur Promotionsarbeit motivieren. Ansonsten haben wir in Zukunft keine Professoren mehr aus den eigenen Reihen. 

Wollten Sie immer schon in die Holzbauforschung?

Nein, wie so vieles in meinem Leben habe ich auch meine akademische Laufbahn nicht geplant. Das hat sich einfach ergeben, was mich sehr glücklich macht. Als Kind habe ich jeden Sommer im Chalet meiner Grosseltern in Sobrio, in der Leventina, verbracht und mit meinem Grossvater Holz geschnitten. Schon damals fand ich phänome­nal, wie leicht ein Stück Holz im Vergleich zu Stein, Beton oder Stahl ist. Die raue Oberfläche, die sehr unterschiedlichen Farben und der Geschmack: Holz ist faszinierend. Und im Gegensatz zu vielen industriell hergestellten Materialien stehen wir erst am Anfang der Forschung. 

Wie sieht denn Ihre Vision für den Holzbau aus?

Meine Vorstellung ist, dass sich Holz als ganz normaler Baustoff in die Liste der anderen Materialien wie Beton oder Stahl einreiht und wie alle anderen auch gleich behandelt wird. Mit den neuen Brandschutzvorschriften entfällt schon mal die diesbezügliche Sonderstellung von Holz. Aber damit ist es noch nicht getan. Denn der Baustoff Holz muss von allen Beteiligten als Option anerkannt werden – von Architekten, Bauherren und Investoren. Und hier braucht es noch Überzeugungsarbeit. 

Da helfen sicher auch Auszeichnungen wie Prix Lignum und Schweighofer Prize. Oh, ja sicher. Diese Ehrungen sind für uns eine unglaubliche Freude und Anerkennung. Der Prix-Lignum-Laubholzpreis hat uns fast überrascht, da es sich ja im Grunde um einen Architekturpreis handelt und wir haben ein Forschungsgebäude realisiert. Der Schweig­hofer Prize prämiert innovative Ideen und Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Forst- und Holzwirtschaft zu steigern. Dieser Innova­tionspreis ist sehr renommiert und die Zeremonie in Wien war mehr als fantastisch. 

Fast wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten zusammen?

Genau – aber diesmal mit Laubholz.  

Prof. Dr. Andrea Frangi

Andrea Frangi (44) ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Rüschlikon. Er ist in Chiasso aufgewachsen, hat an der ETH Zürich Bauingenieurwesen studiert und 2001 promoviert. Seit 2010 ist er Professor für Holzbau am Institut für Baustatik und Kon­struktion an der ETH Zürich. 

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