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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2016 Bewegung im Holzbau

Lebens.raum

Perronhalle auf Reisen

In Bauma im Zürcher Oberland steht seit kurzem eine prächtige Perronhalle, die vor über 150 Jahren für den Basler Centralbahnhof gebaut wurde. Nach einem jahrzehntelangem Intermezzo als Industriehalle in Olten beschirmt das Dach nun wieder Dampflokomotiven und Passagiere.

Der Zufall kennt keinen Taktfahrplan. Doch manchmal ist sein Timing perfekt. Seit 2003 suchte Christoph Rutschmann, Bauverantwortlicher des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland (DVZO), nach einer Abstellhalle für die historischen Lokomotiven und Waggons des Vereins. Er zeichnete gemeinsam mit einem Holzbauingenieur eine Halle, die genau auf das verfügbare Grundstück beim Bahnhof Bauma gepasst hätte. «Das war eine Idealvorstellung, sozusagen eine Vision. Noch lieber als einen Neubau hätten wir aber eine his­to­rische Halle aufgestellt, die zu unseren Fahr­zeugen passt», sagt Rutschmann. Vier Jahre später beugte er sich im Büro von SBB-Denkmalpfleger Karl Holenstein über die Pläne der alten Perronhalle von Herzogenbuchsee. «Ich sah sofort, dass sie für uns zu schmal war. Da sagte Holenstein: ‹Wir hätten da noch etwas in Olten.› Er holte einen Plan hervor, und diese Halle wich weniger als zehn Zentimeter von unseren Idealmassen ab. Bis heute habe ich Hühnerhaut, wenn ich daran denke.»

Von der Perronhalle zum Holzlager und wieder zurück

Die hölzerne Halle war im SBB-Industriewerk Olten jahrzehntelang als Holzlager für die Schreinerei genutzt worden. Doch woher stammte sie eigentlich? Zunächst hielt man das Bauwerk für den ersten Bahnhof von Olten. «Der Kanton Solothurn hätte uns die Halle keinesfalls geschenkt. Man wollte ja nicht, dass ein paar Zürcher das Solothurner Kultur­gut ‹abzügeln›», scherzt Rutschmann. Ein Gut­achten ergab jedoch, dass die Halle aus Basel stammte. Sie wurde von Ludwig Rudolf Maring (1820–1893) entworfen, dem Chef­architekten der damaligen Schweizerischen Centralbahn. Am Basler Centralbahnhof, dem Vorgänger des Bahnhofs Basel SBB, diente das Bauwerk als Einsteigehalle.

Nachdem sich die Schreinereihalle als veri­tables Baudenkmal entpuppt hatte, stand der Dampfbahn-Verein vor einem Ressourcenproblem, denn alle Vereinsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. Die Zürcher Denkmalpflege zog deshalb für die Realisierung das Büro von Zanoni Architekten hinzu. Mit vereinten Kräften konnte ein tragfähiges Konzept für die Wiederinstandsetzung der Halle entwickelt werden. 2008 übertrugen die SBB die Halle an den DVZO, 2012 wurde das Bauwerk in Olten sorgfältig nummeriert, demontiert und zum grössten Teil in Küssnacht am Rigi bei der Bisang Holzbau AG eingelagert. Die Aufarbeitung und die Ertüchtigung des Baudenkmals schienen dank namhafter Beiträge des Zürcher Lotteriefonds, der kantonalen Denkmalpflege sowie zahlreicher Spenden gesichert.

Steigende Baukosten gefähreen die Realisierung

Doch 2013 stellte sich bei eingehenden Unter­suchungen heraus, dass zahlreiche Guss­eisen­teile Risse im mikroskopischen Bereich aufwiesen. Zudem entsprach das statische System der Halle als Ganzes nicht den heutigen Anforderungen. Als Folge wurde das Tragwerk in Zusammenarbeit mit der Conzett Bronzini Partner AG aufwendig überarbeitet. Die Baukosten wuchsen von vier auf fünfeinhalb Millionen Franken, die Realisierung war gefährdet. Dann kam der Durchbruch: 2014 stufte das Bundesamt für Kultur (BAK) die Halle als Kulturgut von nationaler Bedeutung ein. Der massiv aufgestockte Beitrag des BAK ermög­lichte die Wiederaufnahme der Arbeiten. Im Frühling 2015 begann man mit der Aufrichte, und bereits Anfang September konnte die Bahnhofshalle mit einem grossen Festakt eingeweiht werden.

Vom milden Mittelland ins raue Zürcher Oberland

Besonders anspruchsvoll war die statische Ertüchtigung des Bauwerks. In Bauma ist die Halle merkbar höheren Wind- und Schneelasten ausgesetzt als in Olten. Das neue stati­sche System leitet deshalb die Lasten über das Dach ab. Die Sockelsteine der eichenen Stützen und damit auch die neuen Zugstangen sind regelrecht in das Fundament eingespannt. Wer in der Halle steht, bemerkt diese Massnahmen kaum: Die baulichen Veränderungen wurden praktisch alle auf der Aussenseite der Halle umgesetzt. Den Innenraum hat man so weit wie nur möglich im Originalzustand belassen. Einzig beim Blick in die «Dampflater­­ne», den Abzug für Rauch und Russ der Lokomotiven, erblickt man aufgedoppelte Stahlträger.

Die grundsätzliche Trennung von Innen- und Aussenraum ist auch eine Verbeugung vor der ursprünglichen Konzeption der Halle. Denn sämtliche Elemente, selbst die prächtigen Flügelräder aus Gusseisen, welche Binder und Stützen verbinden, haben eine tragende Funktion. «Zu Beginn des Projektes standen wir oft vor Rätseln. Die Halle war wie ein riesiges Puzzle. Erst nach und nach haben wir verstanden, wie einfach und dennoch robust die ursprüngliche Konstruktion war», sagt Daniel Bucher, verantwortlicher Projektleiter bei der Bisang Holzbau AG. Das elegante, mit minimalem Materialeinsatz realisierte Bauwerk zeige die Kunstfertigkeit und das Vertrauen der Holzbauer: «Unter den Sockelsteinen war nur ein wenig Schotter. Da gab es keine Verankerung im Boden, und doch hat die Halle in Basel und Olten problemlos 150 Jahre überdauert», hält Bucher fest.

Modulbauweise des Industriezeitalters

Die hundert Meter lange Halle ist eine eindrückliche Zeitzeugin der frühen industriellen Fertigung. Die Verbundkonstruktion aus Holz, Gusseisen und Stahl ist in vier Meter lange Segmente eingeteilt und modular konzipiert. Wie Rutschmann erläutert, könnte sie eben­so gut 30 oder 160 Meter lang sein. Bei den Vorläuferbahnen der SBB war dieses Baukasten­prinzip durchaus üblich. Es erleichterte die Herstellung, den Transport und den Wiederaufbau der Gebäude. Denn in den Pionierzeiten der Eisenbahn war das Verschieben von Bahn­höfen, Wartehallen oder Dienstgebäuden kei­neswegs ungewöhnlich. Arbeitskräfte waren billig, das Baumaterial hingegen teuer. Die­ser Hintergrund des transportablen Gebäudes ist heute in einem anderen Kontext ablesbar: Die sieben ersten Felder des Dachs sind mit der originalen Dachschalung gedeckt. Neues Holz sieht man erst ab dem achten Feld. Der Gross­teil der bestehenden Binder und Stützen konnte beim Aufbau in Bauma wiederverwendet werden. Auch die ornamentalen Guss­eisen­teile waren – bis auf ein schad­haftes und drei fehlende Elemente – fast komplett erhalten. Rund die Hälfte der Guss­eisen­manschetten und Steinsockel musste hingegen neu angefertigt werden.

Die Originalpläne der Halle lieferten Architek­ten, Holzbauern und Ingenieuren zahlreiche wertvolle Informationen zur Rekonstruktion. Nur zur Materialisierung des Daches fehlten konkrete Angaben. «Vermutlich war es ein Me­talldach, wie damals für Industriebauten üblich», sagt Felipe Good von Zanoni Architekten. Das zuerst vorgesehene Kupferdach scheiterte aus Gründen des Aufwands. Um den Eintrag von Kupferionen zu verhindern, hätte das Dachwasser nicht nur gesammelt, sondern auch gefiltert werden müssen. Deshalb bildet nun ein Aluminiumblech die Dachhaut. In etwa fünf bis sechs Jahren wird es matt sein.

Prächtiges Beispiel für den Schweizer Holzbaustil

Marings Halle ist ein beeindruckendes Beispiel für den Schweizer Holzbaustil. Dieser wird bis heute gerne als «Zimmermanns­gotik» verspottet, entwickelt jedoch seinen eigenen Charme. Das zeigen die prächtigen Rosetten auf der Frontseite der Halle. Während der langen Jahre in Olten waren sie verloren gegangen. Bei der Bisang AG rekon­struierte man die Elemente mit Hilfe moderner Technik: Die originalen Pläne aus dem Staatsarchiv Basel wurden digital erfasst, bereinigt und in 3-D-Daten überführt. Auf dieser Grund­lage konnte man die Ornamente mittels CNC ausfräsen. «Für die Verzierungen benötigten wir eine 60 Millimeter starke Dreischichtplatte, die aus drei Lagen Lärche besteht. So etwas gibt es auf dem Markt nicht», berichtet Daniel Bucher. Am Schluss stellte die Wagnerei Oehrli in Lauenen (BE) die benötigten Platten selbst her. Anschliessend wurden die Eisenreifen, welche die ausgefrästen Rosetten umfangen, im noch glühenden Zustand angebracht.

Wer die Halle betritt, ahnt wenig von diesen Finessen. Die beteiligten Holzbauer, Architekten und Ingenieure haben ihre Kunst so gut versteckt, dass sie selbstverständlich und harmonisch wirkt. Die Halle aus Basel scheint in Bauma trotz der weiten Reise heimisch zu sein. «Es geht nicht darum, die ganze Schweiz in ein Ballenberg zu verwandeln. Der Denkmalschutz war jedoch überzeugt, dass die Halle hier optimal platziert ist, zumal sie von dampfbespannten Zügen angefahren wird. Das war ja der Ursprungsgedanke für dieses Bauwerk», sagt Christoph Rutschmann. Und mit leisem Bedauern sagt er, so richtig wirke der prächtige Bau halt nur im Zusammenspiel mit einer Lokomotive. Just in diesem Moment schnaubt der allererste Dampfzug des Dampfbahn-Vereins in die Halle. Es scheint, als gebe es doch für den Zufall einen Taktfahrplan. dvzo.ch, zanoni-architekten.ch, bisangag.ch

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Historische Bahnhofshalle Bauma
Bauherrschaft: DVZO Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland, Hinwil (ZH)
Baujahr: 1860, Renovation und Wiederaufbau 2015
Projektmanagement, gestalterische Leitung: Zanoni Architekten, Zürich
Holzbauingenieur: Besmer-Brunner GmbH, Sattel (SZ)
Bauingenieur: Basler & Hofmann Innerschweiz AG, Luzern
Bauleitung: BUO Bauberatung, Niederrohrdorf (AG)
Holzbau: Bisang Holzbau AG, Küssnacht am Rigi (SZ)
Metallbau: Isenschmid AG, Küssnacht am Rigi
Wagnerarbeiten: Wagnerei Oehrli, Lauenen (BE)
ARGE Spenglerarbeiten und Blechdächer, Leitung: Scherrer Metec AG, Zürich
Baumeisterarbeiten: ARGE UBT mit Oberholzer AG, Bernet Bau AG, Walo Bertschinger AG

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