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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2016 Innere Werte

BAU.WERK

Tetris im Gewerbequartier

Wie spielerisch versetzte Klötzchen sitzen 17 neue Wohnungen auf dem Rautihuus. Die dreigeschossige Aufstockung in Holzbauweise gelang trotz kniffliger Statik und einer ungewöhnlich langen Projektlaufzeit. Text Michael Staub | Fotos Markus Lamprecht

Das Rautihuus in Zürich-Albisrieden diente über Jahrzehnte als reiner Gewerbebau. Mit einer dreigeschossigen Aufstockung in Holzbauweise wurde nun der Wohnanteil von 0 auf 40 Prozent erhöht. Die 17 Mietwohnungen mit einer Bushaltestelle direkt vor der Haustür waren innerhalb einer Woche vergeben. Bauherr ist UBS Swissreal, ein Immobilienfonds der UBS. Laut Jean-Michel Roten, Leiter Bau und Entwicklung bei UBS Fund Management (Switzerland) AG, sind Aufstockungen ein wichtiger Teil der Immobilien-Entwicklungsstrategie. Man profitiere dabei gerne von den Vorteilen des Holzbaus: "Das geringe Gewicht, die Vorfabrikation und die kurzen Bauzeiten sowie die Trockenbauweise machen ihn interessant. Zudem ist der Holzbau bezüglich Nachhaltigkeit im Vorteil."
Trotzdem müssten die Erstellungskosten von Massiv- und Holzbauprojekten gleichwertig sein, hält Roten fest: "So schön ein Holzbau sein mag, er rechtfertigt keine höhere Miete." Die ersten Konzeptstudien für die Aufstockung des Rautihuus machte man bereits 2007. Die Finanzkrise 2008 und die daraus folgenden Unsicherheiten führten zu mehreren Pausen und Verzögerungen. Architekten und Planer benötigten für das Rautihuus einen ungewöhnlich langen Atem. Die wichtigsten Projektdaten rekapituliert Harald Echsle, Partner bei der Spillmann Echsle Architekten AG, wie folgt: "2009 folgten weitere Studien, 2010 Vorprojekt und Baugesuch. Die Ausschreibung erfolgte 2012, die Ausführungsplanung 2013 und der Baubeginn war 2014."

SCHWIERIGE STATIK

Der Bestandsbau stammt von 1948. Er wurde 1952 erweitert und 1960 aufgestockt. Die schlechten Baumaterialien der Nachkriegsjahre und eine suboptimale Tragwerksplanung führten zu einer heiklen Statik. So wurde etwa die Last der Attikageschosse nicht sauber auf das darunterliegende Tragwerk abgetragen. Um die gewünschte Aufstockung zu realisieren, mussten die beiden Aufstockungsgeschosse von 1960 rückgebaut werden. Weil die massive Fassade des obersten Geschosses nach der Aufrichte wieder aufgebaut wurde, vermuten flüchtige Betrachter aber nur zwei Holzbaugeschosse. Für die Lastabtragung der dreigeschossigen Aufstockung fanden Architekten und Ingenieure eine unkonventionelle Lösung. "Die Fassadenstützen stehen in einem Raster von 1,35 Metern und haben fast keine Lastreserven. Im Innenraum sieht das völlig anders aus.
Dort stehen auf der Mittelachse etwa alle fünf Meter massive 70er-Betonstützen", erläutert Andreas Burgherr, verantwortlicher Holzbauingenieur bei der Timbatec AG. Weil die neuen Wohnungstrennwände und die Einteilungen der Aufstockung nicht mit diesem Raster korrespondierten, wären die Fassadenstützen zu ungleichmässig belastet worden. Deshalb musste für die gesamte Aufstockung ein Abfangrost erstellt werden.

GLASFASER-RÜCKGRAT

Die Querträger dieses Rostes ruhen aussen auf den Fassadenstützen des Massivbaus. Die meisten Lasten werden jedoch nicht an den Aussenwänden, sondern in der Mitte abgetragen. "Es gab im Bestandsbau einen betonierten Unterzug, der in der Mitte des Gebäudes über die ganze Länge von 60 Metern verläuft ", sagt Echsle. Probenentnahmen und Würfeldruckmessungen zeigten eine unbefriedigende Betonqualität. Deshalb wurde der Unterzug auf der Unter- und Oberseite mit Glasfaserarmierungen verstärkt und mit einem Spezialbeton aufbetoniert. Eine zweite Umhüllung mit einer Glasfasermatte und unzählige Schubbolzen sorgen für die nötige Solidität. Entlang der Aussenwand ist der Abfangrost auf Gummi gelagert, um eine möglichst gleichmässige Lasteinleitung der Fassadenstützen zu erreichen. "Das Vorbereiten des Grundbaus war im Prinzip aufwendiger als der Holzbau", sagt Echsle. "Der Überzug allein mit allen notwendigen Brandschutzmassnahmen hat eine halbe Million gekostet. Da haben wir das Beste vom Besten verbaut."

UNMÖGLICHE VORGABEN

Gute Ideen waren auch für die Wohnungstreppen gefragt, welche die Wohnbereiche mit dem Erschliessungskorridor verbinden. Denn diese Treppen sind sowohl brandabschnittbildend als auch wohnungstrennend und müssen gleichzeitig hohen Schallschutzanforderungen entsprechen. Weil die Aufstockung noch den alten Brandschutzvorschriften unterstand, galt die Anforderung REI 60 / EI 30 (nbb). Als Lö- sung für diese eigentlich "unmöglichen" Vorgaben, so Burgherr, entwickelte man bei Timbatec ein echtes Unikat. Den Kern bildet eine Brettsperrholzplatte mit aufgesattelten Blindtritten. Diese wurden vollständig ausgedämmt und allseitig mit Gipskartonplatten umhüllt. Auf der Unterseite wurde eine Schrägdecke mit Schwingbügeln abgehängt. Der zwölf Zentimeter hohe Zwischenraum bietet Raum für Installationen. Damit auch der Trittschall ausreichend gedämmt wird, steckt unter den Trittschalen aus massiver Eiche eine drei Zentimeter starke Lage gepresster Steinwolle. Diese Konstruktion wurde anschliessend direkt auf die Blindtritte geklebt. "Wir waren skeptisch, ob das funktioniert. Ein Prototyp hat dann gezeigt, dass wir so eine saubere Entkoppelung erreichen", sagt Burgherr.

SCHALL UND FEUER

Auch die Geschossdecken sind nach einem Drei-Massen-Schwingerprinzip aufgebaut. Ihren Kern bilden Hohlkasten, die mit Zementplatten beschwert sind. Auf der Oberseite wurde ein abgekoppelter Unterlagsboden, auf der Unterseite eine abgehängte Decke angebracht. Während sich der Schallschutz also mit soliden Ingenieurleistungen erfüllen liess, gab der Brandschutz mehr zu reden. Hier war eher Gips als Grips gefragt, denn nach den alten Brandschutzvorschriften musste der Sechsgeschosser die Anforderung REI 60 / EI 30 (nbb) erfüllen. Dies betraf sämtliche tragenden Bauteile, selbst wenn diese mit zusätzlichen Vorsatzschalen für die Leitungsführung ausgestattet wurden.
"An manchen Orten mussten wir bis zu vier Gipslagen einbauen. Bei den heute gültigen Brandschutzvorschriften 2015 kann man die inneren Gipslagen weglassen, da hätten wir uns die Hälfte des Aufwandes sparen können", sagt Burgherr. Die lange und detaillierte Vorarbeit des Architektur- und Holzbauingenieurbüros zahlte sich für Marco Fehr aus. "Nie zuvor hatte ich schon beim Projektstart so gute Pläne zur Verfügung", sagt der Projektleiter von Zehnder Holz und Bau AG in Winterthur. Das Planmaterial sei nicht nur umfassend, sondern auch sehr genau gewesen. "Einzelne Punkte haben wir vor Baubeginn mit dem Tachymeter ausgemessen. Es gab praktisch keine Abweichung zum Planmaterial, das ist doch eher selten", erinnert sich Fehr. Trotz der langen Vorlaufzeit des Projekts mussten die Holzbauer sehr zügig arbeiten. "Wir haben den Zuschlag Ende Oktober 2013 erhalten, im April 2014 mussten wir dann schon mit der Aufrichte beginnen", berichtet Marco Fehr.

GUT VERSTECKTE ARBEIT

Die Produktion der Holz- und Stahlbauteile verlief einwandfrei. Getrübt wurde die Montage durch ein Brandschutzproblem. Jede Wohnung bildet einen separaten Brandabschnitt, was durch die räumliche Verschachtelung aufwendige Leitungsführungen für die Komfort- üftung bedingte. "Leider wurde es versäumt, die Leitungsführungen rechtzeitig von einem Brandschutzexperten prüfen und abnehmen zu lassen", sagt Fehr. Das Resultat war ein vorübergehender Baustopp, zudem musste etwa ein Fünftel der bestehenden Durchbrüche in den Holzbauelementen geschlossen und mit neuen ersetzt werden. Abgesehen von diesem Problem sei die Baustelle unproblematisch gewesen, meint Fehr: "Bevor es losging, sass ich für diese Baustelle sicher drei Monate lang jeden Tag am Computer. Als wir dann mit der Montage begannen, hatte ich fast jedes Teil noch im Kopf, zum Teil inklusive der Masse."
In den fertigen Wohnungen ist von der millimetergenauen Arbeit der Zimmerleute nichts mehr zu sehen. Wände und Decken sind mit Gipsplatten beplankt und verputzt wie ein Massivbau, und auch die gegossenen Böden verbergen die aufwendigen hölzernen Geschossdecken. Nur die eichenen Trittschalen der Wohnungstreppen bringen einen Hauch von Holzbau in die modernen Wohnungen. Die Aussenhaut aus Faserzementplatten spricht dagegen ganz die Massivbau-Formensprache. Auflagen der Zürcher Stadtbildkommission und der Wunsch der Bauherrschaft nach einer unterhaltsarmen Fassade waren hierfür ausschlaggebend. Schmerzt es Fehr, den Holzbauer aus Leidenschaft, nicht ein bisschen? "Mir persönlich gefallen erkennbare Holzbauten besser", sagt er, "aber man muss eines sehen: Der innere Wert dieses Gebäudes, das ist hundertprozentiger Holzbau. Ohne uns Zimmerleute wäre es nicht möglich gewesen, in diesem Gebäude überhaupt Wohnungen zu schaffen. Das ist doch auch schön."

Das Rautihuus

Das Rautihuus in Zürich-Albisrieden ist der frühere Firmensitz der Lüftungsfirma Luwa. Es wurde 1948 erbaut, 1952 erweitert und 1960 mit zwei Attikageschossen im Massivbau aufgestockt. Dieser Gebäudeteil wurde rückgebaut. Die neue dreigeschossige Aufstockung in Holzbauweise ruht auf einem aufwendig konstruierten Abfangrost. Dessen Mittelstück ist ein 60 Meter langer Überzug, der mit Überbeton und Glasfaserarmierungen ertüchtigt wurde. Die Aufstockung umfasst 17 neue Mietwohnungen. Ankermieter des Gebäudes ist ein biomedizinisches Labor. Der Rückbauder alten Bausubstanz sowie die Aufstockung erfolgten unter laufendem Betrieb. Die Aufstockung unterstand noch der alten Brandschutznorm. Die Wohnungen des Sechsgeschossers müssen deshalb die Vorgabe REI 60 / EI 30 (nbb) erfüllen. So ist im Innenausbau kaum etwas vom Holzbau zu sehen. Die Aussenfassade wurde mit Faserzementplattenausgeführt.


Das Projekt - die Fakten

Projekt: dreigeschossige Attika-Aufstockung in Holzbauweise, Zürich-Albisrieden
Bauherrschaft: Zurimo «B» Immobilien AG, vertreten durch UBS Fund Management (Switzerland) AG
Architektur: Spillmann Echsle Architekten AG, Zürich
Bauingenieur: Haag + Partner AG, Küsnacht (ZH)
Holzbauingenieur: Timbatec AG, Zürich
Generalunternehmer: Corti Total Services AG, Winterthur
Holzbau: Zehnder Holz und Bau AG (Planung, Produktion, Montage), Winterthur; Lerch Holzbau AG (Montage), Winterthur
Baumeisterarbeiten: Lerch AG Bauunternehmung, Winterthur

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