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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2016 Heimatverbunden

BAU.WERK

Schöne Scheune

Die Form ist geblieben, die Funktion hat sich geändert: In Wängi (TG) wurde ein modernes Wohnhaus kunstvoll in eine alte Scheune integriert. Das Projekt verlangte Präzision, Geduld und Handwerkskunst.

TEXT MICHAEL STAUB | FOTOS NATHALIE HERREN, CHRISTIAN WEBER

Das neue Heim von Bea und Beat Lüthi erinnert an das berühmte Pfeifen-Bild von René Magritte. Es sieht zwar aus wie eine Scheune, doch gleichzeitig ruft es: "Das hier ist keine Scheune." Tatsächlich versteckt sich hinter der hölzernen Fassadenschalung ein anthrazitfarbener Kubus, der auf drei Seiten von einem laubenartigen Aussenbereich umgeben ist. Mit der Haus-im-Haus-Lösung gelang es, im kaum noch genutzten Bau von 1909 neuen Wohnraum zu schaffen. Der Heimatschutz stellte jedoch die Bedingung, die äussere Gestalt der Scheune zu erhalten. Dies gelang mit teilweise beträchtlichem Aufwand. So können etwa die grosszügigen Fensteröffnungen mit elektrisch betriebenen Toren verschlossen wer­den. Sind diese Tore geschlossen, benimmt sich das Haus wieder, als wäre es eine Scheune.

"Meine Inspiration war ein Zeitungsartikel über eine umgenutzte Scheune in Homburg", sagt Beat Lüthi. Dieser Scheunenumbau von Zech Architekten aus Romanshorn begeisterte ihn auf Anhieb. Denn direkt neben seinem Wohnhaus stand eine Scheune, die Lüthi sinnvoll nutzen statt leerstehen lassen wollte. Deshalb fragte er Stefan Schoch, den Geschäfts­führer der Isenring Holzbau AG: "Könnt ihr das auch?"

Gebaut mit Schweizer Holz

Schoch konnte. Sobald die Baubewilligung für das Projekt erteilt war, übernahm die Isenring Holzbau AG sämtliche Aufgaben und Arbeiten inklusive Bauleitung und Ausführungsarchitektur. Mit viel Hartnäckigkeit und Detailarbeit gelang es, die Linienführungen nahezu eins zu eins in gebaute Realität umzusetzen. "Normalerweise geht man bei einem Umbau rasch die ersten Kompromisse ein. Wir hatten hier aber einen sehr engagierten Bauherrn, der direkt neben der Baustelle wohnt und uns täglich zur Hand ging", berichtet Schoch. So konnte man zahlreiche Details gleich vor Ort entwickeln, besprechen und von Beat Lüthi genehmigen lassen.

Der gesamte Kubus ist als Holzrahmenbau vor Ort erstellt worden. Die Aussteifung überneh­men OSB-Platten. Die bauphysikalischen Anforderungen entsprechen denjenigen eines Einfamilienhauses. "Auflagen für den Brandschutz gab es vor allem im Bereich der Heizung; wir konnten sie mit einer Steinwolledämmung abdecken", erläutert Schoch. Die Geschossdecken bestehen aus Balkenlagen mit untenliegenden Rippendecken und abgehängten Verkleidungen. In den Wohnräumen sind diese in Weisstannentäfer ausgeführt, im Erdgeschoss dagegen aus Gipskarton mit Weissputz. Den oberen Abschluss bildet eine Dreischichtplatte. Abgesehen von der Täferung ist im Neubau ausschliesslich Schweizer Holz verbaut. Die Verwendung des heimischen Baustoffs sei für die Isenring Holzbau AG keine Ausnahme, sondern die Regel, sagt Stefan Schoch: "Es ist ein Geben und ein Nehmen. Wir sind sehr stark regional verwurzelt und wollen der Schweiz treu bleiben. Einerseits macht uns dieser Lokal­bezug abhängig, andererseits ist er ein Gewinn."

Versteckte Verstärkung

Die Bauzeit erstreckte sich von September 2014 bis Ende Januar 2016. Das bestehende statische System der Scheune wies diverse Schwächen auf, wie Stefan Schoch berichtet: "Wir haben den alten, liegenden Dachstuhl mit einem stehenden Dachstuhl ersetzt. Die bestehende Sparrenlage haben wir übernommen, sie musste teilweise ergänzt und verstärkt werden." Die konstruktiven Teile wurden allesamt neu erstellt. Der Einbau des stützenfreien Kubus bedingte ohnehin eine andere Ableitung der Kräfte. Anstelle der alten Konstruktion trägt deshalb ein neues Sprengwerk die grösseren Lasten an den Seiten ab.

Um die Statik zu verbessern, wurden die beste­henden Wände im Erdgeschoss zum grössten Teil neu unterfangen, teilweise auch mit Beton verstärkt. In den meisten Räumen zog man zudem neue Betonbodenplatten ein. Die nordseitige, auf der Innenseite sorgsam restau­rierte Riegelwand erhielt eine Verstärkung durch eine zweite, aussen liegende Holzständerwand. Auf der Innenseite der Riegelwand sind Auflagebalken montiert, welche an der äusseren Wand befestigt sind. So können alle Kräfte in die neue Wand eingeleitet werden, ohne das Erscheinungsbild zu beeinträchtigen.

Unsichtbare Nischen

Die neuen Räume erhalten trotz der Scheunen­form genügend Licht. Teile des laubenähnlichen Aussenbereichs werden mit klassischen Glasziegeln belichtet. Das meiste Tageslicht fällt jedoch durch die grosszügigen Fensteröffnungen ein, die mit grossen hölzernen Schiebetoren verschlossen werden können. Aus Sicherheits- und Komfortgründen kam eine manuelle Bedienung nicht in Betracht. Elektrisch angetriebene Tore mit den geforderten Abmessungen waren jedoch nicht ab Stan­­ge erhältlich. Gemeinsam mit der Gilgen AG, die auf Türen und Tore spezialisiert ist, dem Dachdecker sowie dem Metallbauer entwi­ck­elten die Zimmerleute eine massgefertigte Lösung.

Um diese Tore elegant zu verstecken und gleichzeitig die klaren Linien zu bewahren, brauchte es viel Entwicklungsarbeit. Deshalb sind die Aussenwände in diesen Bereichen sehr aufwendig aufgebaut. Auf die von innen sichtbare Riegelschicht folgt eine erste Scha­lung, darauf ein Hohlraum für die Tore und schliesslich die äussere Fassadenschalung. Die Tore laufen mit der Unterseite gleichsam in einem U-Profil, und auch auf der Oberseite sind die Schienen verdeckt. Das Resultat sind nahezu unsichtbare Nischen. Das Tor an der Südfassade besteht gar aus drei teleskopierbaren Elementen und braucht damit in seiner "Garage" überraschend wenig Platz.

Neue Täferung trifft Altholz

Die Innenräume begeistern mit ihrer durchgehenden Täferung aus Weisstanne. Dank der millimetergenauen Arbeit der Holzbauer wird das Bild der Maserung nur durch winzige Fugen unterbrochen. Selbst im Falz der Zimmer- und Küchenschranktüren läuft die Zeichnung nahtlos weiter. Und auch die Stufen der Treppe, die vom Ess- und Wohnbereich in das Obergeschoss führt, sind mit einer Exaktheit in die Holztäferung eingelassen, die man vor allem aus dem CAD-Programm kennt. "Eine derart komplexe Täferung haben wir zum ersten Mal gemacht, und zwar von der Planung bis zur Ausführung", sagt Stefan Schoch. Die Verarbeitung und die Montage der Täfer verlangten grosse Sorgfalt. So hielt man während der ganzen Bauzeit ein scharfes Auge auf die Luftfeuchtigkeit, damit keine Verwerfungen oder Spalten entstehen konnten. Im ganzen Haus wurden Teile der alten Bausubstanz als bewusste Gestaltungselemente eingebracht. Die Kleiderbügel der Garderobe hängen zum Beispiel an einer gebürsteten und geölten Stallkette. Die Altholzverkleidung um den begehbaren Kleiderschrank stammt nicht von einem Händler, sondern von der alten Fassadenschalung. Und der Bettrahmen wurde aus Stallbalken zusammengefügt. Neben diesen Reminiszenzen an die frühere Nutzung gibt es auch neue Möbelstücke. Der bewusst rustikal gehaltene Esstisch ist aus dem Stamm einer Ulme vom Tuttwiler Berg geschnitten. Die Oberfläche hobelte der Schreiner von Hand glatt. Aus dem Holz derselben Ulme wurden auch die Abdeckung des Waschtischs im Bade­zimmer sowie die Beine der massgefertigten Stühle gefertigt. Anstelle von Leder sind diese mit Kavalleriestoff bezogen, dem wolldecken­artigen Material, aus dem die Armee vor Jahr­zehnten ihre berüchtigten "Tenü B" schneidern liess. "Dieser Stoff ist immer warm und angenehm, aber nie schweisstreibend", erläutert Beat Lüthi.

Harmonie der Elemente

Zu viel Holz kann rasch einmal den Arvenstübli-Geist atmen. Im neuen Haus von Bea und Beat Lüthi gibt es jedoch deutliche Kontrapunkte. So fällt etwa der rund vier Meter lange, aus acht Millimeter starkem Stahl geschweisste Küchenkorpus auf. Auch der geschliffene Anhydritboden, die sorgfältig kombinierten Möbel im Aussenbereich und die Pflanzen bringen dem Auge eine willkommene Abwechslung. Welches Prinzip steckt hinter dieser Harmonie? "Die fünf Elemente", sagt Stefan Schoch und lacht. Er hat soeben eine Ausbildung zu Feng Shui im Wohnbereich abgeschlossen und ist von deren Nutzen überzeugt: "Als Holzbauer hat man einen starken Bezug zu harmonischem und gesundem Wohnen. Nun kann ich viele Wirkungen noch besser erklären. Und die Kreise schliessen sich."

Keine kreisartige, sondern eine linienförmige Bewegung haben Bea und Beat Lüthi vollzogen. Sie sind vor wenigen Monaten vom benachbarten Riegelhaus in den Neubau gezogen. "Am Anfang wollte meine Frau gar nicht umziehen und war sehr skeptisch. Sie fand, so schön wie im alten Haus könne es gar nicht sein. Aber jetzt will sie nicht mehr weg hier, und ich noch viel weniger", sagt Beat Lüthi. Vor Kurzem hat das Ehepaar ein Fest gegeben. Die 25 Gäste fanden im Lauben­bereich problemlos Platz. Wenn es um Raum geht, gilt in diesem ungewöhnlichen Haus auf einmal wieder: "Das hier ist eine Scheune."

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Umbau einer Scheune, Wängi (TG)
Baujahr: 1909
Umbau: 2014 – 2015
Bauherrschaft: Bea und Beat Lüthi, Wängi
Architektur für Baueingabe: Zech Architektur, Romanshorn (TG)
Ausführungsarchitektur, Holzbau, Bauleitung: Isenring Holzbau AG, Wängi
Holzbauingenieur: Markus Krattiger, Haperswil (TG)
Möbel auf Mass (Essraum, Badezimmer): Thomas Sutter, Appenzell
Küche: Stolz Küchen AG, Eschlikon (TG)
Baumeisterarbeiten: Otto Zwick AG, Bronschhofen (SG)
Dachdecker: Brändle AG, Sirnach (TG)
Spenglerarbeiten: Waga AG, Sirnach
Elektroinstallationen: Elektro Thoma AG, Sirnach
Sanitäre Installationen: Zülle & Partner GmbH, Münchwilen (TG)

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