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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2016 Höhenflug

Wohn.kultur

Hoch gestapelt

Kiste um Kiste stapeln sich die Stockwerke des Mehrfamilienhauses in Unterägeri (ZG) in die Höhe. Der fünf­geschossige Neubau zeigt viel Holz und lässt die Holzbautradition in der Region wieder aufleben.

TEXT SANDRA DEPNER | FOTOS GUIDO BASELGIA | PLÄNE RÖÖSLI ARCHITEKTEN AG

Am Strandweg in Unterägeri (ZG) sind mittlerweile alle sieben Wohnungen in dem modernen, fünfstöckigen Mehrfamilienhaus vermietet. "Alle Mieter und Mieterinnen sind rüstig und gut mobil. Die älteste von ihnen ist über 90 Jahre alt", sagt Architekt Patrick Röösli. Damit ist der fünfstöckige Holzbau bei der Zielgruppe angekommen. Der private Bauherr kam auf Röösli Architekten mit einer sozialen Prämisse für den Neubau auf seinem Grundstück zu: Es sollte ein Mehrfamilienhaus mit altersgerechten Wohnungen werden – ausgerichtet auf die Generation 55+. Die zweite Bedingung: Es sollte unbedingt ein Holzbau werden. Damit reiht sich das Mehrfamilienhaus in eine lange Tradition ein. Das Ägerital ist von ausgedehnten Wäldern umgeben. Lange wurden hier die Häuser mehrheitlich in Block­holzbauweise erstellt.

Aus diesem Kontext her­aus erwuchs der Wunsch des Bauherren für den Holzbau. Zudem pflegen die Menschen in der Region noch ein historisches Handwerk, das in der Schweiz einzigartig ist und europaweit zur Seltenheit geworden ist: das Flössen. Hier wird Holz als Stammbündel über die Wasserstrasse befördert. Am südlichen Ufer des Ägerisees nimmt das im steilen Bergwald geschlagene Holz seinen Weg über den See nach Unter- oder Oberägeri zur Weiterverarbeitung. Alle vier Jahre zieht dieses Traditionshandwerk Menschen in die Region, die den Abschluss der Arbeiten mit einem grossen Flösserfest feiern.

 

Gestapelte Kisten statt biedere Erker

Der fünfstöckige Holzbau ist wortwörtlich hoch gestapelt, denn Architekt Patrick Röösli liess sich beim Entwurf vom Bild gestapelter Holzkisten inspirieren. Das hatte nicht nur ästhetische Gründe, wie er erklärt: "Um die hohe Ausnützungsziffer auszuschöpfen, mussten Erker geplant werden. Erker können aber bieder wirken. Deshalb entwickelte ich ein Konzept bestehend aus fünf unterschiedlich gros­sen Holzkisten – für jedes Geschoss eine – und stapelte diese." Die Kisten sind bewusst nicht exakt übereinandergelegt. Strassenseitig bilden sie feine Vor- und Rücksprünge, wobei jene gegen den See stärker auslandend sind. Dadurch ergeben sich den Wohnungen zugeordnete Aussenflächen. Früher standen in Ägeri zahlreiche Sanatorien. An den historischen Ortskontext soll auch das neue Mehrfamilienhaus erinnern: "Diese Sanatorien waren gegen die Sonne gerichtet und verfügten über grosszügige Fassadenöffnungen; Markisen in Stoff besorgten die Verschattung. Deren Fassaden bestanden aus sonnengebranntem Holz. Der Neubau nimmt diese Themen stimmungsvoll auf. Lediglich der weiteren Verwitterung des Holzes ist Zeit zu gewähren", so Patrick Röösli. "Ich vertrete die Haltung, dass das Holz als Konstruktionswerkstoff sicht- und erlebbar sein darf." Gesagt, getan, wie das Mehrfamilienhaus in Unter­ägeri zeigt. Die Primär- und Sekundärstruktur sind in Holz realisiert, mittels tragender Holzrahmenbauweise aus Brettschichtholz und HBV-Decken. Die äusseren Bekleidungen wurden ebenfalls mit Holz gefertigt. Die Fassade besteht aus einer Biood-Schalung aus Schweizer Weiss­tanne. Bei den Bodenrosten kam Douglasie zum Einsatz. Innen sind die Wände mit Gipskartonplatten beplankt, auf die ein Kalkputz aufgetragen wurde.

Der Grundriss ist in ein Raster unterteilt. Quer zum Gebäude werden die HBV-Decken auf den Rasterachsen mit massiven, sichtbar ausgeführten Unterzügen in Holz abgefangen. An den Rasterpunkten leiten ebenfalls massive Holzstützen die Lasten vertikal ab. Dieses Rasterbild formt auch die Wohnungsgrundrisse. Für die Untersicht der Holz-Beton-Verbunddecken kam ein sichtbarer Brettstapel aus heller Fichte zum Zuge: "Wir wählten für das Massivparkett bewusst das dunklere, leicht rötliche Lärchenholz zur Betonung des schwereren Bodens. Durch das weitgehend sichtbar belassene Holz und die grosszügigen Fassadenöffnungen entsteht ein Wohngefühl wie in einem Höhenkurort", erläutert Patrick Röösli. Der Treppenhauskern hingegen besteht aus sichtbarem Beton. In nur zwei Wochen stand der Rohbau in Holzsystembauweise. Den Zuschlag für die Holzbauarbeiten erhielt die Nussbaumer Holzbau AG aus Baar (ZG). Projektleiter David Niederberger erstellte die Werkplanung, koordinierte Subunternehmer, plante und organisierte den Holzelementbau. Vor allem der Logistikaufwand war nicht zu unterschätzen, wie sich Niederberger erinnert: "Der Neubau steht in einer Sackgasse. Das bedeutet, dass wir nur begrenzt Platz hatten. Die Materialanlieferungen aller Beteiligten mussten deshalb just in time erfolgen."

Die Grundrisse der sieben Wohnungen orientieren sich streng nach einem Raster mit identischen Achsmassen. Diese Reihung führt zu klaren und flexiblen Grundrissen. Vom ­Lavabo bis zur Kochfeldbedienung wurde mit hoher Sorgfalt jedes Detail altersgerechtem und selbstständigem Wohnen angepasst. In den Wohnungen sind Entree, Nasszelle und Küche grossflächig gestaltet, damit die Wende­radien von Rollator und Rollstuhl berücksichtigt werden können. Die Ausstattung orientiert sich an einer altersgerechten Ergonomie. Die Wohnungen sind vollständig schwellenfrei zugänglich. Die schwere Hauseingangstüre öffnet sich elektrisch, ein rollstuhlgängiger Lift erreicht alle Geschosse. Im Erdgeschoss steht ein allgemeiner Gewerbeteil für verschiedene Nutzungen zur Verfügung.

Werkstoff der Zukunft: "Holz ist heimelig"

Der Bauherr trat zu Beginn mit dem expliziten Wunsch auf Architekt Patrick Röösli zu, den Fünfgeschosser in Holzbauweise zu realisieren. Ein Wunsch, der nicht ohne grosse planerische Folgen blieb, wie Patrick Röösli erklärt: "Zu diesem Zeitpunkt war dem Bauherrn die Tragweite seiner Vorstellungen noch nicht bewusst. Bei einem fünfgeschossigen Holzbau ist der feuerpolizeilichen Bewilligungsfähigkeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken." Mit der Unterstützung der Fachleute der Pirmin Jung Ingenieure AG konnte ein Brandschutzkonzept entwickelt werden, das den mehrgeschossigen Holzbau aussen und innen sichtbar belässt. Bei Röösli Architekten nehmen Objekte in Holzbauweise eine wesentliche Rolle ein. "Wir durften bereits ein Dutzend mehr­g­eschossige Häuser in Holz planen und reali­sieren. Auch im Massivbau ist die Rolle des Holzes bedeutungsvoll." Dies können laut Architekt Geschossdecken in Holz, im Denkmalschutz zur Bauzeit formal passende Quergiebellukarnen oder neue Balkone aus massivem Holz sein. Mit den revidierten Brandschutzvorschriften von 2015 erweitern sich die Möglichkeiten im Holzbau. Das spielt Architekten wie Röösli in die Karten und macht den Holzbau für die mehrgeschossige Bauweise attraktiver. "Aus meiner Sicht wird damit besonders in waldreichen Regionen häufiger die Wahl zugunsten eines Holzbaus getroffen und die Holzbautradition wiederbelebt. Dafür sprechen Kriterien wie nachhaltiges Bauen mit einem geringen Anteil an grauer Energie sowie Holz als dämmender, tragender und nicht zuletzt auch emotionaler Werkstoff. Holz ist heimelig." Auch der Faktor Gewicht spreche im Vergleich zu Massivbauten für die Holzbauweise.

Abbruch offenbart alten Blockholzbau

Das neue Mehrfamilienhaus nimmt den Platz eines abgebrochenen Wohnhauses von 1965 ein. Der private Bauherr ist in der dritten Generation Eigentümer der Liegenschaft. Das Gebiet Birizug beim Lorzenabfluss in Unterägeri bestand bis ins 19. Jahrhundert hinein aus sumpfigem, unbewohntem Land. Im Rahmen der Industrialisierung, vor allem durch Spinnereien, wurde die Lorze zur Gewinnung der Wasserkraft kanalisiert und das sumpfige Land konnte besser genutzt werden. Eine genaue Datierung des Gebäudes ist laut Patrick Röösli jedoch nicht möglich gewesen. Während den Abbrucharbeiten trat eine Besonderheit zum Vorschein: Das Haus ist älter als zunächst angenommen: "Hinter den vertäferten Wänden kam ein Blockholzbau mit teilweise alten, aber überdeckten Fensteröffnungen zum Vorschein. Unglücklicherweise ist das Holz in einem schlechten Zustand gewesen und es konnten keine dendrochronologischen Proben entnommen werden", sagt Röösli. Deshalb kann laut Röösli nur vermutet werden, dass die Altliegenschaft aus älteren Häusern zusammengesetzt und im ehemaligen Sumpfland neu aufgebaut wurde. Vielleicht wird der Architekt bald Gewissheit haben. Denn auch der Bauherr hat grosses Interesse daran, mehr über die Geschichte des Altbaus zur erfahren. Auf dem Grundbuchamt will er nun genauere Nachforschungen betreiben. roeoesli-architekten.ch

 

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Neubau Mehrfamilienhaus, Unterägeri (ZG)
Planungs- und Bauzeit: Projektierung 2013, Realisierung 2014 – 2015
Konstruktion: tragender Holzrahmenbau
Bauherrschaft: privat
Architektur: Patrick Röösli, Röösli Architekten AG, Zug
Holzbauingenieur: Pirmin Jung Ingenieure AG, Rain (LU)
Holzbau: Nussbaumer Holzbau AG, Baar (ZG)
Projektleiter: David Niederberger
Fassadenschalung: Schilliger Holz AG, Küssnacht am Rigi (SZ)
Brettstapel: Tschopp Holzbau AG, Hochdorf (LU)
Holz: Schweizer Weisstanne (Fassade), Douglasie (Terrassenboden), Lärche (Massiv- parkett), Fichte (Brettschicht- und Rahmenholz, Brettstapeldecken)
Baukosten: CHF 4,15 Millionen
Kubatur: 4700 m3

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