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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2016 Höhenflug

BAU.WERK

Zwischen Himmel und Hölle

Bei kaum einem anderen Gipfel in der Schweiz sind Triumph und Tod so fest miteinander verbunden wie beim Matterhorn. Wer den Weg über den Hörnligrat wählt, startet meist bei der Hörnlihütte, einem beliebten Ausgangspunkt. Die neue Hörnlihütte mit Holzanbau bietet mehr Komfort, mehr Panorama, mehr Luxus. Früher wie heute entscheidet der Berg, ob der Gipfelstürmer sein Ziel erreichen wird.

 

Text Sandra Depner | Fotos Michel Bonvin; Zermatt Tourismus | Pläne Hans Zurniwen

"In jeder Nacht (...) sehe ich meine Kameraden vom Matterhorn rutschen auf ihrem Rücken, ihre Arme ausgestreckt, in makelloser Reihenfolge bei gleichen Abständen. (...) Ja, ich werde sie immer sehen." Das soll Edward Whymper gesagt haben, kurz nachdem er geschafft hatte, woran viele zuvor scheiterten: Whymper erklomm als erster Mensch den Gipfel des Matterhorns am 14. Juli 1865. Den Aufstieg meisterte er in einer Siebner-Seilschaft. Doch nicht allen gelang der Weg zurück: Vier seiner Berg­steigerkameraden stürzten beim Abstieg in den Tod. Seitdem verloren mehr als 500 Menschen ihr Leben beim Versuch, den Gipfel in den Walliser Alpen zu erobern. Bis zu zehn Todesfälle kommen jährlich hinzu. Un­gebrochen ist die Faszination, die der Viertausender zwischen Zermatt und Breuil-Cervinia auf die Menschen ausübt. "S'Hore", wie die Einheimischen ihr Matterhorn nennen, ist der meist fotografierte Berg der Welt.

 

Basislager für Gipfelstürmer

Im Sommer 2015 feierte das Bergdorf Zermatt das 150-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung. Der "Walk of Climb" entlang der Zermatter Bahnhofstrasse erinnert seither mit bronzenen Gedenktafeln an die verunglückten Erstbesteiger. Eine Lichtinstallation leuchtete im Jubiläumsjahr den Weg der Erstbesteiger entlang des Hörnligrats. Jubiläumsmünzen, Freilichtspiele, eine offizielle Hymne und vieles mehr würdigten den historischen Moment vor 150 Jahren. In die grossen Jubiläumsfeiern eingebettet, reiht sich die Wiedereröffnung einer historischen Stätte des Alpinismus ein: Die "Hörnlihütte 2015" am Fusse des Matterhorns, die umfangreich saniert und modernisiert wurde. Das neue Gebäudeensemble setzt sich zusammen aus dem historischen Pionierbau Belvédère von 1911 und einem ergänzenden Holzelement­bau mit Blechverkleidung. Das Basislager steht auf 3260 Metern über Meer auf dem Ausläufer des Hörnligrats. Es ist ein beliebter Ausgangspunkt für die letzte, vierstündige Etappe auf den Gipfel und hat in der Zeit zwischen Juli und September geöffnet. Die Hütte kann bis zu 130 Gäste beherbergen, verteilt auf 24 Zimmer. Auf der Terrasse lassen sich, direkt über WiFi, Schnappschüsse vom Matterhorn mit dem Rest der Welt teilen. Im Schlaflager kostet die Nacht 150 Franken. Wer mehr Privatsphäre sucht, wählt das Doppelzimmer mit eigenem Badezimmer für 450 Franken pro Nacht, inklusive Frühstück. Wildes Campen ist strengstens untersagt.

 

Entschleunigung am Matterhorn

Wenige Jahre nach der Erstbesteigung setzt auch die Geschichte der historischen Hörnli­hütte ein. Immer mehr Menschen zog es nach dem Triumph Whympers zum Matterhorn. So kam es, dass die Sektion Monte Rosa des Schweizer Alpen Clubs 1880 die Hörnlihütte als Ausgangspunkt errichtete – für die Matterhornbesteigung und als Zufluchtsort bei Wet­terumschlägen. Damals fasste die Hörnli­hütte 17 Schlafplätze. Unmittelbar neben der Hütte entstand knapp 30 Jahre später das Berghaus Matterhorn, das Belvédère. Um den wachsenden Bedürfnissen gerecht zu werden, wurden die Hütten in den folgenden Jahrzehnten mehrmals umgebaut, renoviert und vergrössert und boten ab 1982 Platz für 170 Bergsteiger. 2013 schliesslich nahmen sich die Burgergemeinde Zermatt und die Stiftung "Hörnli­hütte 2015" der Modernisierung der Unterkunft an, um sie an die heutigen Anforderungen an Sicherheit, Hygiene, Umweltverträglichkeit und Funktionalität anzupassen. Die historische Hörnlihütte wurde abgebrochen, das Belvédère sanft renoviert und mit einem modernen Holzbau verbunden. Dessen Unter­geschoss ist aus Beton, darauf ist ein dreistöckiger Holzrahmenbau gesetzt. Die vorfabrizierten Holzbauelemente kamen bereits verkleidet und ausgedämmt zur Baustelle und mussten nur noch als millimetergenaue Puzzleteile zum fertigen Gebäude zusammengefügt werden. Die neue Hörnlihütte bietet nur noch für 130 Gäste Platz. Ziel der Bauherrschaft war es, den Tourismus am Hörnligrat zu entschleunigen und zu beruhigen. Gleichzeitig bietet das alpine Hotel mehr Luxus auf exponiertem und zugleich von dem Rest der Welt abgeschottetem Raum. Das heisst: genügend Frischwasser, genügend Warmwasser, Duschmöglichkeiten, Internetzugang, Panora­masicht auf der Terrasse sowie im Speisesaal und ein Wohlfühlambiente in den mit Holz verkleideten Räumen.

 

Die seit 1911 rund um das Berghaus Belvédère und die historische Hörnlihütte entstandenen An- und Ergänzungsbauten wurden im Rahmen der Bauarbeiten abgebrochen. Die so gewonnene Fläche dient jetzt als Helikopterlandeplatz. Das Belvédère wurde aufgefrischt. Im Erdgeschoss, entlang der weitläufigen Terrasse, befinden sich der Empfangs­bereich und die Küche, in den Obergeschossen sind die Gästezimmer und die Nasszellen untergebracht. Mit dem Belvédère direkt verbunden ist der viergeschossige Holzanbau. Die Haustechnik ist im Untergeschoss, im Erdgeschoss liegt der Speisesaal, in den beiden Stockwerken darüber sind die Schlafräu

BERGSTEIGER ALS VORBILD

"Für die Erneuerung der Hörnlihütte diente uns der Bergsteiger als Vorbild", sagt Hans Zur­niwen. Der Zermatter Architekt erhielt 2010 den Direktauftrag für die Hörnlihütte. "Der Bergsteiger ist als Ganzes ein effizientes System. Er ist ein robuster Geselle, der im unwegsamen Gelände unter schwierigen klimatischen Verhältnissen sein Ziel erreicht und wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt." In diesem Sinne werden laut Zurniwen bei der Hörnlihütte nicht primär einzelne Komponenten der Gebäudehülle, der Gebäudetechnik oder der Energieerzeugung ausgereizt. Das Ziel war die Optimierung des Gesamtsystems unter Berücksichtigung aller Wechselwirkun­gen zwischen den einzelnen Elementen. Die Hörnlihütte ist nicht an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen, sodass der Betrieb und die Versorgung mit Wasser und Energie weitgehend eigenständig erfolgen müssen. Nachhaltigkeit war beim Umbau die wichtigste Prämisse. Ziel war es, natürliche Ressourcen wie Sonnenenergie und Wasser intelligent zu nutzen, die Umwelt­belastung zu verringern und die neuen Brandschutzvorschriften umzusetzen.

In der Umgebung der Hörnlihütte befindet sich keine ganzjährige Wasserquelle. Vor dem Umbau wurde das Schmelzwasser an drei verschiedenen Stellen gefasst und via Benzinpumpe zur Hütte geliefert. Heute existiert nur noch eine Sammelstelle, die auf einen Schmelz­wassersee zugreift, das Wasser in einem unterirdischen Tank speichert und zur Hütte pumpt, wo es gefiltert und desinfiziert wird. Zuvor gelangten Abwasser und Fäkalien ungereinigt in die Nordflanke. Heute wartet die Hörnlihütte mit einem modernen Abwasserkonzept auf: Das gereinigte Dusch- und Küchenwasser kommt als Grauwasser für die Toiletten zum Einsatz; das gesammelte Abwasser aus der Toilette wird hinab zur Abwasserreinigungsanlage in Zermatt geleitet. Vor dem Umbau war das Belvédère nur stellenweise isoliert, lediglich ein Schwedenofen im Aufenthaltsraum spendete Wärme. Zugleich versorgte ein Dieselaggregat die Hütten mit Strom. Flüssiggas kam beim Kochen und für den Wasserboiler zum Einsatz, Autobatterien lieferten die Energie für Radio und Telefon. Das neue Energieversorgungskonzept arbeitet mit Solarkollektoren an den geneigten Dachflächen des Belvé­dère. Das Mauerwerk der aussen gedämmten Gebäudehülle fungiert als thermischer Speicher, der tags aufgenommene Sonnenenergie nachts an den Raum weitergibt. Für kalte Tage steht zudem ein Pelletofen bereit. Mit der Modernisierung hat sich die zugeführte Energie pro Übernachtung nahezu halbiert.

Spielregeln auf dem Berg

Fast zwei Millionen Übernachtungen zählte Zermatt Tourismus 2015. In der kurzen Saison zwischen Juli und September versuchen bis zu 3000 Bergsteiger, den Gipfel zu erreichen. Ein Tag mit guten Wetterbedingungen lockt dann schon mal um die 200 Alpinisten und Bergführer zum Matterhorn. Besonders zu diesen Stosszeiten geht es nicht ohne Spielregeln - aus Gründen der Fairness und der Sicherheit. So darf die Hörnlihütte erst genau um 3.50 Uhr verlassen werden. Damit soll ein frühmorgendliches Wettrennen zum Gipfel verhindert werden. Die Hörnlihütte schreibt eine genaue Reihenfolge vor: "Alpinisten, die sich von einem Bergführer auf das Matterhorn führen lassen, stehen im vorderen Teil der Schlange. Wer den Aufstieg alleine schaffen will, steht hinten an – aus Sicherheitsgründen. Denn wer die Kletterroute verfehlt, wird zur Steinschlaggefahr für die nachfolgenden Bergsteiger."
ad-zermatt.ch, brawand-zimmerei.ch, i-b.ch

 

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Hörnlihütte, Modernisierung und Anbau (2015)
Bauherrschaft: Stiftung Hörnlihütte, Zermatt (VS)
Architektur und Bauleitung: Arnold, Perren & Zurniwen GmbH, Zermatt
Holzbauingenieur: Indermühle Bauingenieure, Thun (BE)
Holzbau: Brawand Zimmerei, Grindelwald (BE);
Holzbau Pollinger AG, St. Nikolaus (VS)
Baukosten: CHF 7,8 Millionen
Geschossflache: 785 m² Anbau, 636 m² Bestand

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