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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2017 Willkommen

BAU.WERK

Hinter alten Scheunenwänden

Abgebaut, umgezogen und Bohle für Bohle wieder um einen neuen Betonkern errichtet: Eine traditionelle Walliser Scheune wird zum modernen Ferienhaus und bleibt aussen doch ganz die Alte.

Der Wanderweg führt auf einer schmalen Strasse entlang eines Bergbachs. Immer im Blick: die Gebirgsgruppe des Mont Blanc. Vereinzelt kommt man an Chalets vorbei, die meisten sind alt und mit der Umgebung längst verwachsen, einige neue fallen mit ihrem hellen, kaum ergrauten Holz von Weitem auf. Die alte Scheune auf der grossen Wiese fügt sich unauffällig in diese Umgebung ein. Dass hinter den verwitterten Balken moderne Wohnräume liegen und das Gebäude vor ein paar Monaten noch in Bau war, würde keiner der Wanderer hier vermuten. «La Grange» – das neue alte Ferienhaus stand über 200 Jahre lang inmitten eines grossen Familienanwesens, dicht an die benachbarten Häuser gebaut. Ein verlassenes Landwirtschaftsgebäude, das Stauraum für Geräte bot, aber den umliegenden Gebäuden Sonne und Platz raubte. Abreissen wäre die logische Folge gewesen. Die Bauherren hatten aber einen ganz anderen Plan: 2016 sollte aus der alten Scheune ein modernes Ferienhaus entstehen. «Dem Haus ein zweites Leben geben, das war der Wunsch der Bauherren», erklärt der Architekt Oliver Regazzoni, der für diese Aufgabe engagiert wurde.

Um für die umliegenden Häuser Platz zu schaffen, wurde der Schober vom ursprünglichen Grundstück weg auf eine freie, offene Wiese an den Rand von Orsières versetzt. Dazu musste das Gebäude komplett demontiert und am neuen Standort, um einen Anbau erweitert, wieder aufgebaut werden. Das verwitterte Äussere der Scheune wollten die Bauherren im ursprünglichen Zustand belassen, für die Innenräume wünschten sie sich hingegen Moderne und Purismus. Für den Architekten eine spannende Ausgangslage – denn der neue Gebäudekern musste sich nach der Form und den Dimensionen der Scheune richten und trotzdem für heutige Zwecke optimal genutzt werden können. Mit den Holzbauten wurde die Firma Tornay SA betraut, ein familiengeführter Holzbaubetrieb, der bereits seit 2003 in
Orsières ansässig ist.


Der Abbau: Bohle für Bohle, Schiefer um Schiefer

Sorgfältig und systematisch ging es an den Abbau der bestehenden Struktur. Yves Tornay, der verantwortliche Holzbauer, kennt die Beschaffenheit der alten Walliser Scheunen gut: «In der Vergangenheit wurden diese Scheunen wie Lego-Häuser gebaut. Zuunterst die steinernen Stelzen, die Mäuse daran hindern sollten, einzudringen.Darauf errichtete man die Struktur, die Kellersohle und dann die Hauptpfosten. Die Planken wurden nur noch in die vorgesehenen Nuten geschoben und fixiert.» Diese Struktur wurde nun Stück für Stück wieder abgebaut. Zuerst sortierten Tornay und seine Männer die Dachschiefer, nummerierten dann jede einzelne Planke und demontierten diese – alles von Hand. Nur für das Heben und Laden des massiven Rahmenwerks wurde ein Kran eingesetzt. Insgesamt zwei Wochen nahm der Abbau der Scheune in Anspruch.

Alt trifft auf neu: Das Holz Ummantelt den Kern aus Beton

Währenddessen wurde am neuen Standort mit dem Bau des Gebäudekerns begonnen. Vom trapezförmigen Schober erstellte der Architekt einen detaillierten Aufriss, aus Basis dessen die Betonplatten realisiert wurden: die Unterbodenschicht, der Boden des Erdgeschosses und die tragenden Elemente der Geschosse. Der Gebäudekern aus Beton erstreckt sich über alle drei Stockwerke hinweg. Die Küche und die Bäder befinden sich im Kern, die Wohnräume – drei Schlafzimmer und das Wohnzimmer – sind darum herumgruppiert. Der Betonkern bildet das tragende Element des Hauses. Nachdem der Bau des Gebäudekerns abgeschlossen war, begann Tornay mit dem Wiederaufbau der Holzstruktur, ausgehend von einem neuen, horizontalen Holzbalken, der wie eine Sohle im Erdgeschoss ruht. Mithilfe eines Krans wurde darauf das alte Rahmenwerk auf die Betonplatte gestellt und montiert.

Die ursprüngliche Struktur war gestellt. Den zusätzlichen Anbau hatte Regazzoni seitlich am Gebäude geplant. Bereits in der Vergangenheit wurde so die Scheune erweitert. Eine Verlängerung des Dachs schuf zusätzlichen Raum. Ausserdem ergänzt ein neuer Dachstock die bestehende Konstruktion. An dem Dach wurde zum Schluss der Balkon angehängt, wie bei traditionellen Bauten üblich. Für Anbau und Dachstock verwendete Tornay wo möglich die bestehenden Planken oder beschaffte andernfalls passendes Altholz aus der Region. «Die Kombination der unterschiedlichen Materialien – metallene Trägerstangen, Beton, die alten Holzbohlen – und die Isolation, das machte dieses Projekt herausfordernd», sagt Tornay.

Konsequent: Wo es in Fenster Braucht, wurde es aus der Fassade geschnitten

Nach der Montage der Fassade wählte der Architekt die Position der Fenster. In jedem Raum sollten es zwei sein, um die Zimmer grosszügig wirken zu lassen und freie Sicht auf die Berge zu geben. Die meisten Fenster sind von aussen verlattet, doch wo diese offen liegen, wurden die Öffnungen aus den Bohlen geschnitten, auch durch tragende Elemente hindurch. Für die Isolation der Fassade wurde eine Holzunterkonstruktion mit Wärmedämmung gefüllt und gegenüber den äusseren Planken montiert. Auf diesem Rahmen ist die Innenauskleidung je nach Wohnbereich mit Gips- oder Holzplatten angebracht.

Im Kontrast: Die Innenräume sind hell und puristisch

Sichtbeton, verputzte Wände und unbehandeltes Lärchenholz wurden für den Innenausbau gewählt. Hell, puristisch und zeitgenössisch wirken die Räume – von einem klassischen Chalet weit entfernt. «Im Innenraum gibt es keine sichtbaren Elemente der Scheune. Einzig bei den Fenstern, die verlattet sind, sieht man die alten Planken der Fassade», sagt der Architekt. Bei der grossflächigen, modernen Schiebetüre verdecken die alten Lärchenbohlen fast die Hälfte des Glases. Dadurch wirkt das Gebäude von aussen fensterlos und verstärkt damit den Eindruck einer ursprünglichen Scheune. Die alten Balken sind schwer, die Verbindungsstücke grob von Hand gezimmert, das Holz knorrig und spröde.

Einen Bezug auf die alte Fassade gibt es noch im Inneren: «Für den Beton haben wir Schalungen mit einer charakteristischen Holzstruktur verwendet», sagt Regazzoni «so erinnern auch die neuen, kühlen Flächen an das verwitterte Holz der Fassade.» Eine alte Bausubstanz wiederzuverwenden, ist einiges komplexer und aufwändiger, als ein Gebäude von Grund auf neu zu bauen. «Dieses Projekt zeigt, dass wenn wir unser architektonisches Erbe respektieren, auch etwas Interessantes aus einer alten Scheune entstehen kann», resümiert Regazzoni. lrarchitectes.ch, tornay-sa.ch


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