Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2017 Wertewandel

BAU.WERK

Durchdacht bis zur Fuge

Eine alte Scheune wird zum Wohnhaus umgebaut. Bleiben sollte der ursprüngliche Charakter, denn das Gebäude im Dorfkern von Schlieren erzählt als eines der letzten die Geschichte des früheren Bauerndorfs.

Text Helen Oertli | Fotos Christian Senti

Schlierens Dorfkern kennen die wenigsten Auswärtigen. Bekannt ist die Zürcher Gemeinde für seine beliebigen Neubauten und die vielspurige Durchgangsstrasse. Umso wertvoller ist den Schlieremern der noch intakte Kern; die stattlichen Häuser, an denen die Geschichte des ehemaligen Bauerndorfs abzulesen ist. Eines davon, ein Bauernhaus mit einer grossen, schon etwas verfallenen Scheune, steht mitten im Dorfkern.

Das Haus wird auf dreihundert Jahre geschätzt, die Grundmauern gehen sogar auf das 14. Jahrhundert zurück. Es ist eines der letzten ursprünglichen Häuser in Schlieren. Und das letzte, bei dem täglich noch der Traktor vorfährt. Im alten Bauernhaus aufgewachsen, betreibt die Familie noch heute Ackerbau in Schlieren. Die Scheune ist der Lagerraum für die landwirtschaftlichen Gerätschaften. 2013 entschied die Familie, das Wirtschaftsgebäude abzubauen und den Platz für Wohnraum umzunutzen. Der Charakter der Holzscheune sollte erhalten bleiben. Für den Ersatzneubau wurde das Architekturbüro Singer Baenziger Architekten aus Zürich engagiert. «Wir haben uns dem Haus verpflichtet gefühlt: Der Neubau sollte dem besonderen Standort gerecht werden», erinnert sich Rémy Baenziger, der ausführende Architekt.

Unkonventioneller Holzbau

Das Bauvolumen war durch den Grundriss vorgegeben: Unter dem breiten Satteldach mit Dachbruch und einer Doppelgaube sollten drei neue Wohnungen entstehen. Der Entscheid, mit Holz zu bauen, war rasch gefällt. Intensiv hingegen war die Suche nach dem geeigneten Holzbaupartner. Denn das Architekturbüro hatte eine sehr konkrete und teils auch unkonventionelle Vorstellung von der Holzkonstruktion. Bei Schaerholzbau traf Baenziger auf eine aufgeschlossene Firmenkultur und das nötige Know-how, um das Projekt eins zu eins umsetzen zu können.

Schräg und krumm sei der bestehende Altbau gewesen, erzählt Kilian Bossert, Projektleiter bei Schaerholzbau. Zu Beginn wurde deshalb eine Schiftkonstruktion angebracht, um den Übergang zum Bestand auszugleichen. Das Fundament für den Neubau bildet ein Betonsockel. Dieser schützt die Holzstruktur und leitet die Kräfte der tragenden Ständer in den Boden. Weil der Sockelanschluss sichtbar ist, war bei der Anpassung der Holzbaukonstruktion eine hohe Präzision gefordert. Schaerholzbau zog deshalb einen Geometer bei. Anfang März 2016 begannen die Aufrichtarbeiten. Die Elementbauteile wurden geschossweise aufgerichtet. Für die vertikalen Elemente wurden Rahmenbauteile mit Dreischichtplatten verbaut, für die Decken kamen Hohlkastenelemente zum Einsatz. Das sichtbare Holz ist aussen wie innen Weisstanne. Das restliche Konstruktionsholz sowie die Platten im Inneren, die später gestrichen wurden, sind Fichte. Drei Woche dauerte das Abbinden und die Elementproduktion im Werk. Die Holzkonstruktionsplatten für die Auskleidung der Innenwände wurden nur zugeschnitten und separat mitgeliefert. Die Innenverkleidung sollte gemäss einem vorgegebenen Schema beplankt werden. Weil dieses Muster teilweise über mehrere Elemente läuft, konnten die Platten für die Innenverkleidung erst auf dem Bau montiert werden.

«Die sichtbaren Fugen im Inneren sollten ein Netz aus feinen Linien in den Raum zeichnen und einen gefügten und feingliedrigen Ausdruck verleihen», erklärt Baenziger. Bereits in der Ausschreibung war die Positionierung der Planken vorgegeben worden. Und auch wie die Platten gefast werden sollten, damit die gewünschte Geometrie an den Stössen entsteht. «Wir haben es sehr weit getrieben», gesteht der Architekt zu. Auch bei der äusseren Fassade entschied sich Baenziger für eine ungewöhnliche Tragstruktur.

Das Ständerwerk, üblicherweise verdeckt durch die Fassade, wurde für diesen Bau nach aussen gekehrt. Charakteristisch für Scheunen sind die Balkenverstrebungen im Inneren; dieses Merkmal wollte der Architekt übernehmen und aussen sichtbar machen. Die Balken aus roher Weisstanne wurden deshalb erst nach dem Aufrichten der Elementbauteile aufgestellt. Die vertikalen Stützen und horizontalen Simse stehen der Fassade vor, wodurch eine Fügung mit Feldern entsteht.

Das verleiht der Fassade eine lebendige, dreidimensionale Struktur. Die dazwischenliegenden Felder sind entweder Dreischichtplatten oder Fenster mit schlanken, weiss gestrichenen Holzrahmen. Auf eine selbstverständliche Weise sind so die grossen Fenster in die Fassade eingefügt. Bei ähnlichen Projekten werden die Gläser häufig verlattet, um einen geschlossenen Eindruck zu vermitteln. Singer Baenziger Architekten hatten nach einem neuen Ansatz gesucht, die Fenster harmonisch in die Fassade zu integrieren.

Ein Holzpflasterboden wie in alten Pferdeställen

Vier Parteien liegen heute unter dem grossen Satteldach: das ursprüngliche Bauernhaus – leicht saniert – und drei neue Wohneinheiten, wo zuvor die Scheune stand. Vorne ist das Gebäude von einem Kiesplatz umgeben, der auf den Gassenraum führt. Kaum Autos verkehren hier. Der Dorfbrunnen, eine Brockenstube und die Kunstschlosserei umschliessen den Platz. Hinter dem Haus stehen im alten Obstgarten knorrige Kirsch- und Apfelbäume.

Dadurch, dass die Wohnungen vertikal angeordnet sind, haben alle Parteien einen direkten Zugang zu Garten und Gassenraum. Der Innenausbau der Wohnungen ist modern und zeigt den städtischen Kontext. Im Erdgeschoss weiss gestrichen, sind die Wände in den oberen Etagen mehrheitlich naturbelassen. Je höher hinauf, desto hölziger wird's.

Das Wohnzimmer und die Küche im Erdgeschoss wirken dank der grossen Fenster hell und offen. Oben unter den Dachschrägen liegen die Schlafzimmer. Die zwei mittleren Wohnungen profitieren dank der beiden Quergiebel von hohen Räumen. Deren drei Geschosse sind im Split-Level organisiert. Die äussere und schmalste Einheit – das Stöckli – hat eine zweigeschossige Wohnküche, die sich gegen den Strassenraum öffnet. Die grossen Fenster erinnern heute an das frühere Scheunentor.

Wie in alten Pferdescheunen ist der Boden ein Parkett aus Holzpflaster. Nur dass diese Ausführung anders als im Pferdestall geschliffen und edel daherkommt. In den Schlafzimmern setzte Schaerholzbau Massivholzriemenboden aus der eigenen Fertigung ein. Die Riemen aus Weisstanne und Esche sind unregelmässig in verschiedenen Breiten und Längen verlegt. Weil es wenig Verschnitt gibt – auch grössere Äste sind erlaubt – liegen hier die Kosten relativ tief. Ein besonderes Merkmal in den Wohnungen sind die bunten Badezimmer. Jede Wohnung hat eine eigene Farbe. Dunkelblau, hellblau und violett gestrichen, setzen die Bäder Farbtupfer in den sonst zurückhaltend gestalteten Räumen.

Der Traktor bleibt im Dorf

Der Bau wurde von einer Jury mit dem «Best Architects Award 2018» ausgezeichnet. Aus 367 Projekten von ganz Europa wurden 71 Bauten ausgewählt, deren architektonische Qualität als herausragend beurteilt wurde. «Die Anerkennung der Leistung bedeutet uns viel», sagt Baenziger. Gerade weil das Architekturbüro bei diesem Projekt die gesamte Bauleitung innehatte, von der ersten Skizze bis zur Schlüsselübergabe. «Einmalig und überzeugend in der Umsetzung», sagt Bossert, ist der Bau auch für Schaerholzbau ein schönes Vorzeigeobjekt.

Und die Bauherren, die heute im Stöckli wohnen? Sogar beim Einkaufen werden sie auf den Umbau angesprochen: die Schlieremer werten es hoch, dass der alte Charakter der Scheune erhalten geblieben ist. Und am Mittag hört man weiterhin das Traktorengeräusch. Wenn der Ackerbauer zum Mittagessen nach Hause fährt, ist es noch fast wie früher, nur schöner.
singerbaenziger.ch, schaerholzbau.ch



Das Projekt – die Fakten

Objekt: Vielzweckbauernhaus
Standort: Schlieren (ZH)
Bauherrschaft: privat
Architektur und Bauleitung: Singer Baenziger Architekten, Zürich
Holzbau: Schaerholzbau, Altbüron (LU)
Baukosten: CHF 2?810?000
Auszeichnung: Best Architects Award 2018
Rauminhalt: 3100 m3
Verwendetes Holz: 43 m3 Konstruktionsholz, 700 m2 Dreischichtplatten aus Weisstanne für die sichtbaren Flächen, 1200 m2 Dreischichtplatten aus Fichte für gestrichene Flächen

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz