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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2016 Bewegung im Holzbau

BAU.WERK

Gondeln ins Glück

Dem Nebel entfliehen und den Holzbau von seiner schönsten Seite kennenlernen. Das bietet die neue Seilbahn auf den Weissenstein. Das anspruchsvolle Projekt gelang dank der Zusammenarbeit von drei regionalen Holzbaufirmen.

Der alte Sessellift auf den Weissenstein ist vergessen, ebenso das jahrelange Seilziehen um den Neubau der Bahn. Zu Tausenden strömen die Menschen aus der Region Solothurn auf ihren Hausberg, und der Fahrt auf dem alten Lift inklusive Zähneklappern und Wolldecke trauern wohl nur noch wenige nach. Die neue Bahn überzeugt nicht nur mit Komfort und Schnelligkeit, sie ist auch ein Leuchtturm für den Schweizer Holzbau. Hundert Prozent Schweizer Holz wurde in die eleganten Dachkonstruktionen der drei Stationsgebäude verbaut. So manche Holzbauklasse dürfte ihre Schulreise in den nächsten Jahren auf den Weissenstein machen.

Hinter dem schönen Resultat steckt ein echter «Hoselupf». Nur zwölf Wochen blieben den drei beteiligten Holzbaufirmen, um die Gebäudehülle der drei Stationen zu montieren. Bis zu 25 Zimmerleute waren gleichzeitig auf dem Platz. «In 30 Jahren habe ich noch nie
so harte Terminverhandlungen erlebt», sagt Beat Bader, Geschäftsleiter der Bader Holzbau AG in Aedermannsdorf (SO). Seine Firma übernahm die gesamten Holzbauarbeiten in Kooperation mit der Späti Holzbau AG aus Bellach (SO) und der Holzbau Moosmann AG aus Rüti bei Büren (BE). Das ungewöhnliche Teamwork gelang mit Bravour. Entscheidend war laut Bader, dass sich die Mitarbeiter der verschiedenen Firmen auf der Baustelle stets als Team und nicht als Konkurrenten ver­hielten.

Sanfte Rundung, harte Arbeit

Das Gebiet um den Weissenstein ist im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenk­mäler von nationaler Bedeutung (BLN) eingetragen. In dieser sensiblen Umgebung wirken die drei Seilbahnstationen wie die im Wald zum Abtransport bereitgelegten Rundholzstapel. «Die Gebäude sollen sich möglichst gut in die Landschaft einfügen. Deshalb haben wir neben der Materialisierung mit Holz eine zurückhaltende Formgebung ohne Kanten gewählt», erläutert Guido Kummer von Guido Kummer + Partner Architekten aus Solothurn. Die natürliche Farbgebung der Stationsdächer korrespondiert ebenfalls mit der Umgebung.

Seilbahnen werden vom Bundesamt für Verkehr (BAV) streng normiert und beaufsichtigt. Bei der Weissensteinbahn stellten auch andere Behörden und Organisationen zahlreiche Bedingungen. Allein die Plangenehmigung durch das Umwelt- und Verkehrsdeparte­ment (Uvek) umfasste 183 Seiten. «Alles unter ein Dach zu bringen, war eine anspruchsvolle Aufgabe», resümiert Guido Kummer. Das begrenzte Budget der Seilbahn Weissenstein AG und die äusserst engen Zeitfenster für die Montage waren weitere Herausforderungen. Dank einer engen Zusammenarbeit, grosser Motivation und viel Herzblut aller Beteiligten konnte die Seilbahn trotzdem auf Termin eröffnet werden.

Verborgene Technik

Die kompakten Abmessungen der Stationen täuschen. Der grösste Teil der Technik ist im Boden verborgen. So reichte etwa der Aushub für die Talstation beim Bahnhof Oberdorf (SO) bis zu 15 Meter unter Terrain, was eine Hang­sicherung verlangte. Die Mittelstation im Nes­selboden wiederum liegt in einem Rutsch­gebiet. Weil die Baute den gesamten Antrieb und die Umlenkung der Seilachse aufnimmt, war eine aufwendige Gründung notwendig. Auch die neue Bergstation, die auf teilweise zerklüftetem Jurakalk steht, musste solide fundiert werden.
Seilbahnteil und Holzbau sind bautechnisch strikt voneinander getrennt. Trotzdem wirken die Gebäude als harmonische Einheit. Im Quer­schnitt stimmt die Geometrie der drei Sta­tionen überein. Die Masse der Bogenbinder bleiben von der Tal- bis zur Bergstation identisch, allerdings verändert sich ihr Sprungmass. Beträgt dieses im Tal 1,8 Meter, sind es am Nesselboden 1,2 und auf dem Berg 1,0 Meter. Mit der engeren Staffelung können die statischen Anforderungen erfüllt werden, denn mit der Höhe nehmen auch die abzutragenden Wind- und Schneelasten zu.

Der Innenraum der Stationsgebäude erinnert an einen Schiffsrumpf. Wie Spanten wölben sich die grossen Bogenbinder über den Stahlseilen der Bahn. Sie wurden im Werk der neue Holzbau AG (n’H) aus Schweizer Holz her­gestellt. Die Binder sind im First geteilt und mit einer gelenkigen Verbindung (GSA-G) zusammengefügt. Im Fusspunkt liegen sie genau auf der Achse der Betondecke auf. «Die Bogenbinder durchstossen die Decke», sagt Andreas Lüthi, projektleitender Ingenieur bei n’H. Die Binder sind auf Fussplatten gestossen und verschraubt. Ein HEB-Stahlprofil ist quer zur Binderebene in der Betondecke eingegossen und trägt die Platten. Bei der 3-D-CAD-Planung erfasste man nicht nur die Holzbauteile, sondern auch die angrenzenden Massivbauvolumina. Damit konnten einige drohende Kollisionen rechtzeitig erkannt und verhindert werden.

«Elefantenzähne»

Für die Montage der Binder blieben den Holzbauern nur fünf Tage pro Station. Dank einer engen Abstimmung mit den Baumeistern gelang es, die Binderverlängerungen oder «Elefantenzähne», wie sie die Holzbauer nannten, vorzumontieren. Um das Unfallrisiko zu minimieren, wurde jeweils das vorderste Binderpaar mit der Dachschalung in der Werkstatt zu einem Element vormontiert. Ein provisorisches Geländer gewährleistete die Absturzsicherung. Dank dieser Idee von Jürg Affolter, Geschäftsleiter Moosmann Holzbau AG, konnten die Binder einfach und sicher aufgerichtet werden. Ein Erfolgsfaktor war auch das gute Einvernehmen der Holzbauer mit den Baumeistern. «Nicht nur beim Holzbau, auch beim Massivbau hat die Bauherrschaft regionale Unternehmen ausgewählt. So kannten wir Zimmerleute und Baumeister uns schon von anderen Baustellen und konnten uns gut abstimmen, statt um den Kran zu streiten», sagt Beat Bader.

Die Passagiere gelangen von Südwesten her in die Mittelstation Nesselboden. Hier wird die Seilrichtung geändert. Der zweite Abschnitt der Seilbahn führt in Richtung Norden auf die Krete des Weissensteins. Deshalb ist das Gebäude um 43,83° Grad abgeknickt. Dies erforderte einen 48 × 84 Zentimeter starken Kehl­gratsparren mit der Festigkeitsklasse GL-36k. In diesen blockverleimten Sparren wurden die Bogenbinder eingehängt.

Schutz vor Wind und Wetter

Der Wind am Weissenstein bläst Regen und Schnee mit bis zu 140 Stundenkilometern bis in die hintersten Ritzen des Daches. Bei der Bergstation mit ihrer vollflächigen Fensterfront mussten gleich zwei Lastfälle abgedeckt werden: «Bei Nordwind drückt die Bise mit voller Kraft auf die gesamte Konstruktion. Bei schlechtem Wetter bläst der Westwind von der Seite ins Gebäude wie in einen Plastiksack. Die Fensterfront musste deshalb auf Druck wie auf Zug einwandfrei in die Dachscheibe verankert werden», erläutert Andreas Lüthi. Auf den Riegeln wurden sämtliche Aluprofile mit Vollgewindeschrauben befestigt. Die Schrauben sind mit 8 × 100 Millimetern zwar nicht ungewöhnlich gross, allerdings mussten doppelt so viele verbaut werden wie üblich. Die Dachschalung wurde explizit als Witterungsschutz definiert. «Die verlangte Wasserdichtigkeit erreichen wir mit der Unterdachkonstruktion», erläutert Andreas Lüthi. Nach langer Suche entschied man sich für eine Contec-Flachdachfolie. Das gut vier Millimeter starke Produkt ist ungewöhnlich verformbar und elastisch, was die Montage vereinfachte. Bis zu 50 Quadratmeter grosse Unterdachbahnen konnten am Stück verlegt und mit wenigen Schweissnähten verbunden werden.

Die Dachinnenseiten der drei Gebäude wurden mit einem farblosen Feuchteschutz behandelt. Die 40 Millimeter starke untere Dachschalung aus Fichte ist mit Nut und Kamm ausgebildet und wird durch eine 20 Millimeter starke Diagonalschalung aus Weisstanne überdeckt. An der Aussenseite erhielt die Dachhaut einen silbergrauen Anstrich. Wie stark es am Weis­senstein nun auch «hudlet» – zumindest in der Station werden die Passagiere der neuen Bahn nicht nass.

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Seilbahnstationen Weissenstein
Bauherrschaft: Seilbahn Weissenstein AG, Oberdorf (SO)
Bauzeit: 2013–2014
Architektur: Guido Kummer + Partner Architekten, Solothurn
Ingenieur in der Wettbewerbsphase: Makiol Wiederkehr AG, Beinwil am See (AG)
Holzbauingenieur in der Umsetzung: neue Holzbau AG, Lungern (OW)
Ausführung Holzbau: Kooperation Holzbau Weissenstein mit Bader Holzbau AG,
Aedermannsdorf (SO), Holzbau Moosmann AG, Rüti bei Büren (BE), Späti Holzbau AG,
Bellach (SO)
Verwendetes Holz: 3000 m?2 Schalung und 300 m?3 Konstruktionsholz
Zertifikat: «Herkunftszeichen Schweizer Holz»
Auszeichnung: Prix Lignum 2015, Anerkennung Region Nord
Baumeisterarbeiten: Marti AG, Solothurn, Galli AG, Zuchwil (SO)
Gondelbahn: Garaventa AG, Goldau (SZ)

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