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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2017 Natur pur

Stil.Form

Wintersport unter Dach und Fach

Der Eispavillon in St. Moritz ist legendär. Dort wurden während der Olympischen Spiele 1928 und 1948 die besten Wintersportler geehrt. Später verfiel er dann zur Bauruine. Doch rechtzeitig zur Ski-Weltmeisterschaft 2017 wird wieder an die glanzvollen Zeiten angeknüpft – und mit zwei spektakulären Holztribünen ein neuer baulicher Akzent gesetzt.

Text Dorothee Bauland | Fotos Blumer-Lehmann AG, Contec AG

1905 – die Belle Époque. In St. Moritz floriert der Wintertourismus. Seit rund vierzig Jahren schon kommen wohlhabenden Gäste, um sich an der Engadiner Bergwelt zu erfreuen. Das Kulm Hotel St. Moritz hat sich im Laufe der Zeit zur ersten Adresse in den Schweizer Alpen entwickelt. Auch immer mehr Engländer verbringen ihre Ferien im Kulm und tüfteln an neuen Sportarten im Eiskanal – Bob, Skeleton und Cresta entstehen. Den Wintersport in St. Moritz gibt es schon rund zwanzig Jahre, als das Kulm 1905 seinen Eispavillon baut, in einer Synthese aus Jugend- und Heimatstil.

1928 – die goldenen Zwanziger gehen zur Neige. In St. Moritz werden die zweiten Olympischen Winterspiele eröffnet. Das Kulm ist Dreh- und Angelpunkt dieser Winterolympiade, sein Pavillon das Hauptquartier der Eislaufathleten. Aber auch ausserhalb der sportlichen Wettkämpfe ist der Pavillon ein Treffpunkt zum Schlittschuhlaufen, Curlen und Eishockey spielen – für die Einheimischen ebenso wie für die High Society.

1948 – die Nachkriegszeit. St. Moritz ist erneut Gastgeber der Olympischen Winterspiele, es sind die zweiten für die Schweiz und die fünften seit Beginn der Winterspiele. Das Hauptzentrum der sportlichen Wettkämpfe befindet sich mit dem Olympia-Eisstadion in St. Moritz-Dorf. Beim Kulm Hotel steht die Kunsteisbahn für die Disziplinen Eiskunstlaufen und Eishockey-Spiele. Im Eispavillon sind die Umkleidekabinen der Wettkampfteilnehmer untergebracht.

1988 – die Sporttradition im Kulm Hotel lebt weiter, doch die Ära des Eispavillons geht zu Ende. Das zweigeschossige Gebäude mit seinen verspielten Formen, dekorativen Verzierungen, viel Holz und Naturstein wird geschlossen und verfällt zusehends. Ein Umbauvorhaben mit der Idee, dort ein Museum zu installieren, scheitert 2007 in einer Abstimmung knapp an zwei Stimmen.

2017 – die 44. Alpinen Ski-Weltmeisterschaften werden in St. Moritz durchgeführt. Für den Schweizer Skisport sind das glorreiche Momente. Und für den Eispavillon bedeutet das endlich wieder einen glanzvollen Auftritt. Er heisst jetzt «Kulm Country Club». Acht Monate Bauzeit und rund zwölf Millionen Franken sind investiert worden. Der Umbau trägt die Handschrift des britischen Stararchitekten Sir Norman Foster. Doch der Clou sind die zwei neuen Tribünen am Rande der Eisfläche. Es sind Meisterwerke der Holzbaukunst. Sie bilden auf dem Zeremonienplatz der 44. Alpinen Skiweltmeisterschaften den repräsentativen Rahmen für die Eröffnungsfeierlichkeiten. Nach der WM werden sie als Zuschauertribünen für Eislauf- und Konzertevents zum Einsatz kommen.

Haupt- und Nebentribüne in Holz

Bei aller Begeisterung für die gelungene Renovation des Eispavillons – wenn das Architekturbüro Foster + Partners in die Planung involviert ist, wird mehr erwartet als nur die bauliche Wiederbelebung der Historie. Ihrem Ruf werden die Briten selbstverständlich auch in St. Moritz gerecht; mit den beiden Tribünendächern in Holzbauweise, mit denen nun die Natureisbahn gefasst ist. In der Ausführungsplanung unterstützt wurden sie von Küchel Architects aus St. Moritz, dem Ingenieurbüro SJB Kempter Fitze AG aus Frauenfeld und dem Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann AG aus Gossau (SG). «Es war ein sehr aufwändiger, intensiver Planungsprozess, um der anspruchsvollen Architektur gerecht zu werden», erinnert sich David Riggenbach, verantwortlich für Technik/Engineering bei der Blumer-Lehmann AG. «Für fast jedes Detail mussten verschiedene Varianten entwickelt und geprüft werden.» Bei einigen Details sei auch die Einflussnahme von Sir Norman Foster zu spüren, der zeitweise in St. Moritz wohnhaft ist.

Die Haupttribüne mit einer Grundfläche von 8,15 × 25 Metern schliesst direkt an den Eis-
pavillon an, die Nebentribüne mit ihrer Grundfläche von 4,3 × 13,3 Metern steht etwas abseits und ist zur Haupttribüne um etwa 45 Grad gedreht. Die schirmartige Tragwerkskonstruktion besteht aus Hauptträgern in Eschenholz, die als Kragträger eingesetzt sind. Die Träger sind paarweise V-förmig angeordnet, so dass sich traufseitig die Stützen und am Pultdachfirst die Trägerenden treffen. Insgesamt gibt es an der Haupttribüne sechs Kragträgerpaare mit einem Achsabstand von 3,60 Metern und einer Auskragung von je rund 7,50 Metern. An den beiden Aussenseiten der Tribünen sind jeweils dreifach aufgefächerte Kragträger installiert. Bei der Nebentribüne beträgt der Achsabstand der ebenfalls sechs Kragträgerpaare jeweils nur 1,80 Meter, die Auskragung beläuft sich hier auf rund 3,90 Meter. Für das Team der Blumer-Lehmann AG bestand eine grosse Herausforderung darin, die perfekte Geometrie für die Konturen der Kragträger zu finden, sodass die extra angefertigten Fräswerkzeuge sowohl bei den 240 Millimeter breiten Trägern der Haupttribüne als auch bei den 160 Millimeter breiten Trägern der Nebentribüne entsprechend eingesetzt werden konnten.

Randträger mit engen Radien

Der umlaufende Randträger ist in Lärchenholz realisiert. Er bildet den Abschluss des Daches und verläuft von der äussersten Stütze der Haupttribüne über deren Dachrand zum oberen Abschluss der Wand des Eispavillons. Auf der anderen Seite verläuft er zu Nebentribüne und umfasst auch dort den Dachrand. Die Dachscheibe dient zur Aussteifung der Konstruktion.

«Dieser Randträger weist zum Teil extrem enge Radien auf», beschreibt David Riggenbach die Herausforderungen bei der Produktion. «In einzelnen Bereichen wurde das Brettschichtholz aus Dünnschichtlamellen von nur drei Millimetern Stärke verleimt.» Das Sekundärtragwerk besteht aus liegenden Brettschichtholz-Trägern, welche auf die Kragträger verlegt wurden. An der Dachunterseite und an der Tribünenrückwand sind horizontal verlaufende Lärchenholzlatten befestigt. Letztere gewähren zur Strasse hin eine gewisse Transparenz.

Das Dach als Blickfang

Die elegante Holzkonstruktion wird durch einen kupferverkleideten Dachrand gekrönt. Gegen Witterungseinflüsse ist die Tribüne nach oben mit Kautschukbahnen abgedichtet. Auf der Haupttribüne sind rund 200 Quadratmeter und auf der Nebentribüne rund 80 Quadratmeter der Contec-Kautschukbahnen durch die Bühler Bedachungen Bauspenglerei AG verlegt worden. Der Wetterschutz ist wie ein Nacktdach konzipiert. Die Dachbahnen bleiben jahrzehntelang elastisch, sind UV-beständig, wurzelfest sowie herbizid- und pestizidfrei. Ausserdem erfüllen sie ein wesentliches Kriterium der Aufgabenstellung: Sie ermöglichen einen schlanken Aufbau. Abgedeckt sind die schwarzen Kautschukbahnen mit einem Lärchenholzrost.

Befestigung und Montage

Die Kragträger der Tribünenkonstruktion verfügen über biegesteife Eckverbindungen und sind per Fusseinspannung fixiert. Sowohl die Fusseinspannungen wie auch die biegesteifen Rahmenecken sind mit eingeklebten Gewindestangen versehen. «Die Verankerung im Massivbau erfolgte durch Stahlteile und vorgängig einbetonierte Swiss-Gewi-Stäbe», erklärt Riggenbach. «Die sekundären Bauteile und die Anschlüsse der Randträger sind mit konventionellen Holzbauverbindungen wie Holzbauschrauben, Vollgewindeschrauben und Stabdübeln befestigt.» Für die Montage sind die Stahlteile als Schnittstelle zum Massivbau bereits vorgängig präzise versetzt und montiert worden. Die werkseitig zusammengebauten Kragträger wurden auf der Baustelle schnell und direkt ab LKW auf die vormontierten Stahlfüsse versetzt und fixiert. Im Anschluss erfolgten die Verlegung und die Verschraubung der Dachflächenelemente auf die Kragträger. Die Randträger wurden als Letztes montiert und dann mit den Kragträgern und den Dachflächenelementen verbunden.

Der Bauplatz liegt auf 1856 Meter Höhe und ist im Winter auch extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Dass schlussendlich ein reibungsloser Ablauf der Montage möglich war, sei der Topleistung und der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten zu verdanken, so David Riggenbach. «Sogar unsere Monteure waren von der Präzision und Passgenauigkeit der teilweise sehr komplexen Bauteile beeindruckt.»

Konstruktiver Holzschutz

Alle Teile des Haupttragwerks sind bestmöglich vor direkter Bewitterung geschützt. Damit setzen die Planer vor allem auf einen konstruktiven Holzschutz. Bei den konstruktiven Details wurde speziell darauf geachtet, dass die Holzbauteile möglichst auch auf allen Seiten von Luft umströmt werden und nach einer direkten Bewitterung dementsprechend schnell wieder vollständig trocknen können. Die sichtbaren Tragwerksteile sind zudem mit einem Feuchte- und UV-Schutzanstrich versehen. Die Lärchenlatten der Verkleidung und der Dachfläche sind unbehandelt verbaut. Hier wird eine natürliche Vergrauung erwartet und auch gewünscht. 


Rollende Planung

Die Planung begann für die Blumer-Lehmann AG im April 2016, die Produktion folgte ab August. Der Zeitplan für den Bau der Tribünen war recht eng und exakt getaktet. «Der Terminplan, der 2016 noch vor den Sommerferien erstellt wurde, ist fast auf den Tag genau eingehalten werden», so das Fazit von Projektleiter Riggenbach. «Dies auch dank günstiger Witterungsbedingungen.» Vorangegangen war eine schrittweise, rollende Planung. Das heisst: Es wurden Materialien bestellt und Entscheidungen getroffen, noch bevor die Ausführungsdetails geklärt waren. So mussten die Lamellen für das 240 Millimeter breite Eschen-Brettschichtholz früh geschnitten werden, da für den gesamten Trocknungs- und Produktionsprozess eine Vorlaufzeit von rund 15 Wochen erforderlich war. Ab September erfolgte dann die Montage der Tribünen; Fertigstellung und Endabnahme konnten fristgerecht im Dezember 2016 realisiert werden. Die Kosten für den Bau der Holztribünen inklusive der Fachplanung und Dachabdichtung belaufen sich auf rund 1,3 Millionen Franken. Dafür ist gemäss Nutzungsvereinbarung eine Nutzungsdauer von 50 Jahren vorgesehen. Die Architekten bezeichnen die Tribünen übrigens als Pavillons. Damit betonen sie die multifunktionale Nutzbarkeit des Bauwerks. Nicht nur Sportereignisse, sondern auch Konzerte und andere kulturelle Aktivitäten sollen dort künftig stattfinden und die Anlage so zu einem echten Anziehungspunkt in St. Moritz machen. Schon jetzt restlos begeistert vom Holzbau seien die Bauherrschaft und die Architektenteams, freut sich Projektleiter David Riggenbach.
blumer-lehmann.ch, kulm.com/countryclub

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Zuschauertribünen am Eisfeld Kulm Hotel St. Moritz (GR)
Bauherr: AG Grand Hotels Engadinerkulm, St. Moritz
Bauzeit: April bis Dezember 2016
Architekten: Foster + Partners, London (GB), Küchel Architects, St. Moritz
Holzbauingenieur: SJB Kempter Fitze AG, Frauenfeld; Fachplanung Holzbau und
Freiformgeometrie: Blumer-Lehmann AG, Gossau (SG)
ARGE Holzbau: A. Freund Holzbau GmbH, Samedan (GR), Blumer-Lehmann AG, Gossau
Verwendetes Holz: Kragträger in Esche-GL40h N, ca. 28,5 m3; Randträger als Hybrid-
träger in Lärche/Fichte, ca. 8 m3; Verkleidungslatten und Wandlamellen in Lärche,
ca. 16 m3 sowie Massivholzelemente in Fichte GL24h, ca. 24 m3
Lieferant Esche-BSH und GSA-Technologie: neue Holzbau AG, Lungern (OW),
Dachabdichtung: Material Contec AG, Uetendorf (BE)
Kosten: Holzbau inkl. Fachplanung und Dachabdichtung ca. CHF 1,3 Millionen

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