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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2020 Spannend

FOKUS.THEMA

Akropolis vom Bodensee

Lange wohnten und arbeiteten die Menschen auf dem Ekkharthof zurückgezogen von der Welt. Nach vierzig Jahren Betriebszeit will der Trägerverein die anthroposophische Einrichtung öffnen – auch baulich. Die neue Cantina steht exemplarisch für den Wandel hin zu Transparenz und Inklusion.

Text Helen Oertli | Fotos Lucas Peters, Hannes Heinzer | Pläne Lukas Imhof Architektur GmbH

Oberhalb des Bodensees, am Dorfrand von Lengwil, liegt der Ekkharthof. Erst wenn man von der Schnellstrasse auf die schmale Landstrasse abbiegt, wird die Ansiedlung hinter den dichten Hecken sichtbar. Markant hebt sich zuvorderst ein Kamin ab, dahinter steht auf einem Betonsockel, der aus dem leicht fallenden Terrain wächst, eine Säulenhalle aus Eschenholz: die neue Cantina. Massive, kantige Säulen tragen ein weit auskragendes Dach. Komplett ausgefacht mit Glas wirkt die wuchtige Holzkonstruktion – knapp dreissig Meter lang und fünfzehn Meter breit – dennoch offen und licht.

In den 1970er Jahren entstand im thurgauischen Lengwil die Heil- und Bildungsstätte Ekkharthof. Rund zweihundert Menschen mit Betreuungsbedarf wohnen und arbeiten hier nach anthroposophischen Grundsätzen. Neben einer Sonderschule, einem Wohnheim und zahlreichen Werkstätten gibt es einen Gutsbetrieb, woher auch ein grosser Teil der Lebensmittel für die Kantine stammt. Lange war die Abgeschiedenheit gesucht. Mittlerweile hat sich die Betreuungsphilosophie geändert – von der Absonderung hin zu Offenheit und Inklusion. Als nach 40 Jahren Betriebszeit die Gebäude den neuen Bedürfnissen und gesetzlichen Vorschriften angepasst werden sollten, war es dem Trägerverein ein Anliegen, dass die angestrebte Öffnung der Einrichtung auch baulich sichtbar würde.

Für die Um- und Neubauten im Gesamtwert von 24 Millionen Franken wurde ein selektiver Wettbewerb lanciert, bei dem die Lukas Imhof Architektur GmbH aus Zürich mit ihrem Entwurf überzeugte. Ende 2018 konnte nach der ersten Bauetappe das Gastronomiegebäude in Betrieb genommen werden. Im Untergeschoss sind die Garderoben für das Personal sowie die Technik und die Lagerräume untergebracht. Chefkoch Manuel Müller führt durch die Kühlzellen, in denen Obst und Gemüse vom Hof, sackweise Kräuter und auch Milch und Joghurt von der eigenen Molkerei lagern. Gekocht wird in der Gastronomieküche im Sockelgeschoss, wo Müller mit seiner zwanzigköpfigen Küchenequipe täglich für rund 300 Personen Menüs zubereitet. Ein Grossteil des Essens wird direkt an die Wohngruppen verteilt. In der Cantina, oben im Hochparterre, essen das Personal und Betreute, die von auswärts kommen. Rund 200 Sitzplätze fasst der Speisesaal.

 

Die Form folgt der Statik

Wie bei einer Scheune ist der Innenraum symmetrisch aufgebaut und das Vordach gegen den Innenhof so weit heruntergezogen, dass es die Terrasse überdacht. Das massive Rahmentragwerk aus Esche ist selbstaussteifend ausgebildet, auf Wände wurde komplett verzichtet. Aufgrund der biegesteifen Ausführung ist die Beanspruchung der Rahmenecken, die zugleich Knotenpunkte sind, besonders hoch. Entsprechend ist über den Stützen auch die Geometrie der Bauteile stärker – die Form folgt der Logik, schafft Platz für Metallverbinder und ist gleichzeitig architektonischer Ausdruck.

Insbesondere am weit auskragenden Vordach wird dieses Prinzip ablesbar. Nach vorne, wo die Belastung tief ist, verjüngen sich die vier Träger und Dachstützen sowohl in der Höhe als auch seitlich. Die Träger laufen durchgehend von innen nach aussen. Linear zu den Fenstern sind die Träger doppelt ausgeführt und dazwischen gedämmt. Überbreite Fensterrahmen verhindern ergänzend die Wärmebrücke, womit die geforderte Energieeffizienz eingehalten wird.

 

Konstruktiver Holzschutz

Auf die Frage nach den Besonderheiten dieses Bauprojekts weiss Christoph Angehrn, Projektleiter bei Kolb Ingenieure, auf zahlreiche Details hinzuweisen, wie den konstruktiven Holzschutz. Zwar schützen die Vordächer das Tragwerk vor Nässe, dennoch galt es, die Verbindung zwischen den Stützen und dem Sichtbetonmauerwerk so zu detaillieren, dass das Regenwasser abläuft. Sehr präzise mussten der Baumeister und Zimmermann die Stahlteile setzen, denn nach oben liessen die Holzstützen keine Toleranzen zu. Auf der Baustelle war entsprechend viel Kommunikation gefordert. «Auch wenn es auf den ersten Blick einfach aussieht, haben doch nahezu alle Stützfüsse eine leicht unterschiedliche Geometrie», beschreibt der Architekt Lukas Imhof die komplexe Ausgangslage.


Bereits früh im Projekt war klar, dass der Entwurf mit Holz umgesetzt werden sollte. Die Strukturen wären weder in Beton noch Stahl möglich gewesen. Laubhölzer haben Festigkeitswerte, die über jenen der heute am häufigsten eingesetzten Konstruktionshölzer aus Nadelholz liegen. Vor allem die Querdruck- und die Querzugfestigkeit, aber auch die Schub- und die Zugfestigkeit parallel zur Faser liegen wesentlich über dem Niveau der Nadelhölzer. Dazu kommt die höhere Leistung der Verbindungsmittel im Laubholz.

Der Vorschlag, Esche für den Bau einzusetzen, kam von den Bauingenieuren. Die heimische Baumart ist noch wenig bekannt als Konstruktionsholz. Lange wurde Esche aufgrund der hohen Festigkeit und Elastizität mehrheitlich für Werkzeugstiele, Sportgeräte oder Dielenböden verwendet. Die Neue Holzbau AG in Lungern hat sich auf die Herstellung von Brettschichtholz aus Laubholz spezialisiert und lieferte das Primärtragwerk in Esche, mit Rahmen, welche teilweise bereits im Werk zusammengebaut wurden.

 

«Ein ehrlicher Ansatz»

Für Esche entschied sich Imhof aber auch wegen der Ästhetik, die er jener von Buche, die ähnliche Festigkeitswerte hat, vorzog. In der Cantina wirkt das Tragwerk raumbildend – die Stützen sind Statik, Architektur und Innenausbau in einem. Deshalb wurde selbst die Art, wie das Holz geschichtet und verleimt ist, eigens diskutiert. Gut sichtbar heben sich bei der Verbreiterung der Stützen dunkle Leimfugen vom hellen Holz ab und zeigen die typische Beschaffenheit des Materials. «Ein ehrlicher Ansatz», findet Holzbauingenieur Angehrn.

Esche findet sich auch in der Möblierung wieder. Weil die Architekten keine Produkte fanden, die ihren Ansprüchen genügten – der Tisch klappbar, die Stühle stapelbar und beides dennoch solide und wohnlich wie in einer Beiz –, entwarfen Lukas Imhof und Carlos Wilkening, Leiter des Projekts, kurzerhand selber eine Möbelserie. Die Möbel sollten in den hauseigenen, betreuten Werkstätten des Ekkharthofs hergestellt werden können, weshalb die technischen und handwerklichen Möglichkeiten des Herstellungsprozesses schon bei der Gestaltung berücksichtigt wurden: Die Zahl der Einzelteile ist reduziert und diese sind hochpräzise CNC-vorfabriziert, die Arbeitsschritte simpel. Kantig, schlicht und robust wie die Säulen fügt sich das Mobiliar harmonisch in den Raum ein.

Zu dieser wohnlichen Atmosphäre trägt auch die Holzdecke bei. Hinter der Akustikbekleidung befinden sich vorgefertigte, ausgedämmte Deckenelemente, die neben den tragenden Sparren auch Lüftung und diverse Technik enthalten. Im Dachreiter verlaufen die Luftkanäle – die Frischluft wird oberhalb der Fenster eingeblasen und am First wieder abgesaugt. Jeder Anschluss, jede Leuchte ist sorgfältig gefasst und ausdetailliert. Von der ganzen Technik nimmt man kaum etwas wahr.

 

Anthroposophische Architektur

In den 1970er Jahren baute der Architekt Rex Raab den Ekkharthof. Dabei orientierte Raab sich an dem, was mit dem zweiten Bau des Goetheanums in Dornach als anthroposophischer Stil bekannt war: auffällige Dachformen, abgeschrägte Winkel – auf rechte Winkel wird weitgehend verzichtet – und unterschiedliche Farbtöne. Trotz dieses prägnanten Kontexts fügt sich die Cantina harmonisch in das bestehende Ensemble ein. Imhof nahm dabei Bezug auf die ursprünglichen Überlegungen von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie, dessen erstes Goetheanum in Holz gebaut war.

 

Mehr als eine Kantine

Den Architekten gelang mit ihrem Entwurf, das Gelände für die Ankommenden zu öffnen und gleichzeitig einen Ort zu schaffen, an dem es sich behaglich essen, treffen und aufhalten lässt. So wohlig, dass bald nach der Einweihung eine knapp metergrosse Uhr über dem Eingang angebracht werden musste, um die hier Sitzenden daran zu erinnern, sich nach der Mittagspause wieder ans Tagwerk zu machen. Die Cantina ist längst mehr als eine Kantine. Hier treffen sich Parteimitglieder zur Vorstandssitzung, lädt das Dorf zum Herbstfest und tanzen ganze Hochzeitsgesellschaften. http://www.ekkharthof.chekkharthof.ch, lukasimhof.ch, kolbag.ch, neueholzbau.ch, wimm.ch

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Ekkharthof, Neubau eines Gastronomie- und Mehrzweckgebäudes mit 200 Restaurantplätzen und Gastroküche
Standort: Lengwil (TG)
Auftragsart: selektiver Projektwettbewerb
Baujahr: 2018
Bauherrschaft: Ekkharthofverein Lengwil / Hochbauamt Kanton Thurgau
Architektur: Lukas Imhof Architektur GmbH, Zürich; Lukas Imhof, Caroline Schillinger und Carlos Wilkening (Projektleitung)
Holzbauingenieur: Josef Kolb AG, Romanshorn (TG)
Vorfertigung Holztragkonstruktion: Neue Holzbau AG, Lungern (OW)
Holzbau Ausführung: Kifa AG, Aadorf (TG)
Baukosten: CHF 8 Mio.
Dimensionen (Vordach): Länge 35,54 m, Breite 15,36 m, Höhe (OG bis First) 5,80 m
Gebäudevolumen (SIA 416): 4748 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 1005 m2
Holzvolumen: BSH Esche 58 m³, Eschendecke 400 m², BSH und Rahmenholz Fichte 35 m³, DSP-Fichte 205 m²

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