Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2019 Zuhause

Lebens.raum

Alte Hülle, moderner Kern

Von aussen ein alter Stall, versteckt sich im Inneren ein schmuckes Ferienhaus. Eine neue Riegelkonstruktion wurde sorgfältig in das Gebäude eingepasst. Die Hülle – ein einfacher Strickbau – blieb fast unverändert erhalten. Zur Freude von Dorfbewohnern und Feriengästen gleichermassen.

Text Helen Oertli | Fotos Steffi Blochwitz | Pläne Stauffacher Aemisegger Architekten GmbH

 

Die Val Lumnezia erstreckt sich als grösstes Seitental der Surselva ausgehend von Ilanz gen Süden. Wenn es anderswo regnet, der Nebel in den umliegenden Tälern hängen bleibt, scheint hier oftmals die Sonne. Kapellen und Kultorte der vorchristlichen Zeit – Teufelssteine, Heilquellen oder der Hexentanzplatz – prägen die als sakral bekannte Landschaft. Die nächsten Skilifte sind gut erreichbar, aber doch weit weg genug, als dass das Tal vom Gewimmel der Tourismushochburgen behelligt würde. Stattdessen: Entschleunigung. Die Kantonsstrasse endet denn auch am Talschluss in Vrin. Von dort führen nur Saumpfade in die Greina-Hochebene oder hinunter ins Tessin.

In diesem Seitental liegt Degen: 230 Seelen, drei Kapellen, eine Haltestelle fürs Postauto und ein Hofladen. Mittendrin, an der einzigen Kreuzung, steht ein alter Stall. Wie weit die Geschichte dieses Gebäudes zurückreicht, weiss keiner genau.

Feriengäste statt Holzlager

Dem einfachen Strickbau wurde wenig Beachtung geschenkt. Bis Markus Aemisegger den Stall 2012 für sich entdeckte. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, erzählt Aemisegger. Für die beiden Partner des Architekturbüros Stauffacher Aemisegger war klar: Ein Ferienhaus, das den sanften Tourismus in Val Lumnezia, im «Tal des Lichtes», fördert, sollte hier entstehen und ganzjährig an Gäste vermietet werden. Das Architekturbüro mit Sitz in Frauenfeld und Triboltingen hat bereits einige Erfahrungen darin gesammelt, was es bedeutet, im Bestand zu bauen. Am Bodensee hat das Büro eine alte Mühle, eine Remise sowie ein Bauernhaus umgebaut und im Prättigau ein Maiensäss. Damit liegen die Architekten im Trend. Immer mehr alte Scheunen werden in der Schweiz saniert und zu Wohnhäusern umgebaut. Mit dem Rückgang der Landwirtschaft – auch in Degen, wo noch 45 Prozent der Beschäftigten im ersten Sektor arbeiten – bleiben zahlreiche leerstehende Stallgebäude zurück. Solche Scheunen sind bauliche Kulturerben, sie stiften Identität und prägen ein Ortsbild. Doch mit dem Leerstand kommt bald auch der Zerfall dieser Zeitzeugen.

«Ein pittoresker Stall, der in sich zusammenfällt, dient niemandem», meint Aemisegger. So war die Akzeptanz im Dorf gross, als der Architekt mit dem Umbau begann. Denn trotz der veränderten Nutzung – statt Holz würde das Gebäude Feriengäste beherbergen – sollte die äussere Erscheinung erhalten bleiben.

Mit der Schablone eingepasst

Die Option, den Strickbau abzubauen und danach Bohle für Bohle wieder aufzubauen, verwarf Aemisegger rasch. Zu komplex wäre es gewesen, die alten Hölzer passgenau wieder zusammenzusetzen. Die bestehende Struktur wurde deshalb als selbsttragende Hülle belassen, der Steinsockel gereinigt, die alten Balken wurden gebürstet. Der neue Riegelbau sollte von innen in das alte Gebäude eingebaut werden. Mit dem Auftrag wurde das Holzbauunternehmen Camathias SA aus Laax betreut. Linus Derungs, erfahrener Zimmermann und Vorarbeiter, betreute den Umbau.

Anders als bei einem Neubau konnten die einzelnen Elemente nicht im Werk vorfabriziert werden, sondern wurden als Einzelteile angeliefert. Massgebend für deren Grösse war der Toreingang. Als Erstes erstellten die Zimmerleute die Riegelkonstruktion. Auf diese passten sie die Aussenverschalung ein, dämmten mit Mineralwolle aus und verschalten die Aufdämmung mit Dreischichtplatten aus Fichtenholz. Zahlreiche Trennwände und durchgehende, sichtbare Rundhölzer mussten dabei beachtet werden. Mithilfe einer Schablone nahm Derungs Mass am bestehenden Strickbau und übertrug dann die Aussparungen in die Verschalung. Besonders an dem Umbau war auch, dass altes Holz wiederverwertet wurde. Wie zum Beispiel die Balken im Heustock: Sie kamen wieder zur Verstärkung der Balkenlage zwischen dem unteren und oberen Geschoss zum Einsatz. «Jede einzelne Bohle haben wir geputzt, gebürstet, zugeschnitten und dann wieder als sichtbare Konstruktion eingebaut», erzählt Derungs. Zwar war der Zimmermann auch schon bei anderen Projekten ähnlich vorgegangen, aber nicht in dieser Dimension. Denn der Aufwand, das Holz auszubauen, ins Werk nach Laax zu fahren und dort aufzubereiten, um es danach zurückzubringen und in Degen einzubauen, war gross. Doch trotz umständlicher Logistik, «es war eine sehr schöne Arbeit», erzählt Derungs.

Aemisegger schätzt das Herzblut, das die Zimmermänner in das Projekt gesteckt haben: «Der Holzbauer war um ein gutes Resultat sehr bemüht – und hat alles perfekt ausgeführt.» Auch die Absprache mit den anderen Projektpartnern lief über den Holzbauer. Viele Arbeiten konnten an Unternehmer in der Gemeinde vergeben werden. Vermutlich war das mit ein Grund für die gute Resonanz im Dorf Degen. Aber nicht nur: Anwohner, darunter viele Pensionäre, besuchten während des Umbaus die Baustelle, schauten den Handwerkern zu. Sie waren überrascht, dass der alte Stall stehen bleiben sollte, und erstaunt, wie darin nach und nach, Element um Element, ein moderner Wohnraum im alten Balkenwerk entstand.


Helles Fichtenholz und knorrige Balken

Von aussen fällt die Verwandlung auch nach der Fertigstellung im Dezember 2017 kaum auf. Der niedrige Bau, überdacht mit einem einfachen Satteldach, steht auf einem Untergeschoss aus rohem Stein – das Holz ist verwittert, der Stein bröcklig und unregelmässig verfärbt. Erst wenn man näher tritt, erkennt man die frischen Holzplatten und Fensterflächen hinter den dunklen Bohlen. Die grossen Fenster lassen trotz der umlaufenden Balken viel Licht ins Innere. Man sieht im Wohnzimmer sitzend auf die eindrückliche Bergkette und das Weideland, hört von draussen den Brunnen plätschern. Im Innenausbau dominieren schlichte, helle Keramikplatten, Fichtenholz und die charakteristischen, knorrigen Balken. Sie sorgen nicht nur für Ambiente, sondern geben den Räumen Struktur und trennen den Wohnbereich von der offenen Küche oder die Schlafgalerie vom Wohnzimmer. Die drei Schlafzimmer im Erdgeschoss und das grosse Galeriezimmer mit vier Schlafplätzen im Dachstock bieten nun Platz für bis zu zehn Gäste. Die beiden Badezimmer sind mit Sauna und Regendusche ausgestattet, im grossen Wohnraum mit Küche- und Essbereich lodert winters ein Feuer im Kamin. Und wer von der Loipe, die am Haus vorbeiführt, heimkommt, stellt die Langlaufski danach direkt in den Winterraum. Das urige Flair kombiniert mit modernem Komfort inmitten einer idyllischen Lage wird von den Gästen geschätzt.
stauffacher-aemisegger.ch, berg-loft.ch, camathias-sa.ch

Das Projekt – die Fakten

Projekt: Bergloft Privà, Umbau
Standort: Degen/Lumnezia (GR)
Bauherrschaft: s-a BAU GmbH,
Triboltingen (TG)
Architektur: Stauffacher Aemisegger Architekten GmbH, Frauenfeld/Triboltingen (TG)
Holzbau: Lennaria Camathias SA, Laax (GR)
Bauleitung: Arthur Caduff
Verwendetes Holz: Altholz, Fichte
Baukosten: CHF 600 000.–
Geschossfläche: 155 m2
Gebäudevolumen: 820 m3

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz