Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

4/2022 Für alle gemacht

FOKUS.THEMA

Appenzeller Schwumm

Keine kühle Fliesentristesse, kein beissender Chlorgeruch, keine Akustik zum Davonschwimmen – das neue Hallenbad in Appenzell räumt auf mit den Klischees öffentlicher Badeanstalten.

Text Susanne Lieber | Fotos Roger Frei | Pläne Peter Moor Architekten ETH/SIA

 

Die Eingangshalle gleicht einer Hotellobby: dezente Musik, Kunst an der Wand, gemüt­liche Sitznischen am Fenster. Der zweigeschossige Raum bildet den Auftakt zur neuen Badewelt in Appenzell. Die Atmosphäre ist entspannt, das Ambiente alles andere als nüchtern, und es liegt ein verräterischer Geruch in der Luft. Ein eindeutiges Indiz, dass hier anders ans (Bau-)Werk gegangen wurde, als bei Hallenbädern im Standardsegment. Nämlich mit Holz.

Dinge neu zu denken, erfordert Mut. Nicht nur vom Architekten, sondern auch von der Bauherrschaft. Holz als Baumaterial für ein Hallenbad einzusetzen, ist in der Schweiz zwar kein Novum, aber auch längst noch keine Routine. Und so macht David Meier, Projektleiter des Architekturbüros Peter Moor, keinen Hehl daraus, dass bei dieser Bauaufgabe nicht alles bis ins Kleinste kalkulier- und planbar war. «Schlussendlich wird sich erst in ein paar Jahren zeigen, ob sich das Holz in der Schwimmhalle wirklich bewährt», so sein Résumé. 2018 hatte das Zürcher Architekturbüro den Wettbewerb für das neue Hallenbad in Appenzell gewonnen. Der Vorgängerbau aus den 1980er Jahren war baufällig geworden und eine Sanierung nicht rentabel. Deshalb wurde vom Kanton Appenzell Innerrhoden ein Ersatzneubau in Auftrag gegeben. Die Idee, das Gebäude dabei aus Holz zu fertigen – Appenzeller Holz, wohlgemerkt –, begeisterte die Bauherrschaft von Anfang an. Auch bei den Nutzern punktet der Entwurf, wie sich seit der Inbetriebnahme im Juni dieses Jahres zeigt. «Der Bau wird architektonisch und städtebaulich sehr positiv wahrgenommen», so David Meier. Dass es auch den einen oder anderen Kritikpunkt gibt, bleibe natürlich nicht aus. Doch dabei ginge es meist nur um Details; fehlende Brillenablagen vor der Sauna zum Beispiel. Mit wenigen Handgriffen lässt sich das nachrüsten.


Sport und Wellness unter einem Dach

Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich neben der Eingangshalle und dem Bademeisterbüro ein grosses Schwimmerbecken (25 m) mit überhängender Kletterwand am Beckenrand, ein Mehrzweckbecken mit höhenverstellbarem Hubboden (Wassertiefe 180–0 cm), ein Kinderplanschbecken mit Wasserspiel und Minirutsche, ein Hotpot im Aussenbereich sowie ein Kneippbecken im renaturierten Küechlimoosbach. Das Obergeschoss umfasst den Wellnessbereich mit finnischer Sauna (90°C), Biosauna (60°C), Dampfbad (42°C), Kaltwassertauchbecken, Erlebnisduschen, Massageräumen, Ruhe­räumen und einer grossen Dachterrasse. Sanitäranlagen und Umkleiden befinden sich jeweils auf beiden Ebenen.

Der Grundriss des Hallenbads ist windmühlenartig aufgebaut. Die drei Gebäudeflügel definieren dabei gleichzeitig drei Aussenbereiche: Parkplatz, Eingangsbereich mit Velo-Unterstand sowie Terrassenbereich mit Hotpot. Von der Terrasse führen mehrere Stufen hinunter zum Küechlimoosbach. Einst wurde der Bach kanalisiert und in den Untergrund verbannt. Nach einer Renaturierung darf er aber wieder oberirdisch plätschern – und dient jetzt den Besuchern als natürliches Kneippbecken.


Erhellende Konstruktionslösung

Der Sockel sowie der Treppenhauskern des Gebäudes bestehen aus Sichtbeton. Die Holzmaserung der Bretterschalung zeichnet sich als feines Relief an der Oberfläche ab – ein gestalterischer Brückenschlag zum Tragwerk aus regionalem Fichten- und Tannenholz, das sich über den Betonsockel erhebt. Zwillingsträger aus Brettschichtholz (Rastermass: 240 mm) bilden die auskragende Decke.


Die Träger sind dabei aber nicht nur statisches Bauteil, sondern erfüllen auch noch einen zusätzlichen Zweck: Sie nehmen die Beleuchtung auf. Die integrierten Lichtbänder betonen dabei effektvoll die lineare Struktur des Tragwerks. Vor allem über dem grossen Becken ist dies eindrücklich zu sehen. Zum Becken selbst sei angemerkt: Es ist wettkampftauglich. Exakt 25 Meter lang mussten die Bahnen bei montierten Anschlagplatten hierfür sein. Toleranz? Ein Zenti­meter. Ein Geometer hat die Masse peni­bel überprüft.

Das hölzerne Tragwerk – gefertigt von der Egli Zimmerei AG in Oberhelfenschwil (SG) – ist auch auf der Aussenseite des Gebäudes klar ablesbar. Wo die Zwillingsträger die Fassade durchdringen, gehen sie in gleichförmige Stützen über und setzen vertikale Akzente. So auch an der vollverglasten Südseite. Ein Gegengewicht bilden horizontale Friese, eine Reminiszenz an die Fassadengestaltung traditioneller Häuser in der Region. Aus dem Spiel vertikaler und horizontaler Friese ergeben sich an den geschlossenen Fassadenseiten kassettenartige Flächen, die sich optisch wie auch haptisch von ihren Umrahmungen abheben. «Die Friese sind hell, die Täferpartien dunkel. Im Inneren des Gebäudes ist es umgekehrt», so David Meier, der das Bauprojekt seit der Wettbewerbseingabe begleitet hat. «Zusätzlich ist das Holz der Friese gehobelt, das Holz der Täfer hingegen sägerau. Aus der Nähe betrachtet entsteht so eine zusätzliche Differenzierung», ergänzt der Architekt.

Um die Aussenhaut des Gebäudes vor der Witterung zu schützen, wurden mit dem auskragenden Vordach und einem Betonsockel bereits konstruktive Massnahmen ergriffen. Zusätzlich wurde das Holz mit einer Öllasur (Arbezol Aqualin Pro) oberflächenbehandelt. Im Gebäudeinneren kam man ebenfalls nicht umhin, das Holz zu imprägnieren. Hier entschieden sich die Architekten für ein Ölwachs (Renner YS von Tonet).

Wie überall im Gebäude wurde auch hier Fichten- beziehungsweise Tannenholz eingesetzt. Bis auf eine Ausnahme: «Bei den Sitznischen in den Fenstern haben wir uns für Esche entschieden, also für ein Hartholz. Es ist unempfindlicher, wenn die Badegäste nass sind und sich setzen», erklärt David Meier. Die Idee, die Fenster im unteren Bereich nicht innen, sondern aussen bündig zu konzipieren und so Sitzflächen zu schaffen, entstand bereits für den Wettbewerbs­beitrag. Einigen Mitgliedern der Baukommission sei dieser gestalterische Kniff allerdings erst spät aufgefallen, kommentiert der Architekt schmunzelnd.


Raumgliedernde Gestaltungsprinzipien

Eine der Grundideen, die dem Gebäudeentwurf zugrunde liegen, ist das Spiel mit verschiedenen Raumhöhen. So präsentiert sich die zweigeschossige Eingangshalle nach oben hin luftig. Ganz anders hingegen der Erschliessungsgang zu den Sanitäranlagen – hier geht es deutlich niedriger zu. Was auch pragmatische Gründe hat: In der Decke musste die Haustechnik mit aufwendiger Lüftungsanlage untergebracht werden. Geht man weiter zu den Garderoben, steigt die Raumhöhe wieder an und die grosse Fensterfront gibt den Blick auf die Appenzeller Umgebung frei.

Der Bezug zum Aussenraum war ebenfalls ein wichtiger Aspekt beim Architekturentwurf. Die Besucher des Hallenbads sollten nirgends das Gefühl haben, sich orientierungslos im Bauch eines Gebäudes zu befinden. Auch Sichtbezüge innerhalb des Baus spielen eine Rolle. So können sowohl die Schwimm- als auch die Eingangshalle vom Wellnessbereich im Obergeschoss überblickt werden. Das Spiel mit Einblicken, Ausblicken und Durchblicken gestaltet das Hallenbad abwechslungsreich. Eines aber steht immer im Fokus: Holz.

Was die Materialisierung des Gebäudes angeht, galt grundsätzlich die Prämisse, möglichst wenig unterschiedliche Materialien einzusetzen. Was sich auch am Bodenbelag ablesen lässt: Er besteht fast überall aus BituTerrazzo, die einzige Ausnahme bilden die Sanitärräume. Dort wurde ein fugenloser Spachtelbelag (Durotex) eingebracht, der unempfindlich gegen Shampoos und Seifen ist.

Visuelle und akustische Kunsterlebnisse

Neben architektonischen Raffinessen gibt es im Hallenbad Appenzell noch etwas anderes zu entdecken: Kunst. Genauer gesagt: Kunst am Bau. Bei dem Werk von Christian Meier handelt es sich um eine dreiteilige Wandinstallation aus Alumi­niumguss. Das in Shanghai gefertigte Objekt erinnert an einen abstrahierten Baum, auf dem sich eine Holzmaserung abzeichnet. Zwei Teile befinden sich beim Treppenaufgang zum Wellnessbereich, wobei der graue Sichtbeton und das Oblicht eine perfekte Kulisse dafür schaffen. Der dritte Teil wurde in der Schwimmhalle platziert, zwischen Babyplanschbecken und Bademeisterbüro.

Ganz anders präsentiert sich die Kunst von Roswitha Gobbo: Sie ist nicht zu sehen, dafür aber zu hören. Ihre Klanginstallationen nehmen Bezug zur Appenzeller Natur und zu den Materialien im Gebäude: Holz und Stein. Auch das Element Wasser macht sie hör- und erlebbar. Dazu fing sie passende Geräusche aus der Umgebung (Alpstein) ein und bespielt nun damit ausgewählte Räume. In der Garderobe erklingen beispielsweise Waldgeräusche, im Wartebereich vor den Massage­räumen ist das Knistern eines Kaminfeuers auszumachen. Eine künstlerische Intervention, mit der die Badegäste eintauchen sollen – eintauchen in die Appenzeller Wellnesswelt. Völlig tiefenentspannt.
eglizimmerei.ch

Peter Moor, Architekt

1971 in Zofingen geboren, absolviert Peter Moor zunächst eine Lehre zum Hochbauzeichner. Danach beginnt er ein Architekturstudium in Brugg-Windisch. Später folgen Studienjahre an der ETH Zürich, wo er 2001 diplomiert. Ehe er 2006 sein eigenes Architekturbüro in Zürich gründet, arbeitet Peter Moor sechs Jahre lang als Projektleiter bei Burkard Meyer Architekten in Baden. Sein Büro beschäftigt derzeit ein zehnköpfiges und interdisziplinär tätiges Team. Peter Moor ist Mitglied der Stadtbildkommission Aarau, der Denkmalpflegekommission der Stadt Zürich und des Verwaltungsrats der Hartwag Holz AG. petermoor.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Hallenbad Appenzell
Standort: Sitterstrasse 15, Appenzell (AI)
Bauzeit: 2020–2022 (Inbetriebnahme: Juni 2022)
Bauherrschaft: Kanton Appenzell Innerrhoden (AI)
Architektur: Peter Moor Architekten ETH/SIA, Zürich (Mitarbeiter: Peter Moor,
David Meier, Muriel Kuonen, Yannick Zindel, Marcelo Guedes, Michelle Kraus)
Brandschutzplanung: SJB Kempter Fitze AG, Gossau (SG)
Holzbauingenieur: Holzbau Reusser GmbH, Winterthur
Holzbau (Montagebau): Egli Zimmerei AG, Oberhelfenschwil (SG)
Holzbau (Velo-Unterstand): Holzbau P. Manser AG, Appenzell (AI)
Holzlieferung: Pius Schuler AG, Rothenturm (SZ);
Lehmann Holzwerk AG, Gossau; Hüsser Holzleimbau AG, Bremgarten (AG)
Schreinerarbeiten und Möbel (Liegen, Hocker): Sutter Schreinerei GmbH, Appenzell (AI)
Holzböden (Terrassen): Holzbau Albert Manser AG, Gonten (AI)
Holz: aus Appenzell (insgesamt 4098 m3, entspricht 480 Bäumen)
Tragwerk (Zwillingsträger und -stützen): Brettschichtholz (Fichte/Tanne)
Fassade und Innenwandschalung: Starkholz, astarm (Fichte/Tanne)
Vordach: Brettsperrholzplatten, fünfschichtig
Akustikdecken: Dreischichtplatten, gelocht (Fichte/Tanne)
Geschossfläche (SIA 416): 3160 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 17 457 m3
Baukosten: CHF 21 Mio.

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz