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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2021 Hin und weg

BAU.WERK

Auf Augenhöhe mit der Baumkrone

Die Skiregion Weisse Arena Flims, Laax, Falera erweitert ihr Image ins Grüne. Im Sommer eröffnete der tourismusstarke Ort Laax einen 1,56 Kilometer langen Baumwipfelpfad. Zwei Ortsteile sind nun mit einem Weg durch die Baumkronen verbunden. Unterwegs bieten vier Plattformen mit Informationstafeln Wissenswertes über die Natur ringsum.

Text Sue Lüthi | Fotos Philipp Ruggli, Sue Lüthi | Pläne Lennaria Camathias SA, Coray Holzbau AG, Hofmann & Durisch AG

 

Der Weg auf den schlanken Stämmen startet in Laax Murschetg (GR) auf einem 37 Meter hohen, runden Turm inmitten von Bahnstationen, Zugangswegen, Läden und Spielplätzen. In einer Betonsäule führt ein Lift nach oben, sodass auch Rollstuhlfahrenden das Vergnügen zwischen dem Blattwerk vergönnt ist. Zu Fuss steigen die Besucherinnen und Besucher auf einer Holztreppe nach oben, die sich spiralförmig um den Liftstamm windet. Eben­so schlängelt sich die Rutschbahn um den Betonkern. In einer Chromstahlröhre mit Plexiglasfenstern sausen die Kinder durch die Plattformen hindurch wieder nach unten auf festen Boden. Der zweite Zugang in die Baumkronen befindet sich in Laax Dimplaun oberhalb Laax Dorf. Dazwischen liegt seit letztem Sommer ein 1,56 Kilometer langer Holzweg, den 567 Stützen durch den Wald tragen.

Entworfen, geplant und ausgeführt hat ihn das Architekturbüro Hofmann & Durisch AG aus Flims in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Clarplan GmbH aus Vella. Das Team durfte bereits mehrere öffentliche Bauten realisieren. Dieses Projekt stellte die Planer, Ingenieure und Geometer allerdings vor besondere Herausforderungen, und zwar aufgrund der komplexen Topografie in Kombination mit den baulichen Vorgaben. Das Material Holz war hierbei von Anfang an gesetzt, die Stützen des Pfads sind Fichtenstämme aus dem nahen Wald bei Sagogn. Auch für den Gehweg wurde Fichtenholz gewählt. «Lärche wäre besser gewesen, doch dort wachsen halt Fichten», erklärt Architekt Reto Durisch. Bei der Gestaltung hätten sie zudem darauf geachtet, dass der Weg dem natürlichen Terrain folgt und möglichst wenig gerodet werden muss. Sie hätten bewusst auf massive Betonfundamente verzichtet, um den Eingriff in den Waldboden auf ein Minimum zu beschränken. Der zwei Meter breite Weg macht leichte Knicke, schlägt Haken und wird auf einer Höhe von 2 bis 28 Metern über den Waldboden getragen, wobei die Neigung maximal sechs Prozent betragen durfte, um die Rollstuhlgängigkeit einzuhalten. Von Anfang an in die Planung involviert war auch der Revierförster Maurus Cavigelli. Er begleitete das Projekt von der Idee bis zur Ausführung. Auch ihm war es wichtig, dass das Bauwerk im Einklang mit der Umwelt steht und der Schutz von Natur, Wald und Tieren berücksichtigt wird. «Wir haben deshalb die Linie des Pfades möglichst natürlich gewählt», so Cavigelli. «Wir wollten wenig Abholzung und die Natur so wenig wie möglich beeinträchtigen.»

Der Pfad führt am Hang zwischen den Bäumen durch, über deren Wipfel hinweg und mitten durch Blätter und Nadeln. Ab und zu lichten sich die Baumkronen, und Blicke auf das Dorf oder die gegenüberliegenden Berggipfel werden frei. Kehrt Ruhe vom Tourismusgeschehen ein, können die Wipfelwandler Vögel, Eichhörnchen und mit Glück auch Wild beobachten. Unterwegs bieten vier Aussichtsplattformen die Gelegenheit, sich auszuruhen und den Wald aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Die Plattformen sind unterschiedlich gestaltet: einmal viereckig, dann organisch, sie bilden abgetreppte Trapeze oder einen Hochsitz. Die hölzernen Podeste sind mit Infostelen und Sitzgelegenheiten ausgestattet. Themen wie die regionale Tier- und Pflanzenwelt, Geologie und Landwirtschaft oder der Flimser Bergsturz haben die Veranstalter beschrieben. Wer die reine Natur nicht aushält, kann sich mit dem Handy oder Tablet zusätzlich digital berauschen lassen.


Montage als Hochseilakt
Die Gemeinde legte Wert auf Schweizer Holz und Unternehmen aus der Nähe. Für die Holzbauarbeiten spannten zwei Holzbauer aus der Region zusammen: das federführende Unternehmen Lennaria Camathias SA aus Laax und die Holzbau Coray AG aus Ilanz. Für diese spezielle Arbeit erstellten die Holzbaupoliere gemeinsam mit der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) ein Sicherheitskonzept. Ein In­struktor schulte die Zimmerleute spezifisch für die Arbeiten mit dem Helikopter und den Stämmen in Hanglage und zwischen den Bäumen. An den bezeichneten Orten im Boden bohrten die Baumeister jeweils ein Loch, setzten die Fundamentstangen ein und gossen sie mit Mörtel aus. Die Rundholzstämme wurden auf dem Installationsplatz vor Ort mit einem Stahlwinkel verbunden, sodass der ganze Rundholzbock versetzt werden konnte. Bei jedem Joch wurden die Lastaufnahmepunkte, die Abspannungen, die Sicherungsseile und die Anschlagpunkte für die Schutzausrüstung gegen Absturz definiert und vormontiert. Die Laufelemente wurden mit einem Teil des de­finitiven Geländers geliefert. Dieses konnte während der Monta­ge gleich als Seitenschutz genutzt werden. Die Lauffläche unterteilten die Konstrukteure in 130 Elemente von rund 12 Metern Länge, die ebenfalls mit dem Helikopter versetzt wurden.

Im Wald wurden 400 Kubikmeter Rundholz in Stützenform verbaut, weitere 660 Kubikmeter Rundholz schnitten die Zimmerleute ein für Sekundärbalken und den Bodenbelag. Auf dem Stammelement sind zwei Brettschichtträger (18 x 40 cm) aufgelegt, die den Bretterweg und die Geländerpfosten tragen. Ein feines Stahlnetz mit liegenden Maschen ist als Schutz zwischen zwei Rohren aufgespannt, ein Handlauf aus Fichtenholz bildet den Abschluss.


Schneeunabhängige Attraktion

Der neue Weg verbindet nicht nur Dorfteile, sondern soll auch Lücken im Tourismusjahr schliessen. Er bietet allen Generationen eine zusätzliche Freizeiteinrichtung, die schneeunabhängig begangen werden kann. Nur bei Gewitter, Sturm und Eis wird der Weg aus Sicherheitsgründen geschlossen. Den Unterhalt übernimmt die Forst- und Werkgruppe Sagogn-Laax. Bisher sind Wipfelwandler im Neckertal (SG) auf ihre Kosten gekommen: Der erste Baumwipfelpfad der Schweiz führt seit rund drei Jahren Besucherinnen und Besucher rund 500 Meter lang durchs Holz und Blattwerk und wieder zum Ausgangsort zurück. Der Baumwipfelpfad in Laax ist gemäss Medienmitteilung der längste auf der Welt.
hd-immo.ch, corayholzbau.ch, camathias-sa.ch, flimslaax.com

Clemens Arpagaus

Der 60-jährige Clemens Arpagaus aus Vella (GR) studierte und diplomierte an der ETH Zürich und trat später dem SIA bei. Er war mehrere Jahre als Projektleiter in Zürich und Ilanz tätig und betrieb Ingenieursarbeiten für Statik, Konstruktion und Brückenbau. Seit 2000 führt er sein eigenes Ingenieurbüro in Vella, 2018 gründete er die Clarplan GmbH mit Schwerpunkt auf Beratungen und Bauleitungen im Hochbau. Seine Mitgliedschaften im Schweizerischen Alpenclub, im Skiclub und anderen Vereinen zeugen von seinen Kenntnissen in bergigem Gelände. clarplan.com


Baumwipfelpfad

Projekt: Baumwipfelpfad, Laax (GR)
Ausführung: 2020–2021
Bauherrschaft: Gemeinde Laax
Architektur: Hofmann & Durisch AG, Flims (GR)
Holzbau: Arge Coray Holzbau AG, Ilanz (GR); Lennaria Camathias SA, Laax
Ingenieur und Bauleitung: Clarplan GmbH, Clemens Arpagaus, Vella (GR)
Holzmenge und -art: Total ca. 1060 m3 Rundholz aus den Gemeinden Laax und Sagogn, ca. 295 m3 BSH aus Schweizer Holz
Kosten: CHF 7,5 Mio.

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