Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2020 Auf der Überholspur

FOKUS.THEMA

Der grüne Teppich über der A1

WUEF RYN – ein unaufgeregter Projektname für ein Novum in der Schweiz: Es handelt sich um die erste Grünbrücke mit Holz, die Wildtierüberführung Rynetel bei Suhr (AG). Die Bogenbinderkonstruktion auf Wänden aus Ortbeton bildet über der A1 sowohl Passage und als auch Lebensraum für zahlreiche heimische Tierarten. Darunter rauscht auf der längsten Autobahn der Schweiz der Verkehr – rund 70?000 Fahrzeuge täglich durchqueren den Kunstbau mit hölzernem Dach. Im Herbst 2020 wurde die Grünbrücke fertiggestellt. Es soll nicht die Einzige ihrer Art bleiben, wenn es nach den Plänen des Bundesamts für Strassen (Astra) und der Ingenieure geht.

Text Sandra Depner, PD | Fotos Nils Sandmeier, Michael Küng | Pläne Bundesamt für Strassen Astra


Biber und Iltis teilen dasselbe Schicksal: Sie stehen in der Schweiz auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Und sie spiegeln ein globales Problem. Laut eines 2019 veröffentlichen Berichts des Weltbiodiversitätsrats sind weltweit eine Million Arten vom Aussterben bedroht – viele davon in den kommenden Jahrzehnten. Gefährdete Tier- und Pflanzenarten sind deshalb auf eine aktive Artenförderung angewiesen – Fördermassnahmen wie die Grünbrücke über die A1, die im Herbst 2020 fertiggestellt wurde. Sie überwindet die Autobahn und wertet den Wildtierkorridor AG 6 Suret als Lebensraum für Biber, Iltis und Co. auf.

Da wo Autobahnen, Schienen oder Kantonsstrassen menschliche Siedlungsgebiete verbinden, da durchtrennen sie gleichzeitig die Lebensräume von Pflanzen und Tieren. Verkehrsträger zerstören oder verändern Lebensräume, sie stellen Ausbreitungsbarrieren dar und sind mitunter lebensgefährlich. Von Menschen geschaffene Böschungen leiten die Tiere bei ihren Wanderungen. Licht- und Lärmemissionen stören das Lebensumfeld. All das beeinflusst die Vernetzung der Tiere, die genetische Vielfalt und schlussendlich das gesamte Ökosystem.

Wildtierkorridore stellen den Lebensraum und Routen dar, auf denen sich Wildtiere bewegen und miteinander vernetzen. Schweizweit zählt das Bundesamt für Umwelt 305 wichtige Wildtierkorridore von überregionaler Bedeutung. Fast 15 Prozent davon sind weitgehend unterbrochen oder können von Wildtieren gar nicht mehr genutzt werden, über die Hälfte der Korridore sind in ihrer Funktionstüchtigkeit nennenswert bis stark beeinträchtigt. Wildtierpassagen können dabei helfen, unterbrochene Korridore wieder aufzuwerten. Das soll auch die Grünbrücke Rynetel. Der Kunstbau ist Teil der Gesamtsanierung des Wildtierkorridors AG 6 Suret, ein Projekt des Bundesamts für Strassen. Es ist die Erste ihrer Art, die einen signifikanten Anteil an Holz zu verbuchen hat. Genauer gesagt: 850 Kubikmeter, gewachsen und geschlagen im Schweizer Wald.


Die Ausgangslage: Wenn der Weg versperrt ist

Das Waldgebiet Rohr–Rupperswil zählt zu den Wildtierkorridoren von überregionaler Bedeutung. Bedeutend, weil es die einzig bewaldete, etwa 300 Meter breite Lücke im Siedlungsgürtel zwischen Olten und der Linthebene darstellt und für die Wildtiere eine grossräumige Verbindung zwischen Jura und Mittelland ermöglicht. Hindernisse im Korridor stellen die SBB-Linie Aarau–Brugg, die Nationalstrasse N1R, die Kantonsstrasse Suhr–Hunzenschwil sowie die Autobahn A1 dar. Letztgenanntes Hindernis überwindet die neue Wildtierüberführung zwischen Suhr und Gränichen und ermöglicht für die Zielarten eine uneingeschränkte Nutzung des Wildtierkorridors im Bereich der Nationalstrasse.

Die Überführung mit einer nutzbaren Breite von 50 Metern und einer Gesamtfläche von rund 1800 Quadratmetern wird nach Ende der Fertigstellungsarbeiten Anfang 2021 bis auf die Höhe des bestehenden Waldgeländes mit Erde überdeckt und auf der ganzen Breite bepflanzt sein. Das Landschaftskonzept sieht die verschiedensten Massnahmen vor, um Flora und Fauna zu fördern. Hier ein Tümpel, da ein Asthaufen, dort ein Wurzelstock und vieles mehr (siehe Abb. 4). Vor Emissionen durch Scheinwerferlicht schützen hoch gewachsene Hecken und ein Blendschutz. Der bestehende Wildtier-Schutzzaun wird durch ein Amphibienschutzgitter ergänzt.


Das Projekt: Kunstbau aus Holz, Beton und Stahl

2014 schrieb das Bundesamt für Strassen die Ingenieurarbeiten für die Wildtierbrücke Rynetel öffentlich aus. Die Ingenieurgemeinschaft WUEF – bestehend aus der Bänziger Partner AG und der Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG – erhielt den Auftrag, zwei Varianten einer Grünbrücke zu planen: eine Konstruktion aus Beton und eine aus Beton und Holz. Die Anforderungen waren unter anderem, dass die Überführung für die Tiere eine Nutzbreite von 50 Metern bietet. Wichtig war die Einhaltung eines Lichtraumprofils von vier Fahrspuren mit der Option des Ausbaus mit zwei weiteren Spuren. Ausserdem war gefordert, dass sich die Überführung in die Topografie und Landschaft einpasst. Sie sollte wirtschaftlich und unterhaltsarm sein und eine Lebensdauer von 100 Jahren bieten. Eine zusätzliche Herausforderung: Der Bau muss unter der Aufrechterhaltung des Verkehrs erfolgen.

Die Holzvariante setzte sich durch, das ist augenscheinlich. Von 2014 bis 2016 lief das Ausführungsprojekt, 2018 kümmerten sich die Ingenieure um die Details. Die Ausschreibung erfolgte 2019 und 2020 wurde die Grünbrücke entsprechend der Pläne ausgeführt.

Die Doppelbogenkonstruktion setzt sich aus 156 gekrümmten Holzträgern aus Brettschichtholz mit einer Abdeckung aus Furnierschichtholzplatten zusammen. Über Stahlgelenke sind die Holzträger auf den Stahlbetonwänden gelagert. Die Gründung erfolgt über 12 beziehungsweise 18 Meter tiefe Bohrpfähle. Die beiden Bogenbinderkonstruktionen über den Portalen messen jeweils eine Spannweite von 17,4 Metern. Die Brücke ist quer zur Fahrbahn gemessen 36 Meter lang.


Das Holz ein CO2-Speicher im Bau

Der Vorteil von Holz gegenüber Beton: Ein Baum entzieht im Rahmen der Photosynthese der Atmosphäre CO2, speichert die daraus resultierende Glucose als Kohlenstoff im Holzkörper und gibt Sauerstoff frei. Wie viel das genau ist, darüber existieren Schätzungen und Rechenbeispiele abhängig von Baumart, Alter oder Holzdichte, jedoch keine allgemeingültigen Rechenformeln. Sicher ist, dass die Weiterverarbeitung des Baums zu einem hochleistungsfähigen Werkstoff nichtsdestotrotz CO2 verursacht. Im Vergleich aber dazu: Stahlbeton speichert kein CO2 ein, sondern verursacht einen grossen Ausstoss. Auf einen Kubikmeter Stahlbeton kommen laut Timbatec rund 500 Kilogramm CO2. Wie sieht nun die CO2-Bilanz bei der Wildtierüberführung Rynetel aus? Timbatec hat gerechnet: Die Betonvariante hätte einen Ausstoss von 520 Tonnen CO2 verursacht – ohne dabei CO2 einzusparen. Bei der realisierten Holzvariante sieht die Rechnung wie folgt aus: Die Produktion des Brettschichtholzes und die Herstellung der Stahlgelenke schlagen mit 210 Tonnen CO2 zu Buche. Gleichzeitig speichern die 850 Kubikmeter verbauten Holzes geschätzt 775 Tonnen CO2. Netto sind somit 565 Tonnen CO2 in der Wildtierbrücke Rynetel gespeichert.

Darüber hinaus ist ein weiterer Aspekt relevant, wenn man den Vergleich zwischen Holz und Beton wagt: Holz ist nicht endlich, der Baustoff wächst tagtäglich in den Wäldern der Schweiz nach. Hochgerechnet auf die 850 Kubikmeter, die bei dieser Grünbrücke eingesetzt wurden, passiert das im hiesigen Wald in nur 3 Stunden und 26 Minuten. Apropos Nachhaltigkeit: Verbaut wurde ausschliesslich Schweizer Holz. Die 850 Kubikmeter Bauholz – Fichte – wurden in Gossau (SG) und Büron (LU) geschlagen. Festigkeit, Dauerhaftigkeit, Verfügbarkeit und der Preis waren entscheidend bei der Auswahl.

Die Ausführung der Brückenkonstruktion erfolgte durch die Arbeitsgemeinschaft FERA: die Aarvia Bau AG für die Baumeisterarbeiten und die Häring AG mit Hauptsitz in Eiken für den Holzbau. Die Vorarbeiten starteten im Februar 2020. Die Hauptarbeiten – der Bau der Überführung – gingen zwischen März und September 2020 über die Bühne. Nach dem Einsetzen der Bohrpfähle sowie dem Erstellen von Fundament und Wänden wurde in der dritten und vierten Bauphasen das Holztragwerk montiert – während der Verkehrs auf nach aussen versetzten Fahrbahnen weiterfloss. Nachts wurde der Verkehr auf je einen Fahrstreifen pro Fahrtrichtung reduziert und im Gegenverkehr geführt.

Die Bogenträger sind über der Fahrbahn konsekutiv in beide Richtungen montiert. Der Bauplatz unmittelbar an der Autobahn war eng, was eine logistisch exakte Koordination erforderte. Eine der Herausforderungen für die Häring AG bestand darin, dafür zu sorgen, dass jeder einzelne Bogenträger zur Montage zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort geliefert wurde. Abschliessend erfolgte die Abdichtung der Holzkonstruktion und der erdberührten Seitenwände.


Die 156 Bogenträger aus Brettschichtholz fertigte die Hüsser Holzleimbau AG in Bremgarten vor. Die einzelnen Lamellen sind druckimprägniert, als Bogen verleimt und zu Trägern abgebunden. Ein Träger ist 17,4 Meter lang und hat einen Querschnitt von 24 mal 76 Zentimetern bei einem Gewicht von zwei Tonnen. Nach dem Abbund erfolgte die Montage der Stahlgelenke und im Anschluss die Lagerung der Bogenbinder auf speziellen Pritschen. Das Sekundärtragwerk besteht ebenfalls aus druckimprägniertem Brettschichtholz. Den Abschluss der Konstruktion bilden eine Furnierschichtholzplatte sowie eine Abdichtung.


Wildtierüberführung Rynetei: Das ist erst der Anfang

«Im nahen Ausland gibt es kaum Wildtierbrücken aus Holz», sagt Stefan Zöllig. «Mir sind nur vier Brücken in Deutschland bekannt.» Der Holzbauingenieur und Mitinhaber von Timbatec hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten dafür eingesetzt, dass Grünbrücken mit Holz gebaut werden. Eine erste Studie erstellte Zöllig 1998 gemeinsam mit der Schweizerischen Gesellschaft für Wildtierbiologie am Beispiel Neuenkirch (LU). «Das Astra hat umfangreiche Regeln zum Bau von Kunstbauten aus Beton und Stahl, aber keine Regeln zum Holzbau, da dieser bisher nicht vorkam», sagt Zöllig. Eine zweite Studie Zölligs entstand 2005 im Auftrag des Tiefbauamts des Kantons Aargau. Dieses Mal ging es um zwei Wildtierbrücken. «Die eine über die N1 zwischen der Ausfahrt Aarau West und Aarau Ost, ungefähr an der Stelle, an der die Grünbrücke Rynetel jetzt realisiert wurde», erklärt der Holzbauingenieur. «Die andere Brücke führt über die T5 zwischen Aarau Ost und Aarau. Diese wäre die Fortsetzung des Wildtierkorridors von Süd nach Nord in Richtung Jura.»

Den Status, die schweizweit einzige Grünbrücke mit Holz zu sein, wird die Wildtierüberführung bald nicht mehr haben. Laut Zöllig sind aktuell sechs solcher Konstruktionen in Planung. Wie das Bundesamt für Strassen auf Nachfrage mitteilt, ist eine Wildtierüberführung mit Holz über die A2 in Neuenkirch im Bau.
timbatec.com, haring.ch, bp-ing.ch

Das Projekt – die Fakten

Objekt: A1 Wildtierüberführung Rynetel, Suhr (AG)
Standort: Überquerung der Autobahn A1 zwischen Suhr und Gränichen
Fertigstellung: 2020
Bauherrschaft: Bundesamt für Strassen Astra, Filiale Zofingen
Planung: Ingenieurgemeinschaft WUEF mit Bänziger Partner AG und
Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Bern
Ausführung: Arge FERA mit Aarvia Bau AG und Häring AG, Eiken (AG)
Produktion und Abbund Bogenbinder: Hüsser Holzleimbau, Bremgarten (AG)
Baukosten: CHF 13,9 Millionen
Brückenfläche: 1800 m2
Holz: 187 m3 Fichtenholz aus Gossau (SG) und Büron (LU)

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz