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03/2019 Zuhause

BAU.WERK

Der Zwillingsbau

Die Villa in einem kleinen Weiler im Kanton Zürich an der Grenze zum Aargau zeigt, was in ihr steckt. Das offen gelegte Tragwerk ist einmal nach aussen gekehrt, das andere Mal hinter eine gläserne Fassade gepackt.

Text Sandra Depner, Bauzeit Architekten | Fotos Yves André | Pläne Bauzeit Architekten GmbH

Die Bauherrschaft wünschte sich, dass der Neubau regionale Bezüge herstellt – in der Gestaltung der Bauvolumen sowie in der Gebäudehülle. Dieser Auftrag begleitete die Architekten seit der ersten Entwurfsskizze. Das Bieler Architekturbüro Bauzeit Architekten kam dem Wunsch mit einem Zwillingsbau nach, der die Verankerung in der Region modern interpretiert.

Die beiden Volumen ersetzen ein Einfamilienhaus aus den 1950er Jahren. Eine Sanierung habe sich nicht gelohnt, sagt Architekt Peter Bergmann. Den Auftrag erhielt er 2015, realisiert wurde das Projekt zwischen November 2016 und April 2018. Für den Holzbau war auf Planungsseite das Ingenieurbüro Pirmin Jung aus Thun tätig, auf ausführender Seite die Firma Schäfer Holzbautechnik aus dem Aargau.

Die Villa bietet eine Nutzfläche von rund 750 Quadratmetern, verteilt auf vier Geschosse: ein Untergeschoss, zwei Erdgeschosse und ein Dachgeschoss. Das schafft viel Spielraum: für einen Pool und eine Sauna im Souterrain, einen grosszügigen Aussenraum unter der Laube mit Sicht ins Grüne und eine individuelle Innenarchitektur mit massgefertigten Möbeln sowie ausgewählten Farben und Materialien. Im unteren Erdgeschoss befindet sich der Wohnbereich mit Küche. Die oberen Geschosse beherbergen die Schlafräume und Badezimmer.


Ein Grundriss mit zwei leicht verdrehten Hauptquadern

Aus dem Grundriss wurde ein Gebäude mit zwei Rechtecken entwickelt, die zueinander leicht verdreht mit Aussenbrennpunkt auf dem südseitigen Garten angeordnet sind. Die Firstlinien und Dachneigungen der Satteldächer sind identisch – die Firsthöhen hingegen unterscheiden sich. Die beiden Volumen öffnen sich auf der Südseite zum Aussenbereich und zur weitläufigen Landwirtschaftszone mit ihren zahlreichen Obstbäumen. Da der Neubau seitlich von Wohnhäusern umgeben ist, konzentrieren sich das Leben und die Privatheit in den Räumen, die nach Süden ausgerichtet sind. An den Seiten zu den Nachbargebäuden ist die Fassade geschlossen.

Der komplette Holzbau hat nur in den unter Terrain liegenden Bauteilen einen Sockelbau aus Beton. Die Organisation der zwei Volumen ist so vordisponiert, dass sie bei Bedarf mit minimalen Änderungen in zwei Wohneinheiten verwandelt werden können – zum Beispiel in ein Zwei-Generationen-Haus.

Ein Holzhaus zwischen Australien und der Schweiz

«Zu Beginn loten wir immer mit den Bauherren aus, was die Vorstellungen sind. Wir laden sie deshalb ein, eine Bildersammlung zu erstellen: mit Motiven oder Ideen, die ihnen gefallen oder eben nicht gefallen», erklärt Architekt Bergmann. Was gefiel, das war die Idee eines Holzhauses. Eines, das kein Holz zeigt, sondern deckend gestrichen eine ganz andere Sprache spricht. Dann galt es noch, einen kulturellen Spagat zu wagen, mehr sogar – einen interkontinentalen Spagat: «Die Familie lebte vor ihrer Ansiedlung in der Schweiz lange in Australien. Es sollte ein Eigenheim entstehen, das die regionale Bauweise aus der Schweiz mit Charakteristiken des australischen Country Haus verbindet. Da besteht natürlich die Gefahr, schnell ins Kitschige abzurutschen.»

Zwei volumen, zwei hölzerne Tragwerke

Die über Terrain befindlichen Stockwerke sind mit einer Holzständerkonstruktion aus Brettschichtholz erstellt. Auch wenn das hölzerne Tragwerk sichtbar bleiben sollte, bevorzugte die Bauherrschaft im Inneren eine neutrale Materialität. Deshalb wurden die Wände und Decken mit mineralischen Farben gestrichen. Es sind die lokalen Holzfachwerkbauten, die Architekt Bergmann bei seinem Entwurf vor Augen hatte und neu interpretierte. Über seine sichtbare, hölzerne Tragstruktur nimmt der Neubau Bezug auf diese Bauweise. Das war Bergmann ein besonderes Anliegen: «Wir haben während der Entwurfsphase andere aktuelle Projekte studiert, darunter diverse Riegelbauten und deren Fassaden.» Es sei jedoch heutzutage technisch nicht sinnvoll, so seine Erkenntnis, eine tragende Holzkonstruktion auszumauern.

Wie Zweieiige Zwillinge: ähnlich, aber nicht gleich

Für Bergmann gibt es zwei ganz offensichtliche Möglichkeiten, tragende Holzkonstruktionen sichtbar zu machen: «Entweder: Man kehrt sie nach aussen. Oder: Das Tragwerk bleibt hinter der Hülle sichtbar.» Der Architekt entschied sich bei der Villa für beide Varianten. Eine Entscheidung, die den Zwillingscharakter des Gebäudes unterstreicht: mit zwei Volumen wie bei einem zweieiigen Zwillingspaar, die sich voneinander unterscheiden, deren Zusammengehörigkeit dennoch deutlich erkennbar ist. Es sind die Details, die den Unterschied machen: Das westseitige Volumen wird durch eine nach aussen gekehrte Konstruktion gekennzeichnet, die zusätzlich als Aufhängung der Laube dient. Die statisch wirksame Struktur erhält hier auf natürliche Weise eine gestalterische Dimension. Das höhere und schmalere, ostseitige Volumen besitzt im Gegensatz dazu eine glatt durchlaufende Aussenhaut. Hier ist die Tragstruktur lediglich hinter einer grosszügigen Verglasungen sichtbar.

Das Sichtbarmachen des Tragwerks zieht immer auch einen besonderen Umgang mit dem Holz als Baustoff nach sich, der entweder konstruktiv oder in der Behandlung vor Witterungseinflüssen geschützt werden muss. In diesem Fall wurde das Brettschichtholz zuvor druckimprägniert. Danach kam eine Oberflächenbehandlung durch einen Ölauftrag zum Einsatz.

Verankert in der Region und in der Tradition

Die Farbe hat auch einen ästhetischen Zweck, wie Bergmann erklärt: «Wir wollten, dass sich der Neubau aus Distanz nicht von traditionellen Häusern absetzt. Eine Massnahme war, dem Bau die gleiche Farbigkeit wie jene von alten Bauten zu verleihen. In dieser Region wäre das entweder das Weinrot der Riegelbauten gewesen oder ein schlichtes Grau.» Bauzeit Architekten entschied sich für Grau. Auch weil andere Bauten in der nahen Umgebung bereits durch Form und Farbgebung starke Akzente setzten, in die sich ein Weinrot kaum harmonisch eingefügt hätte. Die Farbwahl ist nicht das Einzige, das an die Umgebung anknüpft. Durch die Wahl der zwei aneinandergefügten, einfachen Baukörper mit Satteldach wird eine traditionelle Grundform angewendet. Das Ensemble erinnert an organisch gewachsene Bauten, die Anbau um Anbau, Generation um Generation, über die Jahrzehnte hinweg gewachsen sind. 

Schäfer Holzbautechnik

2003 wurde die Schäfer Holzbautechnik AG mit Sitz in Aarau (AG) im Rahmen eines Management-Buy-outs gegründet. Zur Holding gehören die Schäfer Zimmerei AG, die Schäfer Schreiner AG, die Schäfer Ingenieur AG und die Schäfer Generalunternehmung AG. sht.ch


Bauzeit Architekten

Das Bieler Architekturbüro Bauzeit Architekten GmbH wurde 1995 von drei Architekten gegründet: Peter Bergmann, Yves Baumann und Roberto Pascual. Das Spektrum der Arbeiten reicht von Einfamilienhäusern bis hin zu städtebaulichen Interventionen – darunter Wohngebäude, Einkaufszentren, Industrieanlagen, Kliniken sowie Stadtentwicklungen. bauzeit.com


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Villa
Standort: Kanton Zürich
Ausführung: 2017– 2018
Bauherrschaft: privat
Architektur und Bauleitung: Bauzeit Architekten GmbH, Biel
Holzbau: Schäfer Holzbautechnik, Aarau
Tragwerksplanung und Bauphysik: Pirmin Jung Schweiz AG, Thun (BE)
Bauingenieur: Weber + Brönnimann AG, Bern
Innenarchitektur: Bauherrschaft sowie Bauzeit Architekten, Biel
Geschossfläche: 757 m2
Gebäudevolumen: 2510 m3
Holz: 67 m3 Brettschichtholz (BSH / C24)

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