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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2020 Auf der Überholspur

Lebens.raum

Ein Katalysator für die Kultur

Es ist ein Ort der Begegnung und der Kultur: das Verrucano in Mels. Der Neubau mit seiner markanten weinroten Fassade ist das neue Kultur- und Kongresshaus. Für die Melser, ihre Vereine und für das ganze Sarganserland.

Text SD, PD | Fotos Ladina Bischof, Stefan Bienz | Pläne Raumfindung Architekten

Geprägt durch das Wachstum während der Industrialisierung hat sich das ehemalige Bauerndorf Mels an der Seez zu einer stattlichen Gemeinde entwickelt. Der im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) eingetragene Dorfkern ist identitätsstiftend. Enge Häuserzeilen definieren die Gassen und Strassenzüge, die durch stimmige Platzfolgen aufgelockert werden. Es formt sich ein komplexer Siedlungsraum mit atmosphärischen Grün- und Freiräumen, die zu einer hohen Wohn- und Lebensqualität im Melser Dorfkern führen. In dessen Zentrum: das neue Kongress- und Kulturhaus Verrucano. Ausgangspunkt war der Wunsch der Bauherrschaft nach einem Ort für Begegnungen, für Kultur und gesellschaftlichen Austausch. 2013 wurde der offene Projektwettbewerb für ein neues Gemeinde- und Kulturzentrum ausgeschrieben, bei dem sich der Entwurf «Pinot Noir» von Raumfindung Architekten durchsetzte. Dabei stärkt das Gesamtkonzept den heutigen Dorfplatz als schützenswertes Ortsbild. Die differenziert gestalteten Freiräume werden zur Begegnungszone für den Alltag der Bevölkerung. Eine flache Freitreppe akzentuiert den Übergang vom Dorfplatz, der den Auftakt zum neuen Rathausplatz bildet. Mit seiner filigran gestalteten Holzfassade in dezentem Weinrot steht das Kulturhaus Verrucano als Zielpunkt der Raumfolge.

Der Entwurf unterteilt das Raumprogramm einerseits in ein Kulturhaus, das als zertifizierter Holzelementbau aus Schweizer Holz erstellt ist. Und andererseits in die Erweiterung des Rathauses: ein Massivbau mit verputztem Einsteinmauerwerk. Aufgrund der dorfbaulichen Setzung integriert sich das viergeschossige Rathaus in die bestehende Häuserzeile. Die Materialisierung und die Fassadengestaltung orientieren sich an den umliegenden Bauten. Die Gebäudehüllen beider Bauwerke sind entsprechend den Minergie-Anforderungen konstruiert. Über den Anschluss an die Fernwärmeleitung des Dorfkerns erfolgt die Wärmeerzeugung, zudem verfügt das Kulturhaus über eine kontrollierte Lüftung mit adiabatischer Kühlung.

Das Kulturhaus: Bescheiden elegant
Die Haupteingänge und frequentierten Erdgeschosse der beiden Neubauten orientieren sich zum neuen Rathausplatz hin. Den Platzraum fasst die flach geneigte Giebelfassade des Kulturhauses; diese markiert den gut auffindbaren Haupteingang. Das mit einladender Geste auskragende Vordach bildet einen fliessenden Übergang in das Gebäudeinnere und führt den Besucher in das mehrgliedrige und multifunktional nutzbare Foyer. Hier ist viel Platz für die Kultur, denn das neue Kulturhaus beinhaltet einen grossen Konzertsaal, einen kleinen Saal sowie Proberäume für die Vereine. Mit dem Bauwerk erhält Mels eine neue kulturelle Mitte. Dabei zeigt sich die Architektur bescheiden und changiert zwischen einer hölzernen Festhütte und einem eleganten Konzertsaal.

Der Löwensaal: Grosszügig und vielseitig
Der Löwensaal verfügt über eine hervorragende Raumakustik und eine vielseitig nutzbare Bühne, was ihn für eine multifunktionale Nutzung prädestiniert. Vom Rathaus kommend, tritt der Besucher in das Foyer, das sich Z-förmig um den Löwensaal erstreckt. Der Konzertsaal bietet Platz für bis zu 744 Personen bei Konzertbestuhlung und eignet sich auch für Bankette und Festveranstaltungen.

Auch die grosszügige und offene Bühne wird der multifunktionalen Nutzung gerecht: Je nach Bedarf kann der Bühnenraum den jeweiligen Anforderungen angepasst werden – funktional wie auch akustisch und visuell. Im hinteren Zuschauerbereich ist eine Galerie mit abgestufter Bestuhlung, die über das Obergeschoss zugänglich ist. Zwischen Foyer und Löwensaal befindet sich die Gastroküche. Diese Platzierung ermöglicht eine Bedienung je nach Nutzeranspruch in das Foyer oder in den Saal.

Runggalina: Flexibel und Unabhängig
Nebst dem Löwensaal befindet sich im Erdgeschoss ein zweiter, knapp 130 Quadratmeter grosser Vereinssaal, der Runggalina-Saal. Dank eines separaten Nebeneingangs kann der kleine Saal unabhängig genutzt werden. Unmittelbar angrenzend und mit direktem Zugang dazu liegt der Backstage-Bereich der grossen Bühne des Löwensaals. Bei Bedarf kann der Runggalina-Saal zusätzlich zum Warte- oder Vorbereitungsraum umfunktioniert werden. An den Bühnenbereich gut angebunden sind die zwei Künstlergarderoben und Nasszellen im Obergeschoss.


Die Säle Gafarra und Ragnatsch

Im Obergeschoss befinden sich zwei weitere Säle: Gafarra und Ragnatsch. Gafarra ist westlich über das Dorffoyer erschlossen und eignet sich mit seinen 90 Quadratmetern neben Tanz- und Musikproben auch für Bankette und Sitzungen im kleinen Kreis. Ragnatsch – das 190 Quadratmeter grosse Probelokal der Musikgesellschaft Konkordia Mels – befindet sich im Südosten, angegliedert an das Musikfoyer. Die Grundrisse sind für unterschiedliche Benutzergruppen entwickelt und bieten so ein vielfältiges Raumangebot. Die Ausstattung der Räume schafft, neben idealen akustischen Bedingungen für Musikproben, genügend Raum für ein Nebeneinander im Vereinsalltag.


Wertschöpfung für die Region

Das neue Kulturhaus bedeutet einen kulturellen Impuls für die Region Sarganserland. Aufgrund der Grössenordnung wurde das Bauvorhaben dem öffentlichen Beschaffungswesen des Bundes unterstellt. Die Auswertung der geografischen Verteilung der beteiligten Unternehmer zeigt, dass die Bauleistungen zum grössten Teil aus der Region erbracht wurden. Zahlreiche Handwerksarbeiten und insbesondere die Hauptaufträge wie Baumeister, Baugruben und Holzbau wurden von lokalen Arbeitsgemeinschaften ausgeführt. Insgesamt gingen 95 Prozent der Handwerkeraufträge an Firmen aus der Ostschweiz, davon waren 81 Prozent aus dem Kanton St. Gallen und fast ebenso viele aus der unmittelbaren Region Sarganserland-Werdenberg.


Zu diesen lokalen Arbeitsgemeinschaften zählen drei Holzbauunternehmen, die sich zur Arge Sarganserland zusammengeschlossen haben: die BN Holzbau Bless Norbert AG aus Tscherlach (SG), die Edi Willi Holzbau AG direkt aus Mels und die Jäger Holzbau AG aus Vilters (SG). Mathias Ackermann, dipl. Techniker HF Holztechnik bei der BN Holzbau Bless Norbert AG, koordinierte als Projektleiter den Holzbauauftrag: «Die Vorfabrikation der Elemente dauerte rund drei Monate. Ebenso die Aufrichte, die wir im März 2019 abschliessen konnten.»

Diese hohe regionale Wertschöpfung ist das Resultat der architektonischen Haltung. Die Materialien stammen möglichst ressourcenschonend aus dem lokalen Umfeld und sind mit traditionellen Handwerksmethoden verbaut: Rheinkies, Verrucano-Natursteine, Terrazzo, Platz- und Dachgestaltung mit Natursteinen, Putz mit Kieselwurf und Holzfassade und Holzelementbau aus Schweizer Holz, ausgezeichnet mit dem Label Schweizer Holz. In diesem Sinne unterstützt die Baukultur nicht nur die Kultur, sondern auch das regionale Gewerbe und das traditionelle Handwerk. Es resultiert ein allseits gewinnbringender Kreislauf für die lokale Wertschöpfung und Identität.

Ökologisch und Ästhetisch
Für die Arbeit von Raumfindung Architekten spielt Holz eine besondere Rolle. Holz als Baumaterial erachten die Architekten bezüglich Ökologie, Bauweise und architektonischen Ausdrucks als sehr interessant. Einerseits garantiert eine hohe Vorfertigung in Montageelemente eine kurze Bauzeit. Andererseits erzeugt Holz als Material eine angenehme Raumstimmung und ein gutes Raumklima in den Innenräumen. Das Architekturbüro aus Rapperswil plant und baut gerne mit diesem vielseitigen Rohstoff, wobei die Wahl der Bauweise und des Materials schlussendlich immer aus den Begebenheiten des Ortes und spezifischen Aufgabenstellung erfolgt.

Wie auch beim Verrucano. Dabei war die Wahl des Konstruktionskonzepts bereits ein wichtiger Bestandteil des Wettbewerbsentwurfs. Und so war das geforderte Raumprogramm für das neue Kultur- und Gemeindezentrum in Mels bereits im Wettbewerbsprojekt auf zwei Gebäude aufgeteilt: das murale Rathaus mit den Verwaltungsräumen in erster Reihe an der Wangserstrasse, dann der grosse Festsaal in zweiter Reihe als Holzelementbau mitten im Dorfkern. Aus Sicht der Architekten ist die Holzbauweise kombiniert mit einem Schrägdach ideal für die grossen Spannweiten und die Einbettung im Dorfkern.
holzbau-bless.ch, jaegerholzbau.ch, ediwilliholzbau.ch, pirminjung.ch, verrucano.ch, bruehwilerag.ch

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Kultur- und Kongresshaus Verrucano
Standort: Mels (SG)
Offener Projektwettbewerb: 2013
Fertigstellung: September 2020
Bauherrschaft: Politische Gemeinde Mels
Architektur: Raumfindung Architekten, Rapperswil (SG)
Ausführung Holzbau, Arge Sarganserland: BN Holzbau Bless Norbert AG, Tscherlach (SG); Jäger Holzbau AG, Vilters (SG); Edi Willi Holzbau AG, Mels
Holzbauingenieur, Bauphysik, Akustik, Brandschutz: Pirmin Jung Schweiz AG, Sargans (SG)
Gebäudevolumen (SIA 416): 21?194 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 3786 m2
Holz: Weisstanne (Fassade), Fichte (Primärtragwerk), Dreischichtplatten (Verkleidung)


Raumfindung Architekten, Rapperswil (SG)

Seit der Gründung von Raumfindung Architekten 2008 sind mehr als ein Dutzend Bauwerke realisiert worden und ebenso viele Projekte im Bau. Das Architekturbüro unter Inhaber Beat Loosi, dipl. Architekt ETH BSA SIA, hat inzwischen 20 Mitarbeitende. In der Rapperswiler «Denkwerkstatt» wird ein breites Spektrum an Bauaufgaben bearbeitet: vom Konzertsaal zum Bezirksgericht, vom Rathaus zum Kirchenpavillon, vom Einfamilienhaus zur Wohnüberbauung. Ein Augenmerk im Wettbewerbswesen liegt auf der Auseinandersetzung mit der Baukultur in der Region Ostschweiz. raumfindung.ch

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