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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2020 Spannend

Stil.Form

Freitragend für Kunst und Kultur

Das Kulturhaus Rain der Gemeinde Böttstein (AG) greift mit dem Tonnendach ein Stück Architekturgeschichte auf – und schafft über das Rautenmuster einen Bezug zum Dorfwappen. Auch funktional überzeugt die freitragende Konstruktion: Der gesamte Dachraum kann stützenfrei genutzt und gestaltet werden.

Text Cornelia Bisch | Bilder Andreas Buschmann | Pläne Haefeli Architekten

 

Es ist das Rundtonnendach des Kulturhauses Rain in Kleindöttingen, das zuerst ins Auge sticht. Aussen ist es mit einer Kupferschicht eingedeckt, innen nach dem Vorbild eines Zollingerdachs konstruiert. Auf diese Bauweise, die vom Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger vor hundert Jahren entwickelt wurde, stiess Architekt Raphael Haefeli im Rahmen seiner Professur in Deutschland. «Das Rautenmuster, das sich bei dieser Konstruktionsweise ergibt, spiegelt das Design des Dorfwappens von Böttstein wider und wirkt deshalb identitätsstiftend für die Bevölkerung», legt er dar.

Die Aargauer Gemeinde ist Bauherrin des im zugehörigen Ortsteil Kleindöttingen erbauten Kulturhauses. Sie liess sich vom Gedankenspiel des Architekten offensichtlich einnehmen. Denn das Projekt im Umfang von rund 3,3 Millionen Franken wurde im zweiten Anlauf anstandslos genehmigt und im vergangenen Jahr realisiert. Blickt man sich aufmerksam im Gebäude um, entdeckt man viele Details – Muster, Farben, Materialien –, die sich wiederholen und es auf diese Weise in eine harmonische Einheit verwandeln.

 

Sichtbare Balken

Die Dachkonstruktion des Kulturhauses Rain entspricht nicht zu hundert Prozent der klassischen Konstruktionsweise des Zollingerdachs. «Das Rautenmuster eines solchen Dachs besteht aus vielen Einzelabschnitten mit zwei Tragrichtungen», führt der Architekt aus. «Wir haben jedoch in einer Richtung Durchlaufträger montiert und nur in der Gegenrichtung mit Einzelstücken gearbeitet.» Die sich überkreuzenden Balken wurden mithilfe einer modernen CNC-Fräse in ihre Form gebracht. Zuständig für die Holzbaustatik und -planung sowie Produktion und Montage war das Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann AG, die Bauleitung übernahm die HM Architekten GmbH.

«Einen Standardbogenbinder herzustellen, ist an sich eine simple Sache», erklärt Martin Looser, Bereichsleiter Holzkonstruktionen bei der Blumer-Lehmann AG. «Hier jedoch gestaltet sich die Situation so, dass die Bogenbinder nicht rechtwinklig zur Gebäudelänge angeordnet sind und sich überkreuzen.» Dabei entstehe eine windschiefe Fläche, die sich in der Folge über die gesamte Bogenlänge verändere. «Der rechteckige Rohlingsquerschnitt musste jeweils unten und oben überfräst werden, damit der Rhomboidquerschnitt eine homogene Struktur ohne Absätze bildet.»

Das Tonnendach des Kulturhauses Rain ist nicht vertikal abgeschnitten, sondern mit einem Walmdach an den beiden Seiten versehen. «Der Zusammenschluss von Tonnendach und planarem Walmdach ergibt einen doppelt gekrümmten Gratsparren», führt der Fachmann aus. Blumer-Lehmann sei spezialisiert auf solch «krumme Sachen», verrät Looser lachend. «Mit unserer fünfachsigen CNC-Fräsmaschine sind wir Spezialisten, wenn es um gekrümmte Formen – auch Free-Form-Bauten genannt – im Holzbau geht.»

 

Tragleistung musste verbessert werden

Die Decke war jedoch bei Weitem nicht die einzige Herausforderung, der sich die Erbauer des Kulturhauses Rain stellen mussten. Denn es steht auf dem alten Fundament und Kellergeschoss einer Turnhalle aus den 1950er Jahren, das jedoch nur über eine ungenügende Tragleistung verfügte. «Erschwerend kam hinzu, dass die Tragleistung auf die längsseitigen Aussenwände beschränkt war», berichtet Raphael Haefeli. Deshalb wurden die stirnseitigen Abschlusswände des neuen Oberbaus an dessen Dach gehängt. Um die Statik des Untergeschosses zusätzlich zu verbessern, wurde dessen Mittelgang mit tragenden Kalksandsteinwänden verstärkt, neben deren Fundamenten die Kanalisationsleitungen untergebracht wurden. So schlug man quasi zwei Fliegen mit einer Klappe.

Um das Gewicht der maximal für den Saal zugelassenen 300 Personen genügend abzustützen, wurde zudem ein 18 Zentimeter dicker Unterlagsboden aus faserarmiertem Beton direkt auf die Decke des alten Untergeschosses gebaut. Er ist mit einem federnden Eichenparkett belegt, der auch eine sanfte sportliche Nutzung des Raums zulässt. «Die Vorgabe war, den Neubau auf jeden Fall leichter zu konstruieren als die alte, massiv gebaute Turnhalle», so Haefeli. Weil er diese durch einen Holzständerbau ersetzte, welcher per se viel weniger Gewicht aufweist als ein Massivbau, gelang dies trotz des verstärkten Bodens.

 

Massarbeit vom Feinsten

Da im neuen Kulturhaus Konzerte stattfinden werden, belegte man die Wände mit Akustikpaneelen. «Sie weisen alle einen Abstand von vier Millimetern zueinander auf. Die Montage der Wände kommt ohne jeglichen Verschnitt aus», erklärt Haefeli. Anspruchsvolle Präzisionsarbeit für Planer und Handwerker. Dies bestätigt auch Martin Looser. «Eine sehr schöne Arbeit für unsere Fachleute, welche die Montage vor Ort vornahmen.»

«Eine genaue Simulation, wie sich das Ensemble von Akustikwänden und Deckenkonstruktion auf die Raumakustik auswirken würde, war schwierig», betont Haefeli. «Die Rückmeldungen der Bauherren, die schon Konzertveranstaltungen abgehalten haben, sind jedoch positiv.» Ausserdem schmeichelt die sehr regelmässige Montagearbeit der Wände, die auf beiden Längsseiten von drei bodentiefen quadratischen Fenstern und sechs Holztüren unterbrochen werden, dem Auge. Die Türen der Ostseite dienen der Belüftung und können aus Sicherheitsgründen lediglich gekippt werden. Auf der Westseite führen sie über drei Aussenstufen auf den Schulhof und erweitern dadurch im Sommer den Raum ins Freie.

Neben dem Kultursaal mit mobiler Bühne, Lager- sowie Backstage-Bereich und Dachräumen für die Haustechnik gibt es eine geräumige, moderne Catering-Küche sowie das grosszügige Foyer, dessen Zementfliesenmuster an die Verstrebungen des Zollingerdachs erinnern. Da sich ebenfalls auf dieser Ebene eine rollstuhlgängige Toilette befindet und der Zugang zum Foyer mittels Rampe gewährleistet ist, wurde auf den Einbau eines Lifts verzichtet. Gang und Treppe ins Untergeschoss sind mit dunklem Kunststein belegt. Das Untergeschoss wurde ebenfalls erneuert. Hier befinden sich neben modernen, geschmackvoll eingerichteten Toiletten- und Garderobenanlagen sowie zwei separaten Einzelduschen die Technikräume, eine Garage und die Archivräume der Gemeinde. Das Haus wird mit Fernwärme beheizt, ist ausgezeichnet gedämmt und mit einer kontrollierten Lüftung ausgestattet, sodass keine separate Klimaanlage mehr nötig war. Die grossflächigen Fenster des Kulturraums lassen sich mit einer dichten, dunklen Store beschatten, die etwa bei Film- oder Theaterveranstaltungen das Tageslicht fast gänzlich fernhält.

 

Programmierte Lichtstimmungen

Beleuchtet sind der Kultursaal und das Foyer mit runden LED-Leuchtkörpern in schwarzer Metallfassung, die warmes Licht und ein festliches Ambiente verbreiten. Sie lassen sich stufenlos dimmen und programmieren. Verschiedene Lichtstimmungen für Aufführungen, Vernissagen, Feste oder Ansprachen sind auf diese Weise lediglich per Knopfdruck abrufbar. Im Saal sind ausserdem seitlich Lichtstrahler angebracht, welche den Raum indirekt beleuchten und die Zollingerdecke spektakulär in Szene setzen.

Ein kleines, kaum wahrnehmbares Detail widerspiegelt auch hier den ausgeprägten Sinn für stimmige Ästhetik des Architekten Raphael Haefeli. Die Innenseiten der schwarzen Pendelleuchten im Saal sind mit einer Kupferschicht überzogen, eine Anlehnung an die Verkleidung der Dachaussenseite. Auch das messingfarbene Geländer der Zugangsrampe beim Eingang sowie die Armaturen aus Baubronze im Saal runden das Einheitsbild ab. «Das gesamte Gebäude besteht aus Holz, Beton, Kupfer und Baubronze», zählt Haefeli auf. «Mir ist wichtig, dass die verarbeiteten Materialien wenn möglich unbehandelt bleiben.» Auf diese Weise seien sie dem natürlichen Alterungsprozess sowie Veränderungen durch Umwelteinflüsse ausgesetzt, was ihnen eine sich mit der Zeit verändernde Patina verleihe.

«Es hat schöne und schwierige Phasen gegeben», lässt Bauleiter Max Hauenstein (HM Architekten GmbH) die Bauzeit Revue passieren. «Es ist jedoch insgesamt sehr positiv, dass wir das Projekt mit den Bauherren wie geplant durchziehen konnten, ohne vom Weg abzukommen.» Denn diese hätten von Anfang an einem schönen und nachhaltigen Bau zugestimmt und den Rotstift vernünftig angesetzt. «Die Freude überwog eindeutig», betont auch Raphael Haefeli. «Es war schön für uns, die Faszination für diese besondere Konstruktion mit den Bauherren teilen zu können.»
lehmann-gruppe.ch, hm-architekten.ch 

Raphael Haefeli, Haefeli Architekten

Raphael Haefeli schloss 2003 sein Architekturstudium an der ETH Zürich ab. Seit 2006 ist er Mitinhaber von Haefeli Architekten, Dipl. Architekten ETH/SIA, mit Sitz in Döttingen (AG). Im Jahr 2007 nahm Haefeli die Forschung und Lehre an der ETH Zürich auf. Seit 2016 vertritt er die Professur für Architektur und Entwurf
der Hochschule Biberach (DE).
haefeli-architekten.ch


Das Projekt – die Fakten

Projekt: Ersatzneubau Kulturhaus Rain
Standort: Kleindöttingen/Böttstein (AG)
Fertigstellung: November 2019
Planungszeit: 12 Monate
Bauzeit: 10 Monate
Bauherrschaft: Einwohnergemeinde Böttstein
Architektur: Haefeli Architekten, Döttingen (AG)
Bauleitung und Kostenkontrolle: HM Architekten GmbH, Gippingen (AG)
Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau (SG)
Akustik: Steigmeier Akustik + Bauphysik GmbH, Baden
Baukosten: BKP 1–9 ca. CHF 3,3 Mio., BKP 2 ca. CHF 2,7 Mio.
Gebäudevolumen (SIA 416): Total 3665 m³ (Neubau 2469 m³, Umbau 1196 m³)
Nettogeschossfläche (SIA 416): Total 751 m² (Neubau 443 m², Umbau 308 m²)
Holz: 103 m3 Fichte aus Mitteleuropa

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