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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

3/2022 Zeitgemäss

FOKUS.THEMA

Geballtes Landleben

In Ballungszentren wird immer häufiger aufgestockt, angedockt und komprimiert, um zusätzliche Wohnfläche zu generieren. Auf dem Land hingegen steht immer noch das Einfamilienhaus hoch im Kurs. Aber auch hier gibt es Beispiele dafür, wie enger zusammengerückt werden kann. Der Lindenhof in Oberaach (TG) – eine «Wohnscheune» mit fünf Mietwohnungen – gehört dazu. Wer hier lebt, sollte nicht nur das Landleben lieben, sondern auch gerne mit den Nachbarn auf Tuchfühlung gehen.

Text Susanne Lieber | Fotos Hannes Heinzer | Pläne Lukas Imhof Architektur GmbH

 

Das Einfamilienhaus gehört zum Landleben wie das Postauto und die Streuobstwiese. Doch Zersiedelung und «Landfressen» nagen am Idyll jenseits citygrauer Architektur. Das freistehende Eigenheim auf der grünen Wiese gilt in kritischen Kreisen als nicht mehr tragbarer Wohntypus, der für bedenk­liche Landschaftsverschwendung steht. Aller­dings lässt sich auch das Wohnen auf dem Land in kompakter(er) Form realisieren, was das Zürcher Büro Lukas Imhof Architektur mit seinem Entwurf für den Lindenhof unter Beweis stellt. Im Frühling nahm der hölzerne Neubau seine ersten Bewohner in Empfang.


Adaptierter Holzbau

Der Scheunencharakter des Baus kommt nicht von ungefähr. An derselben Stelle stand schon vorher eine Scheune. Auch sie gehörte damals zum Gebäudeensemble Lindenhof mit Wohnhaus und Remise, brannte jedoch 2018 ab. Die Erbengemeinschaft beschloss, das Ensemble wieder zu komplettieren, wenngleich die neue Scheune künftig als Wohngebäude genutzt werden sollte. Am einstigen Erscheinungsbild wollte man – in modernisierter Form – festgehalten.

Dem üblichen Thurgauer Scheunentypus entspricht das neue Gebäude übrigens nicht. Genauso wenig wie der Vorgängerbau. «Normalerweise sind im Kanton Thurgau die Scheunen und das Wohnhaus unter demselben Dach direkt aneinandergebaut», erklärt Architekt Lukas Imhof bei einer Ortsbegehung. «Ursprünglich war das hier zwar auch so, aber um 1850 haben die Besitzer den Scheunenteil abgebrochen und als eigenständiges Gebäude wieder aufgebaut – um das Wohnhaus symmetrisch und im klassizistischen Stil zu erweitern. Damals baute man gerne so, wenn man es sich leisten konnte.» Der Brunnen, der auf dem Hof zwischen den drei Gebäuden steht, stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Er markiert auch heute noch das Zentrum des gemeinschaftlichen Lebens auf dem Hof. Der Brunnen führt Quellwasser, das in einer historischen Brunnenstube aus dem 19.Jahrhundert gefasst wird. «Glücklicherweise sind wir beim Bau der Einstellhalle auf keine historischen Leitungen gestossen. Sie sind also noch intakt», freut sich der Architekt und ergänzt: «Auch bei der Rinne, die am Boden vom Brunnen wegführt, kam beim Errichten der neuen Scheune nichts zu Schaden. Die Bauleitung der Krattiger Holzbau AG hat grosse Anstrengungen unternommen, dass alles erhalten bleibt.»


Ganz nah beieinander

Jedermanns Sache ist das dichte Nebenei­nanderwohnen im Lindenhof sicher nicht. Wer in die Scheune einzieht, muss kommunikativ und offen sein – und die unmittelbare Nähe der Nachbarschaft auch aushalten können. Denn die fünf Wohneinheiten sind auf ein Miteinander ausgelegt. Privatsphäre ist nur bedingt möglich. Alle Mietwohnungen werden vom Hof her erschlossen und sind auf dieser Seite auch sehr gut einsehbar – vor allem die beiden Wohnungen mit Vollverglasungen, die in ihren Dimensionen an die früheren zwei Scheunentore erinnern sollen. Sind die grossen Faltfenster aufgeschoben, steht man quasi auch schon direkt im Wohnzimmer beim Sofa.

Das über drei Meter auskragende Dach bietet vor den Eingängen einen witterungsgeschützten Kommunikationsbereich, der unbedingt unverstellt bleiben sollte, wenn es nach dem Architekten geht. Irgendwelche mannshohen Abtrennungen zwischen den Eingangstüren wären dem Planer ein Graus. Die Erschliessungszone soll durchlässig bleiben und Begegnungsort sein. Glücklicherweise läuft bislang alles nach Plan: Sitzgelegenheiten, Bepflanzungen und Dekoratives markieren zwar jeweils die privaten Bereiche, abgeschottet wird sich damit aber nicht. Um sich im Erdgeschoss jedoch etwas vor Einblicken zu schützen, wurden einige Fenster mit Sichtschutzfolie beklebt. «Wie viel nachbarschaftliche Nähe es am Ende sein darf, ist natürlich jedem selbst überlassen. Wichtig ist, dass sich die Bewohner wohl fühlen», meint Lukas Imhof gelassen.


Angehoben für mehr Luft

Im Innern des Gebäudes, dessen Kubatur dem abgebrannten Vorgängerbau entspricht, entfaltet sich die Wohnqualität der Scheune: Die jeweilige Grundfläche der Wohnungen beträgt zwar nur etwa 55 Quadratmeter, aber die überhohen Wohnbereiche schaffen Grosszügigkeit in der Vertikalen, die in Splitlevel unterteilt ist. «Aufgrund der Halbgeschosse erleben die Bewohner die Räumlichkeiten auf besondere Art, wenn sie durchs Haus gehen», so der Architekt. Der Idee mit den Splitleveln liegt aber weniger räumliche Verspieltheit zugrunde als ein handfester Vorteil: Bei drei normalen Geschossen wäre im obersten Zimmer der Dachknick genau auf Augenhöhe gewesen. Ergo, man hätte nicht richtig hinausschauen können. Darum wurde jeweils ein Teil des ersten Geschosses angehoben, wodurch oben drüber ein Zimmer mit Dachfenster entstand. Auf der anderen Seite der Wohnung, wo sich Bad und Treppenhaus befinden, spielt die Aussicht eine untergeordnete Rolle. Deshalb hat es dort normale Geschosshöhen.


Dem Holz verpflichtet

Mit Ausnahme der betonierten Einstellhalle handelt es sich bei der Scheune um einen
reinen Holzbau. Hierfür zeichnete das Unternehmen Krattiger Holzbau AG verantwortlich, das bei diesem Bauprojekt als Total­unternehmer auftrat und den Architekten Lukas Imhof mit dem Entwurf beauftragte. Man kannte sich bereits und hatte schon vorher erfolgreich zusammengearbeitet. Als Ingenieurbüro wurde die Krattiger Engineering AG hinzugezogen. Die Geschäftsinhaber der beiden unabhängigen Krattiger-Unternehmen sind Brüder und stemmten in diesem Fall das Bauprojekt gemeinsam.

Holz spielt in der Scheune unverkennbar die Hauptrolle: Die Zwischendecken sind aus Brettsperrholz mit Sichtoberfläche gefertigt. Die Wände bestehen aus Holzständern mit Zellulosedämmung, und das Dach ist als Hohlkasten mit sichtbaren Dreischichtplatten aus Fichte konstruiert. Nichtsdestotrotz bekommen auch materielle Nebendarsteller eine Bühne: zum Beispiel ungefärbter Anhydrit auf dem Boden im Erdgeschoss und roter Kautschuk in den Bädern.

Die hinterlüftete Fassade aus Fichtenholz besteht im Erdgeschoss aus einer Verschalung mit schmaler Lattung (Nut und Kamm), während in den oberen Geschossen eine breitere Lattung zum Einsatz kommt. Deren Stösse sind jeweils mit schmalen Leisten abgedeckt, wodurch die Fassadenfläche mit einer dreidimensionalen Struktur belebt wird.

Wie üblich in der Region, wurde die Wetterseite (Westseite) des Gebäudes besonders gut vor der Witterung geschützt. Mit roten Wellplatten aus Faserzement, um genau zu sein. Raffiniert greifen sie die differenzierte Oberflächenstruktur der Holzfassaden auf, kehren diese allerdings in ihrer Massstäblichkeit um. Was konkret bedeutet: Unten sind die Wellen grösser dimensioniert, oben kleiner.

Auch in konstruktiver Weise wurde dem Witterungsschutz Rechnung getragen. So hält das weit auskragende Dach automatisch Regen ab. «Man kann hier mit gutem Gewissen sagen: Die Fenster und Fensterbänke aus Fichtenholz würden hier selbst ohne Oberflächenbehandlung ewig halten», erklärt Architekt Lukas Imhof.


Das grosse Kennenlernen

Wie sich das Projekt Lindenhof langfristig entwickeln wird – in baulicher sowie in zwischenmenschlicher Hinsicht – bleibt abzuwarten. Und es wird spannend: Geht der Plan von Bauherrschaft und Architekt auf? Wird es zwischen den Mitbewohnenden ein enges Miteinander geben? Können alle mit der Nähe zur Nachbarin oder zum Nachbarn umgehen? Phase eins und Phase zwei des Projekts konnten bereits erfolgreich abgeschlossen werden: Der Bau ist fertiggestellt, die Mieterschaft eingezogen. Nun gilt es, sich gegenseitig zu beschnuppern. «Wir freuen uns, bald ein Hoffest zu organisieren, bei dem wir uns alle näher kennenlernen können», verrät Eva Schulthess voller Vorfreude. Die Architektin war die Erste, die mit ihrer Familie in den Lindenhof gezügelt ist. 

 

Lukas Imhof Architektur GmbH

Die Bauprojekte des 2012 gegründeten Architekturbüros reichen von Privat- und Gewerbebauten bis hin zu öffentlichen Gebäuden. Architekt Lukas Imhof, namensgebender Gründer des Zürcher Büros, ist zudem schreibend und lehrend tätig. Zusammen mit Carlos Wilkening gründete er darüber hinaus das Möbellabel Wimmöbel.
lukasimhof.ch, wimm.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Lindenhof (Mehrfamilienhaus)
Standort: Oberaach (TG)
Bauherrschaft: private Erbengemeinschaft
Fertigstellung: 2022
Geschossfläche (SIA 416): 825 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 4560 m3
Architektur: Lukas Imhof Architektur GmbH, Zürich (Mitarbeit: Dejan Rebozzi, Lukas Imhof)
Totalunternehmer: Krattiger Holzbau AG, Amriswil (TG)
Holzbauplanung, Baumanagement und Bauleitung:
Dirk Schallenberg und Peter Geissberger (Krattiger Holzbau AG)
Holzbauingenieur: Krattiger Engineering AG, Happerswil (TG)
Holzbau: Krattiger Holzbau AG, Amriswil (TG)
Holz (Tragwerk): Dreischichtplatten aus Schweizer Fichte (Tragwerk),
Brettsperrholz (Zwischendecken)
Holz (Fassade): Schweizer Fichte
Baukosten: CHF 3,2 Mio.

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