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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2020 Zweck und Ästhetik

Lebens.raum

Heilende Architektur

Natur, Ruhe, frische Bergluft und viel Tageslicht: Das sind einige der Komponenten, die das Konzept der heilenden Architektur einer Privatklinik im Fürstentum Liechtenstein prägen. Auf einem hochalpinen Plateau gelegen, widmet sich das Clinicum Alpinum der Behandlung von Menschen mit Erschöpfungsdepression.

Text Sandra Depner | Fotos Alpiger Holzbau, Bruno Klomfar | Pläne J2M Architekten

Gaflei ist ein beliebtes Ausflugsziel. Der Weiler liegt in einer Lichtung, umgeben von Almwiesen und Bergwald. Zugleich eröffnet sich von hier aus der Blick ins Rheintal und auf die Alvierkette der Ostschweizer Alpen, während auf der Liechtensteiner Seite die Felsen des Alpspitzes hervorragen. Eine steile Strasse verbindet Triesenberg, die höchstgelegene Gemeinde im Fürstentum Liechtenstein, mit dem hochalpinen Plateau. Auf 1483 m ü. M., von Alp- und Wanderwegen gesäumt, ist der Weiler Ziel- und Ausgangspunkt für Wanderungen und Bergtouren. Kein Wunder also, dass an diesem Ort der Liechtensteiner Kurtourismus seinen Anfang nahm.

Das Clinicum Alpinum schlägt ein neues Kapitel für Gaflei als einen Ort der Genesung auf. Die 2019 fertiggestellte Privatklinik behandelt jährlich bis zu 250 Menschen, die an Erschöpfungsdepressionen leiden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Sportpsychiatrie. Unter einem Dach vereint der Neubau Therapie, Hotellerie, Spa, Pool sowie Gastronomie. Den Gästen in Behandlung stehen 48 Einzelzimmer und zwei Suiten zur Verfügung. Der besondere Ort habe die Münchner J2M Architekten dazu verpflichtet, ein Gebäude zu entwickeln, dass sich in die landschaftliche Situation einbindet. Die Klinik sollte dabei ein Umfeld schaffen, das die Therapie unterstützt und befördert. «Deshalb muss sich die Architektur entsprechend zurückhalten und die Landschaft die Arbeit machen lassen», heisst es dazu im Konzept von J2M.

«Wir sind nach Gaflei gereist, um uns den Ort und die Topografie anzuschauen und Fotos zu machen. Es muss im Spätsommer 2014 gewesen sein. Die Kühe waren jedenfalls noch oben auf der Alpwiese. All unsere Eindrücke liessen wir in die Entwurfsvorbereitung einfliessen», erinnert sich Architekt Andreas Metz. Das war seine erste Reise nach Gaflei - in Begleitung von Geschäftspartner Christoph Mayr. Es sollten noch einige folgen. So viele, dass er sich über die Wintermonate in ein Ferienhaus in der Nähe eingemietet hatte.

Metz kommt ins Schwärmen:«Es ist ein idyllischer Ort. Natur pur. Für mich war es kaum zu glauben, dass man dort bauen durfte.» Man darf, was die Sichtung der Unterlagen bestätigte: Es handelt sich um eine Sonderzone. Auch wenn bei der ersten Stippvisite 2014 nichts mehr davon zu sehen war: Gaflei war einst ein belebter und bebauter Ort.

 

Verwoben mit Natur und Geschichte

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Gaflei als Maiensäss genutzt. Nach dem Maiauftrieb verbrachte das Vieh den Sommer auf der Alm. Der Alpbetrieb ist bis heute erhalten geblieben, während sich andere Teile Gafleis über die Zeit wandelten. Der Weiler etablierte sich zum ersten Kurort Liechtensteins, damit keimte auch der Tourismus auf. Das gipfelte in der 1875 von Vaduzer Bürgern erbauten «Molken- und Luftkuranstalt auf der Alp Gaflei» - später bekannt als «Alpen-Kurhaus und Alphotel Gaflei». Seit den 1950er Jahren ist die 25,7 Hektaren grosse Alp im Eigentum der Gemeinde Vaduz. Kurz darauf wurde das Kurhaus durch einen Hotelneubau ersetzt, der nach verlustreichen Jahren und wechselnden Pächtern 2005 abgebrochen wurde. Auf der Alm ist einzig die extensive Nutzung der Alpweiden erhalten geblieben.

Nach Sichtung des Ortes reichten J2M Architekten im Dezember 2014 ihren Wettbewerbsentwurf für das Clinicum Alpinum ein. Der Spatenstich erfolgte im Oktober 2016 und die Eröffnung wurde im April 2019 gefeiert. Über den massiven Sockel ragt ein kubischer, in Holz gehüllter Körper hervor. Grosszügige Loggien, deren Tragwerk aus Brettschichtholz und Duobalken konstruiert ist, erweitern den Wohnraum. Im Untergeschoss befinden sich die Tiefgarage mit 30 Parkplätzen und Räume für das Personal, das Lager sowie Technik und Betrieb. Davon separiert erstreckt sich auf der selben Ebene die Erholungszone mit Therapie- und Spa-Bereich, bestehend aus einem Schwimmbad, einem Aussen-Whirlpool, Kneippduschen, einer Sauna und einem Dampfbad sowie einer Terrasse. Der Landschaftssockel zeichnet die Topografie mit verschränkenden Brüstungen in abstrakter Form nach und verleiht dieser Gebäudeschicht ein eher landschaftliches Gepräge.

Darüber im Erdgeschoss sind die beiden Restaurants, die Lobby und der Saal als offener Raum konzipiert, woran die grosszügige Terrasse anschliesst. In dem offenen Grundriss stellen die Räume wie die Küche, Treppen und Aufzüge als massive Kerne das Tragwerk für die darüberliegenden Geschosse dar. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich die Gästezimmer sowie Räume für das Personal und die Verwaltung. Die Geschosse sowie die Gästezimmer sind identisch aufgebaut. Knapp 34 Quadratmeter misst das Standardzimmer, 80 Quadratmeter sind es bei einer Suite. Auf jeder Etagen laden eine Sitzgruppe und eine Teeküche zum Verweilen ein.

Die Gästezimmer gruppieren sich um den Innenhof im Zentrum: «Die Räume dieser beiden Ebenen bilden ein Geviert um einen Patio, der als gestalteter Freiraum einen kontemplativen Ruhepol zur überwältigenden Berglandschaft bildet. Die Assoziationen zu einer Klosteranlage mit Kreuzganghof sind durchaus beabsichtigt. Hier ist die Architektur baulicher Ausdruck für Gemeinschaft, für Besinnung und für das Zu-sich-Finden», erläutert Architekt Metz.

 

Manifest für die Heilung

Die Privatklinik verfolgt das Konzept der «heilenden Architektur». So verfügt das Clinicum Alpinum über ein 15 Punkte umfassendes Manifest. Es geht darin um den Bau einer Klinik aus Sicht des Patienten. Die Architektur soll das Gebäude in die Landschaft einfügen. Zudem wird Wert darauf gelegt, so viel Tageslicht wie möglich in die Räume zu holen. Das Gebäude soll eine Atmosphäre der Sicherheit schaffen, durch bauliche Attribute Orientierung bieten sowie Orte der Ruhe und der Begegnung ermöglichen. «Heilende Architektur ist organisch und insofern weit mehr als eine auf Hygiene, Prozesse und Technik abgestellte Bauweise», heisst es in dem Manifest weiter. Architekt Metz: «Es geht darum, einen Ort zu schaffen, in dem der Mensch abschalten und neue Perspektiven entwickeln kann. Der Ort soll einen Kontrast zum Alltag bieten und die Natur erlebbar machen. All das über und mit der Architektur.» Die Natur und ihre Erlebbarkeit stehen im Mittelpunkt. Die Terrassen im Spa-Bereich bilden durch ihre Nähe zum Wald einen Rückzugsort. Sie wirken auf Metz «kühler, fast schon archaisch».

Ganz im Gegensatz zu den grossen, vorgelagerten Terrassen im Erdgeschoss vor den Gemeinschaftsbereichen. Hier sind alle Facetten der Witterung und ein offener Ausblick erlebbar. Einen Kontrapunkt dazu setzt der Innenhof als eine Art introvertierter Zengarten. Noch sind die Arbeiten hier nicht abgeschlossen. Bald aber sollen in dem windstillen und kontemplativen Innenhof Moose, Pflanzen und Bäume die alpine Fauna aufgreifen. Den stärksten Rückzugsort stellt das private Gästezimmer dar. Die Loggia lässt einen freien Blick in die Natur zu - ebenso wie die grosszügigen Glasfronten im Wohnbereich. Das Badezimmer mit Badewanne ist als kleiner Wellnessbereich konzipiert. Auch hier ist der Bezug zum Aussen durch ein hochformatiges Fenster gegeben - teilweise überlagert von den horizontalen Lamellen zum Schutz der Privatsphäre.


Archaisch, rau, natürlich

Die Materialsprache ist archaisch: Holz innen wie aussen, aufgerauter Sichtbeton mit Steincharakter und Lehm. Dies dient, so J2M Architekten, nicht nur der landschaftlichen Integration, sondern befördert eine ruhige und konzentrierte Grundstimmung. Beim Innenausbau lag ein besonderes Augenmerk auf einem gesunden Raumklima kombiniert mit natürlichen Einrichtungsmaterialien. Die Boden-, Decken- und Wandkonstruktionen bestehen aus unbehandeltem Holz. In jedem Zimmer ist ein Teil der Wände aus Lehm. Entsprechend schlafmedizinischer und schlafbiologischer Kriterien sind die Tages- und Nachtbeleuchtung sowie das Bettsystem samt Kissen und Decken auf einen bioenergetischen Schlaf ausgerichtet.

Bewegung fördert die Heilung. Deshalb hat sie J2M in die Architektur integriert: «Die Patienten sind angehalten, die massive Treppe in Steinbetonoptik als primäre vertikale Erschliessung zu nutzen. Ein weiterer Ort der Bewegung und Begegnung ist der an einen Kreuzgang angelehnte Innenhof. Und dann ist da natürlich die weitläufige Landschaft rund um die Klinik, die auf Spaziergängen erkundet werden kann», sagt Metz. Nichtsdestotrotz galt es, die komplette Anlage barrierefrei und rollstuhlgängig zu gestalten - vom Pool bis zu den Zimmern.

 

Haut aus Holz, Kern aus Beton

Da der Grund wenig tragfähig war, wurde eine Pfahlgründung notwendig. Die steinerne Anmutung des Sockelgeschosses und der Kuben im Erdgeschoss wird durch Stahlbetonwände hergestellt, bei denen durch Hochdruck-Wasserstrahlverfahren die natürliche Struktur der Körnung sichtbar gemacht wurde. Die darüberliegenden Geschosse sind in Hybridbauweise aus Holz und Stahlbeton erstellt. «Der Stahlbeton kam wegen des freien Grundrisses im Erdgeschoss und der daraus resultierenden grossen Spannweiten sowie des Brand- und Schallschutzes für alle tragenden Bauteile zum Einsatz», erklärt Architekt Metz. «Die beiden Wohngeschosse wirken dabei mit den Deckenplatten und den Wandscheiben zwischen jedem zweiten Zimmer als Raumträger und bewerkstelligen somit die grossen Auskragungen über dem Erdgeschoss»

Die Loggien sind aus Holz elementiert in die dafür vorgesehenen Aussparungen der Geschossdecken eingefügt. Die auf Zahnleisten geschraubten massiven Holzbalken der Fassade (10×10 cm) fassen die beiden Patienten-ebenen zu einem schwebenden Holzkörper zusammen und bilden für die Loggien die Absturzsicherung sowie für die Bäder den Sichtschutz aus. Gleichzeitig wird das grosse Volumen durch die horizontalen Lamellen aufgelöst und zitiert die Strickbautradition der Wirtschaftsgebäude in der Umgebung. Die geschossweise Verschuppung bildet einen zusätzlichen konstruktiven Holzschutz und erhöht - wie vom Betreiber gewünscht - die Brüstungstiefe.

Anderthalb Jahre dauerten die Holzbauarbeiten an. Zur Eröffnung im Frühling 2019 musste alles fertig sein. Da bringt eine hochalpine Baustelle die ein oder andere Herausforderung mit sich - auch für das erfahrene Team der Alpiger Holzbau AG. Projektleiter Hanspeter Nigg, der die Gegend gut kennt, befürchtete, dass im Winter die steile und enge Zufahrtsstrasse eventuell gesperrt sein würde. Sie hatten Glück, der Winter fiel wider Erwarten mild aus. Auf das exponierte Gebäude wirken in dieser Höhe hohe Wind- und Schneelasten, insbesondere der Einfluss von Winddruck und -sog auf die Fassade ist nicht zu unterschätzen. Dementsprechend ist die Fassadenkonstruktion laut Nigg so verankert, dass sie einer Windlast von bis zu 160 Stundenkilometern standhält. Um den hohen Brandschutzanforderungen zu entsprechen, ist in den unteren Loggien zwischen Fassade und Dämmung ein Brandriegel eingebaut. «Damit im Fall eines Brandes kein Zug durch die ganze Fassade entsteht - vergleichbar mit dem Kamineffekt - sondern nur von Stockwerk zu Stockwerk», erklärt Nigg.

 

Eine einmalige Bauaufgabe

Das Clinicum Alpinum reiht sich als ein besonderes Projekt in die Referenzliste des Münchner Architekturbüros J2M ein. Mittlerweile beschäftigen sich Metz und seine Kollegen mit neuen Entwürfen und Aufträgen - einige davon wiederum im Fürstentum Liechtenstein. Doch das Clinicum Alpinum wird er so schnell nicht vergessen. «Gaflei ist ein unglaublich schöner Ort. Kaum zu glauben, dass wir da oben bauen durften. Als Architekt ist das eine Bauaufgabe, die man wahrscheinlich nur einmal im Leben hat.» alpiger-holzbau.ch, clinicum-alpinum.com

Andreas Metz, J2M Architekten

Andreas Metz erhielt 1998 sein Diplom an der Architekturfakultät der Hochschule München. Schon seit 1996 war er während des Studiums freiberuflich für unterschiedliche Architekturbüros tätig und gründete 1998 sein eigenes Büro Metz Architekten. Hier verwirklichte er allein und in unterschiedlichen Arbeitsgemeinschaften Gross- und Kleinprojekte im In- und Ausland. Andreas Metz, Alexander Jeckel und Christoph Mayr sind die Partner von J2M Architekten aus München. 2015 schlossen sich die Architekten mit langjähriger Erfahrung aus anderen oder eigenen Büros zusammen und gründeten das gemeinsame Büro in München. j2m-architekten.de


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Clinicum Alpinum, Privatklinik
Standort: Gaflei (FL)
Bauzeit: 2016 – 2019
Bauherrschaft: Clinicum Alpinum Immobilien Anstalt, Schaan (FL)
Architektur: J2M Architekten, München (DE)
Örtliche Bauleitung: Ralf Beck Architekten, Triesen (FL)
Holzbau: Alpiger Holzbau AG, Sennwald (SG)
Holzbauingenieur: Hoch und Gassner AG, Triesen
Baukosten: CHF 22 Mio.
Gebäudevolumen (SIA 416): 33 800 m3 
Bruttogeschossfläche (SIA 416): 5600 m2 
Holz: Tragwerk aus Brettschichtholz und Duobalken (100 m3 ), Fichte für die Fassade (150 m3)

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