Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2021 Raum und Kilma

Lebens.raum

Hinter dunkeln Schwartenbrettern ...

... steckt ein urban angehauchter, minimalistischer Holzbau. Architekt Raphael Risi ersetzt in einem Erstlingswerk das Ferienhaus seiner Familie oberhalb des Ägerisees. Er setzt auf klare Linien und ausgewählte Proportionen. Den Ständerbau auf dem massiven Sockel umhüllt eine Schwartenfassade – rau, rural und lebendig.

Text Sandra Depner, PD | Fotos Philippe Hubler | Pläne Atelier Risi

 

«Es war ein Privileg, an diesem Ort zu bauen», sagt Raphael Risi, während er das Auto auf den Kurven der engen Strassen hoch zum Böschi bei Oberägeri (ZG) steuert. Der Zürcher Architekt kennt den Weg zu seinem Erstlingswerk blind. Viele seiner Sommerferien hat er hier oben im Böschi verbracht. Damals noch in einem einfachen Holzhaus, unbeheizt, wenn auch mit Strom- und Wasseranschluss. Seit den 1950er Jahren nutze seine Familie das Ferienhaus im Grünen. Da es nicht mehr den Bedürfnissen entsprach, entwarf Risi das markante Bauwerk als Ersatz. In seinem Konzept nahm er die Wünsche und Erwartungen der fünfköpfigen Bauherrschaft auf und übersetzte sie in eine aussergewöhnliche und detailreiche Architektursprache. Eine Arbeit, die nicht unentdeckt blieb: Für die architektonische Leistung erhielt das Atelier Risi den Best Architects Award 2021.

Die Sehnsucht nach dem Land

Die Siedlung Böschi liegt an einem gegen Südosten abfallenden Hang, oberhalb von Ober-
ägeri. Den ruralen Ort prägen die weitläufige Landwirtschaft und die umgebenden Wälder. Die Siedlungsstruktur bildet sich aus rund 40 locker angeordneten Bauten. Risi beschreibt die spezielle Situation im Böschi als ein «Relikt einer Raumplanung aus dem letzten Jahrhundert, das die Sehnsucht nach einem idyllischen Ort auf dem Land mit schöner Aussicht perfekt einlöst». Und damit wird nicht zu viel versprochen. Der freie Blick vom Plateau fällt auf die üppige, grüne Landschaft im Ägerital, den blauen Ägerisee und den Zugerberg. Kuhglocken und Vogelgezwitscher durchbrechen die Stille an diesem Ort.

Der dreigeschossige Holzbau steht auf einem innen gedämmten Ortbetonsockel, der die Topografie am Hang aufnimmt. Der Innenraum lebt vom Handwerk des Zimmermanns. Die Dreischichtplatten aus Fichten- und Tannenholz sind inwendig vor Ort auf Mass gezimmert und nur mit einem farblosen UV-Schutz behandelt. Mit Ausnahme des Kupferdaches wurden ausschliesslich ökologisch abbaubare Materialien eingesetzt. Das Holz stammt aus dem Ägerital. Das Ziel war es, den Neubau in die Landschaft einzufügen – mit einer gleichzeitig hohen Ausnützung. Dabei nahm das Atelier Risi Rücksicht auf das nördliche Nachbarhaus – es ist der Schlussstein des Weilers –, um die Aussicht auf das Ägerital nicht zu verbauen. Somit ragt das zusätzliche Dachgeschoss lediglich auf der nordwestlichen Seite in die Höhe, während das Satteldach auf der Ostseite bereits über dem ersten Obergeschoss abflacht.


Holz, aussen wie innen
Risi setzt auf Holz, innen wie aussen. «Mit dem sichtbaren Holz schaffe ich einen klaren Kontrast zur typisch konventionellen Stadtwohnung, die nichts anderes kennt ausser Weissputz», sagt der Architekt. Das Konstruktionsholz stammt vollständig aus der Schweiz. Rau und rural kontrastiert die Schwartenholzfassade aus Fichten-/Tannenholz die urban angehauchte Atmosphäre der Innenräume mit ihren glatten Wänden und Decken aus Dreischichtplatten. Seine stärkste Wirkung entfaltet die Fassade übrigens an der Nordseite: Hier ist sie komplett geschlossen, nur eine kleine Schnitzerei durchbricht die vertikalen Bretter. Die Schwarten für die Fassade lieferte die Betschart AG Holz und Elektro aus Muotathal. Die thermoimprägnierten Schwarten sind direkt ab dem Sägewerk mit einer natürlichen Öllasur behandelt und wurden anschliessend in Handarbeit montiert. Sie sind sichtbar mit ihren individuell ganz unterschiedlichen Tiefen verschraubt, was den Eindruck einer dynamischen, fast schon lebendigen Fassade verstärkt. «So unregelmässig wie eben auch ein Baum ist», sagt Holzbaupolier Egon Lüönd. «Ein Baum wächst auch nicht regelmässig, sondern intuitiv.» Lüönd war als Projektleiter der Urs Iten Holzbau AG für den Neubau verantwortlich. Holzbau, Treppen, Einbaumöbel nach Mass – sein Team war für die kompletten Holzbauarbeiten am Neubau im Böschi zuständig.

Die Erschliessung erfolgt über den überdachten Zutritt auf der Westseite des Hauses. Im Eingangsbereich erwartet den Besucher auf der rechten Seite ein in die moderne Holzkonstruktion eingefasstes hohes Holzschränkchen aus früheren Zeiten. Risi hat das Möbel im Brockenhaus entdeckt. Vom eher knapp bemessenen Eingang eröffnet sich die Erschliessung zum Wohn- und Essbereich, den Technik- und Lagerräumen und zur Treppe zu den oberen Geschossen. Vom Engen in die Weite, wie hier im Eingang oder auch in der Nasszelle, davon lebt die Architektur Risis. «Mich faszinieren Proportionen», kommentiert er.

Grossformatige Fenster lassen Sichtbezüge in die Natur zu – im ebenerdigen Wohn- und Essbereich mit einer grosszügig verglasten Erschliessung der Terrasse und dem Blick aufs Ägerital oder im gemütlichen Dachzimmer mit Cheminée, in dem ein Fenster im Querformat die Landschaft einrahmt. Die Treppe, an der Kante mit Schwartenbrettern dekoriert, führt in die beiden Obergeschosse. Hier verteilen sich insgesamt fünf Schlafzimmer, drei Nasszellen und das gemütliche Zimmer unter dem Dach. Vom Cheminéezimmer wird auch der an das überkragende Dach gehängte Balkon mit Bohlen aus Thermoesche erschlossen. Das Dach selbst wurde von einem Dachdeckermeister eingedeckt. Dabei nimmt das doppelt gefaltete Kupferblech die Geometrie sowie den polygonalen Knick im Dach auf.


Schneller Bau dank Vorproduktion

Der Betrieb der Urs Iten Holzbau AG in Oberägeri, unten im Tal, liegt nur wenige Kilometer von der Baustelle entfernt. Das ist auch einer der Gründe, warum der Holzbau mit beginnender Elementproduktion im April 2016 bereits im September desselben Jahres aufgerichtet und schliesslich 2017 der Bauherrschaft übergeben werden konnte. In Oberägeri wurde der Holzrahmenbau so weit wie möglich vorproduziert und für den Transport auf Pritschen verladen. Bis auf die Aussenwände, bei denen die Innen- und Aussenverkleidung auf der Baustelle erfolgte, wurden die übrigen Holzelemente gedämmt und beidseitig beplankt sowie mit doppeltem UV-Schutz versehen.


Die Vergangenheit des Ferienhauses greift das Versatzstück an der Nordfassade auf. Eine Schnitzerei, einem Wappen ähnlich, mit zwei Motiven aus der Seefahrt: ein Fisch und ein Bootspaddel. Es gehörte zu einem Bootshaus, das es vor einiger Zeit auf das Anwesen der Familie im Böschi schaffte, jedoch im Rahmen der Umbaumassnahmen abgebrochen werden musste. Heute erinnert das Wappen an die Situation und Zeit vor dem Ersatzneubau. «Kunst am Bau», resümiert Risi. 

Atelier Risi, Zürich

Raphael Risi fand die Liebe zur Architektur an der ETH Zürich, wo er 2014 bei Miroslav Sik diplomierte. 2020 gründete er das Architekturbüro Atelier Risi. Sein Verständnis für architektonische Gestaltung basiert auf einer präzisen Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen räumlichen, sozialen und bautraditionellen Begebenheiten. Dabei werden die Anforderungen der Bauherrschaft als Potenzial begriffen und gemeinsam mit der Natur, die er als Wegweiser eines ganzheitlichen Verständnisses von Nachhaltigkeit versteht, zu einem stimmungsvollen Entwurf verwoben. Neben dem Engagement als Vorstandsmitglied für die Baugenossenschaft für neuzeitliches Wohnen Zürich gibt er seine Erfahrungen in der akademischen Tätigkeit als Dozent weiter. An der Bauschule Aarau vermittelt er sein architektonisches Wissen an angehende Bauführer Holzbau HF. atelier-risi.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Einfamilienhaus
Standort: Böschi Oberägeri (ZG)
Fertigstellung: 2017
Bauherrschaft: Privat
Architektur: Atelier Risi, Zürich
Holzbau: Urs Iten Holzbau AG, Oberägeri
Holzbauingenieur: Besmer Holzbauingenieure GmbH, Sattel (SZ)
Gebäudevolumen (SIA 416): 1412 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 94 m2
Holz: Fichte/Tanne, thermisch behandelt, Schweizer Holz


Urs Iten Holzbau AG, Oberägeri

Die Urs Iten Holzbau AG wurde 1962 gegründet – damals noch auf den Namen Albisser & Iten Holzbau. 1993 übernahm Urs Iten den Betrieb von seinem Vater, nachdem er die Ausbildung zum eidg. dipl. Zimmermeister abgeschlossen hatte. Damit einher ging die Umbenennung zu Urs Iten Holzbau. Der Betrieb mit Sitz in Oberägeri (ZG) beschäftigt 17 Mitarbeitende in Zimmerei und Schreinerei.
itenholzbau.ch

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz