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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2020 Spannend

Menschen

«Ich bevorzuge Projekte mit Risiko»

Wenn andere aufgeben, kommt Hermann Blumer ins Spiel. Dann, wenn es sich um ein auf den ersten Blick unlösbares Bauvorhaben aus Holz handelt. Auf Fragen nach der Machbarkeit antwortet der Bauingenieur in der Regel mit «Ja, das geht». Irgendwie. Manchmal kommt seine Zusage aus einem spontanen Impuls heraus, wie zuletzt beim schlagzeilenträchtigen Swatch-Headquarter. In NACH.GEFRAGT kommen Architekten und Ingenieure zu Wort. Es dreht sich alles um Inspiration, Idole und Ideen – und ums Holz. Die besten Ideen hat Blumer übrigens morgens um vier Uhr. So geschehen auch beim «Ring for Peace» (siehe Artikel FIRST 1/20, "Verbindenes Element").

 Text Sandra Depner | Foto Hermann Blumer

Wenn Sie an Holz denken, welche drei Begriffe fallen Ihnen zuerst ein, Herr Blumer?
Zuerst Kapla. Die einfachen Bauteile sind vielseitig und fördern die Kreativität. Als Zweites: Arve. Ich bin in einem Arvenzimmer aufgewachsen und verbinde einen ganz speziellen Geruch damit, der auf den Körper beruhigend wirkt. Und als Drittes – Sie haben erwartet, dass ich hier ein Bauwerk nenne, oder? Nein, ich sage Kastanienbäume. Solche wie sie im Tessin an diesen wahnsinnig steilen Hängen wachsen. Ich bin übrigens laut keltischem Baumhoroskop eine Kastanie.

«Bäume, Höhen und Spannweiten haben eine Grenze»


Stellen Sie sich vor, dem Holzbau wären keine Grenzen gesetzt – weder konstruktiv noch gesellschaftlich. Wie würde die Welt aus Ihrer Perspektive aussehen?

Es gibt die Redensart: «Die Bäume wachsen nicht in den Himmel.» Bäume, Höhen und Spannweiten haben eine Grenze – allein auf rein physikalischer Ebene. Im Bauwesen sind wir aber noch weit davon entfernt. Der Holzbau von heute wird sich mindestens noch 100 Jahre weiterentwickeln. All dem aber geht die Vernunft vor. Es darf nicht mehr Holz geschlagen werden, als nachwächst. Der Raubbau muss aufhören. Sonst gibt es für die nachfolgenden Generationen nichts mehr.

Eine Schlagzeile über Höhenrekorde im Holzbau folgt der anderen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Die höchsten Bäume messen 120 Meter, unten hält sie ein vielleicht 12 Meter breites Wurzelwerk. So schlank können wir nicht bauen. Auch hinsichtlich Höhe appelliere ich an die Vernunft: Ein Weltrekord sollte nicht das Ziel sein, sondern nur das, was Sinn ergibt.

«Ich sage immer: ‹Ja, das geht!›?»


Welche Architektur, Bauweise oder Personen inspirieren Sie?

Meine erste Inspirationsquelle war Architekt Otto Frei. Er hat mich mit seinen Leichtkonstruktionen, den Freiformflächen und pneumatischen Strukturen total eingenommen. Jeder, der in der Architektur Rang und Namen hat, der hat den Ursprung bei Frei und bei Buckminster Fuller. Wer mich ausserdem antreibt, das ist Architekt Shigeru Ban. In der Zusammenarbeit ist er sehr resolut. Er übt Druck auf mich aus. Shigeru weiss ganz genau, was er will. Er fragt mich dann schon, ob seine Idee zu realisieren sei. Und ich sage natürlich immer: «Ja, das geht!» Zuletzt möchte ich noch Helen & Hard erwähnen, ein norwegisches Architekturbüro, mit seiner verspielten, bionischen Architektursprache. Sehr inspirierend.

Kommen wir zu Ihren eigenen Projekten: Welches ist Ihr Liebling?

Das klingt jetzt vielleicht etwas banal: Es ist eine Treppe in einem Haus in Chur. Ihre Struktur ist so schlank, dass man fast nicht wagt, auf die Stufen zu treten. Ich bevorzuge Projekt, die mit Risiko und Herausforderung verbunden sind.

Hermann Blumer

Hermann Blumer (*1943) ist Zimmermann, diplomierter Bauingenieur ETH?/?SIA sowie Honorarprofessor an der FH Aachen. Der Gründer der Création Holz AG trägt mit seinen Entwürfen und Machbarkeitsstudien dazu bei, dass architektonische Visionen in Holz realisiert werden können. Zu den Referenzen des Holzbauspezialisten gehören unter vielen Projekten in der Schweiz und weltweit eine Forschungsstation am Südpol, das Centre Pompidou in Metz (FR) und der Säntispark in Abtwil. hermann-blumer.ch, creation-holz.ch

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