03/2019 Zuhause
Menschen
«Ich bin nicht der Holzbau-Papst»
Manche nennen ihn den Holzbau-Papst. Ein Beiname, den Julius Natterer eigentlich nicht gerne hört. «Ein Papst kümmert sich um die konservativen Themen», sagt er. Er sehe sich weniger als Konservativer, sondern viel mehr als Ketzer im Holzbau, der gerne auch mal gegen die Normen im Bauwesen arbeitet und sie neu austariert. Sicher ist: Julius Natterer gilt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten im Holzbau. Zum Interview trafen wir ihn in seinem Haus in Etoy (VD) am Genfersee.
Text Sandra Depner, PD | Fotos zVg, Sandra Depner | Pläne Julius Natterer
Wenn Sie an Holz denken, welche drei Begriffe fallen Ihren zuerst ein, Herr Natterer?
Erstens: Holz ist ein hervorragendes Baumaterial. Damit werden die besten Segelboote und Flieger gebaut. Zweitens: Die Entwicklungsmöglichkeiten des Ingenieurholzbaus sind noch lange nicht zu Ende gedacht. Und drittens: Ich denke an Komfort. Der Komfort in Holzhäusern – insbesondere in jenen aus Massivholz – ist sehr hoch. Holz als Baustoff, kombiniert mit Pflanzen im Wohnraum, bringt etliche Vorteile für ein gutes Wohnen mit sich. Ich denke da auch an den sommerlichen Wärmeschutz, den die Bauphysiker ein Vierteljahrhundert oder viel länger vergessen haben.
Stellen Sie sich vor, dem Holzbau wären keine Grenzen gesetzt – weder konstruktiv noch gesellschaftlich. Wie würde die Welt aus Ihrer Perspektive aussehen?
Natürlich viel weniger aggressiv. Mein Ziel ist der verdichtete Siedlungsbau in Massivholz mit guter Pflanzen- und Gartenplanung – auch in Zwischentemperaturzonen. So haben wir wieder eine sauerstoffangereicherte Wohnatmosphäre. Wieso ist das heute nicht so? Weil man die Menschen im übertragenen Sinn in Atombunker steckt: also in Wohnungen aus Stahlbeton, so wie er auch beim Bau eines Atombunkers zum Zug kommt. Am Rande bemerkt: Man muss sich bewusst sein, dass die Industrie, die am meisten CO2 produziert, die Stahlbetonindustrie ist.
Holzbau wächst weltweit in die Höhe. Eine Schlagzeile über Höhenrekorde folgt der anderen. Soll es im Holzbau immer höher gehen oder ziehen Sie eine Grenze?
Im Grunde genommen sind dem Holzbau durch sein Verhältnis von Festigkeit und Eigengewicht keine Grenzen gesetzt. Es ist nur eine Frage der Dimensionierung. Wegen des geringen Eigengewichts – Holz ist fünfmal leichter als Beton – kann ich entsprechend höher und höher gehen. Und das ist der Ehrgeiz vieler momentan: hoch, höher, am höchsten.
Wenn alle in einem so extremen Wettbewerb zueinander stehen, da passieren die Fehler. Und davor muss ich warnen: Wir müssen diesen Trend bremsen. Denn das Engineering von einem Hochhaus ist nicht einfach. Aktuell meinen fast alle Ingenieurbüros: «Wir können auch so ein Hochhaus rechnen. Wir haben da ein gutes Programm.» Aber die Details sind ausschlaggebend, die den Hochhausbau schwierig machen. Ansonsten gibt’s plötzlich einmal einen riesigen Kladderadatsch – ein Unglück, ein Einsturz – und damit eine Retourkutsche für die gesamte Entwicklung des Massivholzbaus. Deshalb plädiere ich für das Kleine, bei dem jeder ortsansässige Zimmerer mitmachen kann. Für mich liegt die Zukunft wie gesagt im verdichteten Siedlungsbau mit einer vernünftigen Geschosshöhe – vier, fünf, sechs, meinetwegen auch acht bis zehn Geschosse, aber nicht mehr.
Welche Architektur, Bauweise oder Personen inspirieren Sie?
Mich begeistern jene Architekten, die mit der Struktur und der sichtbaren Konstruktion gestalterisch arbeiten und die Tragwirkung sichtbar zeigen. Ich bin kein Ästhetiker und ich spreche da nicht von Schönheit. Mir sind andere Faktoren wichtiger. Zum Beispiel die Massstäblichkeit eines Bauwerks: Wie gross ist der Mensch und wie gross sind die Bauteile, und bleibt dieses Verhältnis für mich als Betrachter immer sichtbar? Ich bezeichne ein Bauwerk dann als sinnvoll, wenn ich sehen kann, wie die Konstruktion trägt. Denken Sie an Alpinbauten: In den Bergen, wenn Tonnen Schnee auf dem Dach liegen, da machen sich die Leute schnell Gedanken über die Sicherheit.
Kommen wir zu Ihren eigenen Projekten: Welches ist Ihr Liebling?
Das ist weniger ein konkretes Projekt als ein Konzept: Die Idee vom «Haus im Haus», die mich seit vielen Jahrzehnten begleitet. Bereits 1984 habe ich ein Buch veröffentlicht, das sich explizit mit Gebäudehüllen aus Glas und Holz auseinandersetzt. Das Haus, man kann es auch einen Massivholz-Thermo-Wintergarten nennen, setzt auf eine natürliche Lüftung dank Luftkollektor mit Wärmetauscher und Wärmepumpe, funktioniert ohne Heizöl und ohne Klimaanlage. Pflanzen hinter der Glasfassade wandeln das CO2 in Sauerstoff um. Diesem Konzept liegt zugrunde, dass wir grundsätzlich mehr mit Holz bauen müssen. Auch, weil wir nur so das CO2 speichern können. Nur die Verwendung von Holz im Bauwesen kann die Welt retten und zu Neupflanzungen anregen.
Woran arbeiten Sie aktuell?
An der Veröffentlichung meines Archivs, das Innovationen und teilweise noch schlummerndes Potential beherbergt. Meine Mitstreiter und ich – darunter Professor Wolfgang Winter von der Technischen Universität Wien – wollen meine unveröffentlichten Arbeiten und Studien für die Holzwelt zugänglich machen, in Form eines Buchs, das digital angereichert ist. Das heisst, dass meine Projekte als 3D-Modelle im Raum betrachtet werden können. Es laufen Gespräche mit einem Verlag sowie mit dem Bundesamt für Umwelt.