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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2019 Reflektiert

Stil.Form

Inspiration Seeigel

Der BUGA-Holzpavillon schafft eine architektonische Attraktion auf der Sommerinsel der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn (D). Zwei Millionen Zeilen Robotercode steuerten die präzise Fertigung. Die Gestaltung des Pavillons basiert auf morphologischen Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln.

Text, Fotos und Pläne ICD / ITKE Universität Stuttgart

Mit minimalem Materialeinsatz spannt das Holzdach 30 Meter über einen der zentralen Konzert- und Veranstaltungsorte der Bundesgartenschau 2019 (BUGA) und schafft so einen einzigartigen architektonischen Raum. Der Pavillon liegt an einer zentralen Kreuzung in der wellenförmigen Landschaft der Sommerinsel des BUGA-Geländes. Drei dynamische Bögen bilden einladende Öffnungen zu den Hauptwegeachsen aus und führen die Besucher in das Innere des Pavillons. Die Schale schafft einen geschwungenen Raum für Konzerte und öffentliche Veranstaltungen, mit einer entsprechenden Akustik und einer einzigartigen architektonischen Atmosphäre. Dies gilt insbesondere bei Nacht, wenn Tausende von LED-Leuchten, die in die inneren Öffnungen der Schale eingebettet sind, den Raum in ein dezentes, warmes und einladendes Licht tauchen.

Der Holzpavillon zeigt neue Ansätze zum digitalen Holzbau. Die segmentierte Schalenkonstruktion basiert auf biologischen Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln, die vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baukonstruktion (ICD) und dem Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart seit fast einem Jahrzehnt erforscht werden. Im Rahmen des Projekts wurde eine Roboter-Fertigungsplattform für den automatisierten Zusammenbau und die Fräsbearbeitung der 376 massgeschneiderten Segmentbauteile des Pavillons entwickelt. Dieses Herstellungsverfahren stellte sicher, dass alle Holzsegmente wie ein grosses, dreidimensionales Puzzle mit einer Genauigkeit von weniger als einem Millimeter zusammengesetzt werden können.

Integratives Co-Design

Neue Bauweisen erfordern neue Formen des Planens und Fertigens. Der Holzpavillon ist ein hervorragendes Beispiel für Co-Design, in welchem neue Möglichkeiten von Gestaltung, Konstruktion und Fertigung durch eine kontinuierliche, computerbasierte Rückkopplung in einem interdisziplinären Team entwickelt werden. Die für dieses Projekt erstellten Co-Design-Methoden generierten die Form jedes Bauteils des Pavillons gemäss der architektonischen Entwurfsabsicht und der statischen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung aller Aspekte der robotischen Fertigung.

Dieser hochintegrative Prozess erlaubte die Fertigung der 376 unterschiedlichen Plattensegmenten mit 17'000 verschiedenen Keilzinkenverbindungen gemäss den vielfältigen konstruktiven Anforderungen an die Gesamtstruktur und die Details im Untermillimeter-Bereich. Dank des multiskalaren Ansatzes war es möglich, trotz des Pioniercharakters des Projekts und ungeachtet seiner kurzen Entwicklungszeit von 13 Monaten von der Beauftragung bis zur Eröffnung unterschiedlichste architektonische und strukturelle Aspekte ohne Verlust an Präzision gleichzeitig zu berücksichtigen.

Im Vergleich zu massiven Holzelementen reduzieren die Holzkassetten Gewicht und Material deutlich, erhöhen aber auch die Anzahl der Bauteile um das Achtfache und führen zu einer komplexeren Fertigung. Das Streben nach höherer Ressourceneffizienz musste daher mit der automatisierten Roboterfertigung der Schalensegmente einhergehen. Dazu wurde eine neuartige, transportable, 14-achsige Roboter-Holzfertigungsplattform entwickelt: Die Plattform beinhaltet zwei auf einem 20-Fuss-Standard-Containerboden montierte Schwerlastroboter.

Die Flexibilität der Industrieroboter ermöglichte die Integration aller Vorfertigungsschritte der Kassettensegmente des Pavillons innerhalb einer einzigen, kompakten Fertigungseinheit. Während der Produktion wurden die Holzkassetten zunächst von den Robotern zusammengebaut: die Platzierung von vorformatierten Holzplatten und -balken, das kontrollierte Aufbringen des Klebstoffs zwischen Platten und Balken sowie eine temporäre Lagesicherung mit Buchennägeln für den Trocknungsvorgang. In einem zweiten Schritt wurden in die montierten Segmente die mass-geschneiderten Keilzinkenverbindungen und Öffnungen mit 300 Mikrometer Genauigkeit gefräst. Von der Montage der Balken und Platten, über das Fräsen mit unterschiedlichen Werkzeugen, bis hin zur sensorbasierten Prozess- und bildbasierten Qualitätskontrolle – in einem vollautomatischen Ablauf, gesteuert von zwei Millionen Zeilen Robotercode, die direkt aus dem computerbasierten Modell erzeugt wurden. Im Durchschnitt dauerte das robotische Fügen acht Minuten pro Segment, weitere 30 Minuten fielen für das Hochpräzisionsfräsen an.

Verkleidet mit Lärchenplatten

Die komplett vorgefertigten Holzkassetten montierten zwei Handwerker in zehn Arbeitstagen im freien Vorbau vor Ort, ohne Unterkonstruktionen oder Stützgerüste. Nach der Verbindung der Segmente über wiederverwendbare Bolzen wurde eine EPDM-Folie in acht Streifen über den Pavillon gelegt und so die Wasserdichtigkeit sichergestellt. Die sichtbare Aussenverkleidung des Pavillons bilden unbehandelte Lärchenplatten. Alle Bauelemente sind für die leichte Demontage und einen Wiederaufbau ausgelegt. Die tragende Holzschale des Pavillons erreicht eine stützenfreie Spannweite von 30 Metern bei einem Gewicht von nur 38 Kilogramm pro Quadratmeter.

Der BUGA-Holzpavillon zeigt die Möglichkeiten einer effizienten, wirtschaftlichen, ökologischen und ausdrucksstarken Holzarchitektur, die an der Schnittstelle von Handwerk, digitaler Innovation und Forschung entsteht.

icd.uni-stuttgart.de

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Bionischer Pavillon aus Holz
Standort: Gelände der Bundesgartenschau Heilbronn
Baujahr: 2019
Entwicklung: Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen (ITKE) an der Universität Stuttgart (D); Müllerblaustein Bauwerke GmbH, Blaustein (D); BEC GmbH, Reutlingen (D); Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH
Abmessungen: 32 m Länge, 25 m Breite, 7 m Höhe
Nutzfläche: 500 m2
Schalenfläche: 600 m2
Konstruktion der tragenden Schale: Robotisch gefertigte Hohlkassettensegmente aus Fichtenfurnierschichtholz mit UV-Schutz
Konstruktion der Vorsatzschale: EPDM-Abdichtung, 3-Achs-CNC-geschnittene, unbehandelte Lärchendreischichtplatten


Bundesgartenschau Heilbronn 2019

Alle zwei Jahre zeigt die Bundesgartenschau an einem neuen Standort in Deutschland zeitgemässen Gartenbau und innovative Landschaftsarchitektur. Die Gastgeberstädte erhalten auf dem vorgesehenen Areal eine umfangreiche, nachhaltige Freiraumumgestaltung. Zwischen dem 17. April und 6. Oktober 2019 findet die Ausstellung in Heilbronn statt. Auf der 40 Hektaren grossen Fläche geht es nicht nur um den Gartenbau. Das ICD und das ITKE sind gleich mit zwei Pavillons vertreten: mit dem Holzbau-Pavillon und mit einem Faserpavillon aus Glas- und Kohlefaser-Verbundbauteilen.

buga2019.de

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