Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2021 Raum und Kilma

Lebens.raum

Investition in die Zukunft

Es ist Arbeitsplatz und barrierefreier Wohnort in einem: das Gewerbe- und Wohngebäude Schööfferwis. Mit dem Bau des dreigeschossigen Holzbaus investiert eine Gemeinde am Rhein in die Zukunft. Und setzt dabei auf lokales Holz, unter anderem Käferholz.

Text PD, SD | Fotos und Pläne Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA

 

Kaltenbach im Thurgau: eine idyllische Ortschaft, die zur Gemeinde Wagenhausen gehört, südwestlich von Stein am Rhein. Eingebettet in die saftgrüne Hügellandschaft am Rande des Industriegebiets, an der Hauptstrasse gelegen, fügt sich der neue Gewerbe- und Wohnbau in seine ländliche Umgebung ein. Schööfferwis ist ein klarer, präzise geschnittener Baukörper. Dabei nimmt der Holzbau die Formensprache der vorhandenen Bebauung in Kaltenbach auf und übersetzt sie in moderne Architektur aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz.

Es war im Sommer 2018, als der Gemeinderat Wagenhausen an einer Strategiesitzung über neue Einnahmequellen und Investitionen beriet. So wurde damals entschieden, am östlichen Ortseingang Kaltenbachs das moderne Wohn- und Gewerbehaus zu bauen. Ein Neubau, der nicht nur Rendite abwerfen, sondern auch die Attraktivität der Ortschaft am Rhein stärken sollte. Das Generalplanerteam der Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA aus Stein am Rhein wurde für die Erbringung der Planungsleistungen für das Projekt Schööfferwis evaluiert. Als Holzbauunternehmen konnte sich die Hector Egger Holzbau AG aus Langenthal (BE) mit ihrer Offerte durchsetzen.


Eine Arztpraxis und fünf Wohnungen

In die gewerblichen Flächen im Erdgeschoss ist eine Arztpraxis eingemietet. So ist die medizinische Grundversorgung der Region langfristig sichergestellt. Im Obergeschoss befinden sich vier altersgerechte 2,5- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen. Das Dachgeschoss kann zu einem späteren Zeitpunkt noch vollständig ausgebaut und genutzt werden. Das Gebäude in Holzbauweise steht auf einem massiven Sockel. Markant sind die urbane, klare und geradlinige Architektursprache, die grossformatigen Fenster und die geschickt platzierten Loggien. Umhüllt in Holz – mittels einer hinterlüfteten, vertikalen Holzschalung – verleiht die Fassade dem Gebäude einen eigenständigen, aber zugleich auch vertrauten Charakter. Der Leitgedanke des Projekts war es nämlich, die typologischen Eigenheiten der Gebäude der Region aufzunehmen und in einer zeitgemässen Formensprache zu interpretieren. Wie auch beim Giebeldach mit Knick, dessen grosse und prägnante Flächen an die Dächer der historischen Scheunen der Region anknüpfen. Dem Entwurf lag die Vision zugrunde, ein altersgerechtes, kompaktes, nutzungseffizientes und nachhaltiges Bauvolumen zu schaffen, das sich zwar selbstbewusst in die Umgebung einfügt, jedoch ohne dabei zu dominant zu wirken.

Ein Ausschnitt an der Südostecke, an der Stelle zwischen der Hauptstrasse und den Kundenparkplätzen, markiert den Zugang zur Praxis. Im Erdgeschoss finden grosszügige Praxisräume Platz, wobei die acht Sprechstundenzimmer mit Tageslicht jeweils zur Fassade hin platziert sind. Im Innern des Volumens liegen die technischen Behandlungsräume. Sie sind als freistehende Boxen in die Struktur integriert. Der Zugang zu den Wohnungen erfolgt über einen separaten Hauseingang an der Nordfassade. Dieser ist sowohl vom Kundenparkplatz an der Ostseite wie auch von der westlichen Degerfelderstrasse barrierefrei erreichbar. Die Stellplätze der Bewohner befinden sich in der Einstellhalle, welche nordseitig mittels einer Rampe erschlossen ist. Den Praxismitarbeitenden stehen ebenfalls Tiefgaragenplätze zur Verfügung.

Auf das Untergeschoss in Massivbauweise fügt sich ab Erdgeschoss der Holzelementbau. Für den schnellen Baufortschritt sind die vorfabrizierten Holzelemente montagefertig geliefert und auf der Baustelle montiert worden. Die Produktion erfolgte in den Werkhallen der Hector Egger Holzbau AG in Langenthal. Die Aufrichte des Holzbaus auf der Baustelle in Kaltenbach startete im August 2020 mit sechs Zimmerleuten. Fertiggestellt wurde der Holzbau schliesslich im Januar 2021.

Regionales Käferholz verbaut

Rund 146 Kubikmeter Fichte und Tanne kamen für das Tragwerk zum Einsatz – in Form von Brettschichtholz und als Rahmenholz. Das eingesetzte Holz stammt aus der Schweiz, zum Teil direkt aus der Region: aus den Wäldern Wagenhausens. Gebaut wurde mit viel Käferholz, das aufgrund des Befalls mit dem Borkenkäfer gefällt werden musste. In der Sägerei Keller in Stammheim und bei der Hector Egger Holzbau AG in Langenthal wurde das Holz schliesslich zu den Holzelementen weiterverarbeitet.

Mit einer über die Gebäudeautomation gesteuerten Lüftungsanlage wird die Luftqualität in den Praxisräumen permanent gemessen und dem Bedarf beziehungsweise der Raumnutzung angepasst, was zu einem guten Arbeitsklima beiträgt. Dank seines kompakten Gebäudevolumens werden die energiebedarfsrelevanten Oberflächen minimiert. Die konsequente Ummantelung mit einer äusseren lsolationsschicht führt zu einem sehr tiefen Gesamtenergieverbrauch und entsprechend geringen Betriebskosten. Sonnenenergie sammelt die grossflächige Fotovoltaikanlage in der Dachfläche. Geheizt wird über Wärmepumpe mit Erdsondenbohrung. Laut Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA erfüllt das Projekt Schööfferwis den Minergie-Standard.

Bewohner und Ärzte konnten ab Februar 2021 ihre neue Wohn- und Werkstätte beziehen – nur zweieinhalb Jahre nachdem die Gemeinde sich dafür entschied, einen ökologischen Holzbau auf der bislang ungenutzten Fläche zu bauen.

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Wohn- und Gewerbehaus Schööfferwis, Neubau
Standort: Kaltenbach, Wangenhausen (TG)
Fertigstellung: 2020/2021
Bauherrschaft: Gemeinde Wagenhausen, Kaltenbach
Architektur: Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA, Stein am Rhein (TG)
Holzbau: Hector Egger Holzbau AG, Langenthal (BE)
Holzbauingenieur: IHT Rafz Ingenieurholzbau + Holzbautechnik GmbH, Rafz (ZH)
Baukosten: CHF 4,5 Millionen
Gebäudevolumen (SIA 416): Wohnhaus inkl. Einstellhalle: 7093 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): UG 723 m2; EG 539 m2; 1. OG 520 m2; DG 560 m2
Holz: 113 m3 Rahmenholz aus Fichte/Tanne, 33 m3 Brettschichtholz aus Fichte/Tanne; Herkunft: Schweiz


Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA, Stein am Rhein

Die Ursprünge der Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA reichen bis ins Jahr 1960 zurück. Theo Müller startete mit ersten Planungsaufträgen und gründete das Architekturbüro. In zweiter Generation führte Harry Müller das Büro bis ins Jahr 2016. Heute erfolgt die operative Leitung durch das dreiköpfige Team der Geschäftsleitung: Oliver Stihl, Linda Attinger Müller und Patrick Moehrle. Müller + Partner AG Architekten + Planer SIA erbringen das gesamte Spektrum an Planungsleistungen im Bauprozess; die Ausschreibungsleistung sowie die Realisierung liegen in den Händen des Partnerbüros, der Hoch3 Baumanagement AG. mp-arch.ch


Hector Egger Holzbau AG, Langenthal

Der Grundstein zur heutigen Marke «Hector Egger» wurde 1848 durch Samuel Rudolf Hector Egger gelegt. Das Unternehmen entwickelte sich in den folgenden 150 Jahren zu einem der bedeutendsten Bauunternehmen im Oberaargau. 2001 wurde die Nachfolge der Hector Egger AG geregelt. Dabei wurde die Sparte Holzbau im Sinne eines Management-Buy-outs an den langjährigen Abteilungsleiter Paul Schär verkauft und wird heute als Hector Egger Holzbau AG weitergeführt. 2003 bezog das Unternehmen den Neubau in Langenthal (BE). Den Maschinenpark verdoppelte die Hector Egger Holzbau AG mit dem Anbau von 2011, dem Werk II. Aktuell beschäftigt die Firma um die 110 Mitarbeitende.
hector-egger.ch


Käferholz

Bei Käferholz handelt es sich um das Holz von Bäumen, in deren Rinde sich der Borken-
käfer eingenistet hat. Um dessen Ausbreitung zu stoppen, werden die befallenen Bäume gefällt und die Rinde wird entfernt. Das Holz ist vollwertig im Holzbau nutzbar. Ein typisches Kennzeichen von Käferholz ist seine bläuliche oder blaugraue Verfärbung. Sie geht auf den Bläuepilz zurück, der nach dem Befall der Borkenkäfer die äussere Schicht des Holzes Blau einfärbt. Die Pilze wachsen im Totholz jedoch nicht weiter.

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