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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2022 Starker Auftritt

WELT.WEIT

Kapitalanlage: Schweizer Know-How

Mit ihrem Hauptsitz in Stavanger (Finansparken Bjergsted) setzte die SR-Bank in Norwegen neue Massstäbe in Sachen Holzbau. Das komplexe Tragwerk entstand dabei mit Leitvorgaben aus Appenzell Ausserrhoden.

Text Susanne Lieber | Fotos Sindre Ellingsen | Pläne Helen & Hard

 

«Erst ein Mock-up konnte sie überzeugen», erklärt Hermann Blumer. Der Bauinge­nieur ETH und gelernte Zimmermann weiss, dass es manchmal einen langen Atem braucht, ehe Architekten und Bauherren es wagen, knifflige Bauentwürfe in Holz auszuführen. Die Machbarkeit einer komplexen Holzkonstruktion darzulegen, gehört quasi zum Tagesgeschäft. Manchmal genügen Pläne und statische Berechnungen auf dem Papier, manchmal braucht es ein Anschauungsmodell im Massstab eins zu eins – ein Mock-up wie bei diesem Bauprojekt.

Der Schweizer wird bei Bauvorhaben gerne als Entwerfer hinzugezogen, wenn es konstruktiv schwierig wird. Auch Pritzker-Preis-Träger Shigeru Ban vertraut seit vielen Jahren auf sein Know-how. Für ihn hat Blumer bereits rund 50 Holzkonstruktionen geplant und berechnet. Darunter auch das Tamedia-Verlagshaus in Zürich, das dem Gebäude der SR-Bank in konstruktiver Hinsicht durchaus ähnelt.


Und darum ist der Holzspezialist auch mit den norwegischen Auftraggebern nach Zürich gefahren, um zu veranschaulichen, dass der Wettbewerbsentwurf der beiden Architekturbüros Helen & Hard und SAAHA auch in Holz funktio­niert. Lange war man seitens der Bank skeptisch – nicht nur, was die Statik anging, sondern auch die Kosten. Doch die sollten bei genauer Analyse ebenfalls ihren Schrecken verlieren: Es zeigte sich, dass die Mehrkosten gegenüber einem Stahl-Beton-Bau lediglich zwei Prozent betrugen.


Schwärmerei für einen Dübel

Der zweischenklige, verglaste Gebäudekomplex, dessen Grundriss einem A ähnelt, befindet sich in Stavanger an exponierter Lage. Wer sich der Innenstadt vom Norden her nähert, fährt fast zwangsläufig daran vorbei. Auf einem Grundstück, das von drei Strassen eingefasst ist, ragt der Bau auf der Nordseite sieben Geschosse in die Höhe. Zum Süden hin flacht er auf vier Geschosse ab und bildet dadurch einen gefälligen Übergang zur angrenzenden und deutlich niedrigeren Wohnbebauung.

Die beiden Gebäudeschenkel mit einer Fassa­denlänge von jeweils fast 100 Metern bilden im Zwischenbereich ein überdachtes Atrium mit imposanter Treppenanlage. Das sichtbare Tragwerk besteht aus einer Holzskelettkonstruktion mit vier aussteifenden Treppenhaus- beziehungsweise Aufzugkernen, die – wie auch der dreigeschossige Sockel – aus Stahlbeton gefertigt sind.

Die rechteckigen Holzstützen sind bis zu 23 Meter hoch und laufen teilweise vom zweiten Obergeschoss bis zur obersten Gebäudeebene durch. Die daran befestigten Querträger (es handelt sich hierbei um Zangenträger) weisen ebenfalls beachtliche Längen auf. Stützen und Querträger wurden mit riesigen Dübeln aus Buchenfurnierschichtholz (ø?80 mm) biegesteif verbunden. «Diese Verbindungen bestehen komplett aus Holz, es gibt praktisch keine Metallteile», erklärt Hermann Blumer und ergänzt: «Die Dübel sind hier ein wichtiges Gestaltungelement. Die Leute schwärmen regelrecht davon, obwohl es sich dabei um eine sehr einfache Konstruktionslösung handelt.» Ab dem zweiten Obergeschoss bilden die Stützen und die Querträger zusammen die mehrgeschossigen Holztragelemente in einem Raster von 5,40 Metern. Diese dienen als Auflager für die Brettsperrholzdecken, die das Konstrukt entsprechend aussteifen. Zum grössten Teil besteht hier das Holztragwerk aus Fichtenbrettschichtholz. Die dreischichtig aufgebauten Querträger allerdings führen mittig eine Lage aus Buchenfurnierschichtholz, um die Druckfestigkeit zu erhöhen. In den beiden unteren Geschossen (EG und 1. OG) mussten höhere Spannweiten überbrückt werden, teilweise bis zu neun Meter. Darum wurde hier sowohl für Stützen als auch Träger durchgehend Buchenfurnierschichtholz eingesetzt. Das Gesamtgewicht der Holzkon­struktion liegt bei rund 1800 Tonnen.


Das grosse Staunen

Besonders beeindruckend gestaltet sich im glasüberdachten Atrium die organisch ausgeformte Holztreppe mit Wangen aus gekrümmten Brettschichtholzträgern. Bis zu fünf Meter ragt sie in den Luftraum, womit die Leistungsfähigkeit des Materials ausgereizt wurde. Eingelassene Lichtbänder auf der Unterseite unterstreichen die kraftvolle Wirkung der Treppe, die weit mehr ist als nur Erschliessungszone in einem grossen Gebäudekomplex. Für die rund 650 Mitarbeitenden ist sie wichtiger Kommunikations- und Begegnungsort. Sozusagen das «soziale Herzstück» des Finanzparks, von dem man sagt, er sei bislang das grösste Bankgebäude aus Holz weltweit.

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Finansparken Bjergsted
Standort: Stavanger, Norwegen
Bauherrschaft: SpareBank, Stavanger
Fertigstellung: November 2019
Architektur: Helen & Hard, Stavanger; SAAHA, Oslo (NO)
Tragwerksplanung Holzbau: Degree of Freedom AS, Oslo,
in Zusammenarbeit mit Création Holz AG, Herisau (AR)
Holzbau: Moelven Limtre AS, Moelv (NO)
Stützen und Querträger: Fichtenbrettschichtholz, Buchenfurnierschichtholz
Gewicht des Holztragwerks: ca. 1800 t
Decken: Brettsperrholz
Akustikdecke: Eschenholz
Bruttogeschossfläche (insgesamt): 22 500 m2
Baukosten: ca. 40 Millionen Euro


Hermann Blumer

1943 im Kanton Appenzell Ausserrhoden geboren, machte Hermann Blumer zunächst eine Ausbildung zum Zimmermann. Später studierte er Bauingenieurwesen an der ETH in Zürich und leitete von 1971 bis 1997 das Holzbauunternehmen seines Vaters. Seit der Gründung der Vereinigung für einen ganzheitlichen Holzbau, Création Holz, im Jahr 2003 widmet er sich ausschliesslich der Entwicklung komplexer Tragwerke, neuartiger Verbindungstechnologien und der thermischen sowie akustischen Behaglichkeit in Holzbauten. https://www.hermann-blumer.chhermann-blumer.ch

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