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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2021 Hin und weg

AUS.GEZEICHNET

Kinderparadies ohne Schnickschnack

Der Kindergarten in Ittigen (BE) zeigt, wie Architektur für Kinder im optimalen Falle ist: nicht kindlich, aber kindgerecht. Für ihren überzeugenden Entwurf wurde die Büro B Architekten AG beim diesjährigen Prix Lignum ausgezeichnet.

Text Susanne Lieber | Fotos Alexander Gempeler | Pläne Büro B Architekten AG

Schwupp?… und schon wieder spuckt die Rutsche ein glücklich glucksendes Kind heraus. Im Kindergarten Rain?25 sausen die Kleinen lieber durch die kurvige Metallröhre, statt die Treppe zu nutzen, um vom Obergeschoss hinunter in den Hof zu gelangen. Wen wunderts? Der Spassfaktor ist riesig!

Dass sich die Kinder hier rundum wohlfühlen, liegt auf der Hand. Der Holzbau hat etwas von einem Abenteuerspielplatz. Und gleichzeitig strahlt er die Intimität eines heimeligen Rückzugsorts aus. Dabei kommt der Bau ohne jeglichen infantilen Schnickschnack daher, punktet einfach mit kindgerechter Architektur. Die Erfolgsfaktoren: Holz als natürlicher Baustoff, organische Formen, lichtdurchflutete Räume. Die fliessend ineinander übergehenden Innen- und Aussenbereiche ohne Sackgassencharakter und nicht zuletzt die abwechslungsreichen Ein-, Aus- und Durchblicke tragen ebenfalls dazu bei, dass das Gebäude als Wohlfühlort wahrgenommen wird.

Die Gestaltung kommt gut an, auch bei den Grossen. Eltern und Betreuungspersonal seien ebenso begeistert, erklärt Christian Hosmann, Bildungsabteilungsleiter in Ittigen. Zuspruch fand der Holzbau, für den die Büro B Architekten AG verantwortlich zeichnet, auch bei der Jury des diesjährigen Prix Lignum. Die Jurymitglieder des Wettbewerbsbereichs Region Mitte würdigten das 2020 fertiggestellte Gebäude mit dem zweiten Rang.

Gemeinsames Lernen

Mit dem Holzbau wurde die bereits bestehende Schulanlage Rain erweitert, die aus mehreren Einzelgebäuden besteht. Der Kindergarten wird hier nach dem sogenannten Modell Basisstufe geführt, einer Organisa­tionsform, bei der die Kindergartenkinder mit den Kindern der ersten beiden Primarschulklassen zusammengebracht werden. «Man hat festgestellt, dass die Entwicklungen der Kinder in den ersten Jahren teilweise sehr weit auseinanderliegen. Manche können im Kindergarten schon schreiben», so Christian Hosmann. Dazu führt er weiter aus: «Um diesen unterschiedlichen Entwicklungsstufen gerecht zu werden, hat man die Basisstufe kreiert, wo alle Kinder in einem Klassenverbund zusammenkommen. Dort werden sie nicht nach Alter, sondern nach ihrer Entwicklung beschult.» Es sind zwar Lernziele vorgegeben, die bis Ende der zweiten Klasse erreicht werden müssen, doch es ist den Lehrpersonen überlassen, wie sie die Kinder an diese heranführen. Ein Vorteil dieses Systems liegt mitunter darin, dass sich die Kinder auch untereinander helfen. Das Ganze funktioniert wie ein Patensystem.

Dieses System hat dabei massgeblich Einfluss auf die Nutzung des Gebäudes. So braucht es zum Beispiel Räume, die gross genug sind, damit bei Bedarf auch alle Kinder zusammenkommen können – sei es für gemeinsame Morgenrituale oder Bastel- und Spielaktionen. Ausgestattet sind diese Räume zusätzlich mit einer kleinen Küche zum Backen und Kochen. Das flexible Raumprogramm gab schliesslich den Ausschlag, dass auch die Tagesschule von Ittigen, die aus allen Nähten platzte, ins Gebäude einzog. Während der Bauphase des Kindergartens war die Zahl der Anmeldungen rapide gestiegen.


Willkommen im Kinderparadies

Erschlossen wird der Kindergarten, der als langgestreckter und quaderförmiger Baukörper auf einer kleinen Anhöhe ruht, von der Südseite her. Über ein paar Stufen gelangt man in den vorgelagerten Gartenbereich, der sich wie ein L um das Gebäude legt. Die geschwungene Wegeführung deutet hier bereits an, was
einen sodann im Gebäude erwartet: ein organisch angelegter und teilweise gedeckter Innenhof, der die beiden zweigeschossigen Baukörper «geschmeidig» verbindet.

Die Idee, die äusserlich strenge Gebäude­struktur im Inneren mit fliessenden Formen aufzubrechen, ist genial. So entsteht ein spannungsreiches Raumgefüge über zwei Ebenen, bei dem sich Innen- und Aussenräume raffiniert überlagern. Die Terrasse, die die beiden Baukörper im Obergeschoss verbindet, bildet einen wellenförmigen Brüstungsbereich. Die Vor- und Rücksprünge lassen immer wieder andere Perspektiven und Blickbezüge zu. Partiell eingesetzte, vertikal verlaufende Lamellen, die bis in den Hof hinunterreichen, nehmen Bezug zur Fassadengestaltung. Dadurch entstehen halbgeschlossene Bereiche, die etwas Schützendes haben, gleichzeitig aber auch Durch- und Ausblicke gewähren. «Die Gestaltung trägt entscheidend dazu bei, dass das Lehrpersonal die Kinder immer im Blick behalten kann», erklärt Christian Hosmann dazu.

Dass das ganze Raumkonzept für Erwachsene und Kinder gleichermassen aufgeht, kommt nicht von ungefähr. Von Anfang an wurden auch Pädagogen beim Entwurfsprozess miteinbezogen. Sie gaben entsprechenden Input, wie man auf gestalterischer Ebene auf die Bedürfnisse der verschiedenen Personengruppen eingehen kann.


Gebäudestruktur

Die durch die Lamellen aufgebrochenen Raumstrukturen vermitteln im Innen- wie im Aussenbereich das Gefühl von Offenheit und Transparenz. Grosse Fensterflächen tragen zudem bei, dass alle Bereiche mit Licht durchflutet werden, was hier zweifelsohne zur angenehmen Atmosphäre beiträgt.

Grundsätzlich ist der Kindergarten als vorgefertigter Holzbau konzipiert. Ausgeführt wurden die entsprechenden Arbeiten von der Wenger Holzbau AG. Die Dach- und Deckenkonstruktion im Innern der beiden Baukörper besteht aus Rippendeckenelementen, die die Installationen aufnehmen. Perforierte Dreischichtplatten, die sich demontieren lassen, bilden den sichtbaren Abschluss und sorgen für gute Raumakustik. Die Detailliebe der Architekten zeigt sich hierbei in der unauffällig integrierten LED-Beleuchtung: Die kleinen, in Reihen angeordneten Punkte an der Decke sind tagsüber kaum als Beleuchtung auszumachen. Fast könnten sie für Astlöcher gehalten werden, so gut assimilieren sie mit der Oberfläche des Holzes. Die Dach- und Decken­elemente spannen quer zum Gebäude und liegen auf flächenbündigen Unterzügen auf. Bei den Wandkonstruktionen handelt es sich um gedämmte Holzständerwände, sowohl im Innen- wie auch im Aussenbereich. Im gedeckten Hof bilden dreieinhalb Meter breite Brettsperrholzplatten die Geschossdecken und das Dach.

Alle Holzteile, die in besonderem Masse der Witterung ausgesetzt sind, wurden druckimprägniert und hell geölt. Um alle anderen Holz­elemente farblich daran anzupassen, sind diese entsprechend mit einem pigmentierten Öl behandelt. Auch dies ein Gestaltungsentscheid, der deutlich macht, wie feinfühlig hier die Architekten ans Werk gingen.

Schwupp?... und wieder spuckt der Metallwurm im Hof ein Kind heraus – begleitet von glücklichem Glucksen. Wer würde hier nicht auch gerne wieder Kind sein?

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Kindergarten/Tagesschule Rain
Standort: Ittigen (BE)
Fertigstellung: 2020
Auftragsart: Wettbewerb
Bauherrschaft: Gemeinde Ittigen (BE)
Architektur: Büro B Architekten AG, Bern
Ingenieur: Indermühle Bauingenieure HTL?/?SIA, Thun
Holzbau: Wenger Holzbau AG, Unterseen (BE)
Schreiner: Hinze Fensterbau GmbH, Tecknau (BL); Joss Schreinerei GbmH, Ittigen (BE); Forster AG, Oberburg (BE)


Büro B Architekten AG

Das Büro wurde 1990 gegründet und widmet sich in interdisziplinären Teams unterschiedlichsten Aufgaben im Bereich Architektur. Dazu zählen Siedlungs- und Aussenraumplanungen, Architektur- und Planungswettbewerbe, Überbauungsordnungen, Ausführungsplanungen, Bauleitungen, Unterhalts- und Sanierungskonzepte, Liegenschaftsschätzungen und Expertisen sowie Lehr- und Jurytätigkeiten. Derzeit beschäftigt das Unternehmen 35 Mitarbeitende. buero-b.ch

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