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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2020 Zweck und Ästhetik

Lebens.raum

Krippe mit Vorbildfunktion

Ein zurückhaltender Holzelementbau ist das neueste Bauwerk im «Wagi-Dorf» auf dem Areal der Stiftung Wagerenhof. Die Kinderkrippe Beluga ist ein Ort, in dem Natur, Nachhaltigkeit und Holz im Einklang stehen.

Text PD, SD | Fotos Dominique Marc Wehrli | Pläne Bob Gysin Partner BGP Architekten

Die Stiftung Wagerenhof bietet in Uster rund 200 Menschen mit kognitiver und mehrfacher Beeinträchtigung einen vielseitig gestaltbaren Lebensraum und ein Zuhause. Die Geschichte der Stiftung geht zurück auf das Gründungsjahr 1905. Seitdem ist die Anlage auf dem rund 169 Aare grossen Areal östlich des Bahnhofs Uster stetig weiterentwickelt worden bis zum heutigen Bild des Wagerenhofs mit seinem identitätsstiftenden Dorfcharakter, den die Betreiber liebevoll auf den Namen «Wagi-Dorf» getauft haben. Mit der Kinderkrippe Beluga ist im Sommer 2019 das neueste Gebäude eröffnet worden. Den Gesamtleistungswettbewerb entschied Bob Gysin Partner BGP für sich. Die im südlichen Arealbereich liegende Kinderkrippe Beluga ist in die Anlage des Wagerenhofs eingebettet. Der eingeschossige Holzelementbau ist eines von vier Bauwerken, für die das Zürcher Architekturbüro den Zuschlag erhielt.

Im Zentrum des pädagogischen Konzepts steht die individuelle Begleitung jedes einzelnen Kindes, das in seiner Entwicklung unterstützt und gefördert werden soll. Besonderen Wert wird gelegt auf die Integration von Kindern mit Beeinträchtigungen sowie aus anderen Kulturen und Religionen. Die Kinderkrippe schafft mit differenzierte Innen- und Aussenräumen eine vertrauensvolle und anregende Atmosphäre für bis zu zehn Kinder ab dem Alter von drei Monaten bis zum Kindergarteneintritt.

 

Im Einklang mit dem Baumbestand

Schon in einer frühen Phase des Planungsprozesses war klar, dass das Gebäude in Holz gebaut werden sollte. Zum einen, weil ein Holzbau mit den benachbarten Bauten und deren Holzfassaden korrespondiert. Zum anderen, weil der eingeschossige Bau zusammen mit den prächtigen Bestandsbäumen ein Ensemble bildet. Die beiden teilweise gedecktenTerrassen verbinden das über dem Terrain schwebende Gebäude mit seiner Umgebung. Sie eröffnen den Zugang zum Aussenbereich, der für die Kinder im «Feengarten» und auf dem Spielplatz Raum zum Toben in der Natur schafft.

Die Gebäudekörper sind als selbsttragende Boxen ausgebildet, auf denen das Flachdach ruht. Den Auftrag zur Ausführung des Holzbaus erhielt die Renggli AG aus Schötz (LU). Die vorfabrizierten Bodenelemente liegen direkt auf einer Stahlträgerunterkonstruktion auf, die auf Schraubfundamenten ruht. Die Wandelemente sind vorfabriziert auf die Baustelle geliefert und dann eingebaut worden, so dass der Holzbau innert einer Woche aufgerichtet werden konnte.

 

Das Dörfli im Dorf

Das Gebäude selbst ist wie ein eigenes kleines Dorf organisiert. Räume ähnlicher Nutzung sind zusammengefasst und als eigenständige Volumen platziert. Zwischen den Volumen wird ein multifunktionaler Raum aufgespannt, der mehr ist als eine Verkehrsfläche zwischen den Nutzungen. Er bietet vielfältige Rundläufe, lädt zum Spielen und Malen ein und fungiert als Garderobe sowie als Koch- und Essbereich. Die klare räumliche Konfiguration eröffnet vielseitige Durch- und Ausblicke, was den Kindern bei der Orientierung in ihrer Umgebung helfen kann. Eine Vielzahl grosszügiger Fenster schafft räumliche Weite und bietet Sichtbezüge zum Aussenraum. Ein besonderes Augenmerk lag darauf, ganztags so viel Tageslicht wie möglich ins Haus zu holen. Im Bereich der Kernzone lassen die mit Fichte ausgekleideten Oberlichter Tageslicht ins Innere dringen und schaffen einen Bezug zum Himmel.

Die Aufteilung des Grundrisses in einen flexiblen und als Rundlauf organisierten Gemeinschaftsbereich sowie drei abgeschlossene Raumzonen - Spielen, Schlafen und Büroarbeit der Betreuungskräfte - ermöglicht es, individuell auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder im Tagesverlauf zu reagieren. Die Spielräume können je nach Bedarf voneinander abgetrennt oder für gemeinschaftliche Aktivitäten zusammengeschaltet werden. Die differenziert gestalteten Fassaden bilden von innen Fenster- und Sitznischen aus, die spielerisch entdeckt und genutzt werden können. Die lebhafte Oberfläche der formaldehydfreien OSB-Platten kombiniert mit der feinmaserigen Fichte und dem homogenen blauen Boden erzeugt im Innenbereich einen spannenden Materialmix. Gezielt gesetzte Farbflächen im Innern sind verschiedenen Nutzungen zugeordnet und schaffen Orientierung.

 

Nachhaltiges Konzept

Bob Gysin Partner BGP legte beim Konzept der Kinderkrippe Wert auf Nachhaltigkeit - in vielerlei Hinsicht. Auf der sozialen Ebene schafft die Krippe Raum und Zeit für eine individuelle, ganzheitliche Entwicklung und für vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten. In einem von gegenseitigem Respekt geprägten Umfeld können die Kinder ihre Kreativität ausleben und sich selbst entdecken. Auch wird die Kinderkrippe regelmässig von Bewohnerinnen und Bewohnern des Wagerenhofs besucht. Die Innenräume sind so gestaltet, dass die Kinder ruhigen genauso wie auch lebhaften Tätigkeiten nachgehen können. Der Feengarten und der Spielplatz kommen dem Bewegungsdrang der Kinder entgegen und fördern die motorische Entwicklung.

Auf ökologischer Ebene geht der Minergie-Eco-Neubau haushälterisch mit Landressourcen um. So werden die Dachflächen vielseitig genutzt. Einerseits für die Retention von Niederschlag. Andererseits als begrüntes Flachdachsystem für die Vegetation sowie als erweiterter Lebensraum für Insekten. Im Innern kommen Materialien mit einem tiefen Graue-Energie-Wert zum Einsatz. In ökonomischer Hinsicht ermöglicht die Holzelementbauweise in Kombination mit vorfabrizierten Standardelementen eine schnelle Bauzeit und hohe Kosteneffizienz. In Bezug auf die energetische Nachhaltigkeit führen die Kompaktheit der Hülle, die Lüftung mit Wärmerückgewinnung sowie eine optimale Tageslichtnutzung zu einem reduzierten Energiebedarf und einem angenehmen Raumklima.

 

Das «Wagi-Dorf» wächst weiter

Bis 2021 sollen die Arbeiten der Architekten von Bob Gysin Partner BGP im «Wagi-Dorf» abgeschlossen sein. Die beiden geplanten Neubauten mit Wohngruppen für insgesamt 120 Bewohner entsprechen einer innovativen Clustertypologie. Doch was ist ein Dorf ohne Gemeindehaus? Das kommt noch: Die Sanierung und Umnutzung des Denkmalschutzobjekts «Haus 11» zum «Gemeindehaus» ist in Arbeit. Es soll nach Fertigstellung ein gemeinschaftlich genutzter Ort für die Bewohnerinnen und Bewohner sowie externe Besucher sein. wagerenhof.ch, renggli.swiss

 

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Krippe Beluga,
Holzelementbau auf Schraubfundament
Standort: Uster (ZH)
Bauherrschaft: Stiftung Wagerenhof, Uster
Baubeginn: Dezember 2018
Fertigstellung: Juni 2019
Architektur: Bob Gysin Partner BGP, Zürich
Totalunternehmer: Gross Generalunternehmung AG ZH, Wallisellen (ZH)
Holzbau: Renggli AG, Schötz (LU)
Bauingenieur: Linsi + Deubelbeiss Ingenieurunternehmung GmbH, Pfäffikon (ZH)
Baukosten (BKP 2): CHF 1,8 Mio.
Gebäudevolumen (SIA 416): 1466 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 350 m2
Holz (Auswahl): Brettschichtholz, verschiedene OSB-Platten, MHP-Platten, H2O-Platten

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