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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2020 Ungewohnt

Lebens.raum

Mit BIM gewachsen

Das Haus «Krokodil» auf dem Lokstadt-Areal in Winterthur hat ein Skelett aus Holz und eine Haut aus Stein und Metall. Von Anfang an wurde das gigantische Hofhaus auf den Millimeter genau durchgeplant. Die BIM-Planung liefert erste Erkenntnisse.

Text Sue Lüthi | Fotos Sue Lüthi, Jost&Bayer, Jürg Zimmermann | Visualisierung, Pläne Baumberger&Stegmeier Architekten, Implenia, Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG

Dem Hofhaus ist die Holzkonstruktion nicht anzusehen. Die rhythmische Fassade verrät zwar deutlich den Skelettbau, doch die Materialisierung schlägt für eine Wohnüberbauung mitten in der Stadt einen völlig neuen Weg ein. Kühle Aluminiumrahmen fassen einheitliche Fensteröffnungen und Loggien ein und binden die imposante 106 Meter lange und 20 Meter hohe Aussenwand zusammen. Vier Geschosse hoch ist die Basis mit geriffeltem Glasfaserbeton verkleidet, hoch oben umhüllt eine schimmernde Metallhaut das Haus – eine Anlehnung an Industriehallen, die ab der Höhe der Kranbahnen oft einen metallischen Leichtbau-Aufsatz tragen.

248 Wohnungen im Minergie-P-Standard beherbergt das «Krokodil», wie der grosse Holzbau mit Innenhof genannt wird. Er ist das erste Gebäude auf dem Neubau-Areal «Lokstadt» mitten in Winterthur. Früher wurden hier Lokomotiven gebaut, sie hiessen «Elefant», «Krokodil» oder «Roter Pfeil», künftig werden die Häuser ihre Namen tragen. Der Baustoff Holz ist der Kern des Projekts, nur mit ihm sind die Anforderungen an die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, die die Implenia AG als Investorin stellte, zu erfüllen. Mit einem Grundgerüst aus Holz ist der Rahmen für die 2000-Watt-Gesellschaft wortwörtlich gegeben: Die 7700 Kubikmeter Holz wachsen in Schweizer Wäldern in acht Stunden nach, die weiteren Parameter hängen nun vom Verhalten der Bewohner ab.


Holz vor Beton
Die Grundstruktur des Projekts ist ein Holzskelett, Aussen- und Innenwände sind vorproduzierte Holzelemente, die Fassade ein vorgehängtes Kleid. Einzig die Kernwände der Treppenhäuser und Liftschächte wurden aus Beton fabriziert. Doch in diesen Zonen erfolgte der Bauablauf in umgekehrter Reihenfolge: Die Wandelemente rund um die Erschliessungsschächte (Dreischichtplatten, 42 mm stark) wurden zuerst gestellt und dienten gleich als Schalung für den Beton (s. Abb. 6 auf S. 20). Diese Reihenfolge war eine Entwicklung der Implenia-Holzbauer und Baumeister und der Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG. Sie nutzten den Vorteil des Holzbaus, wo generell mit kleineren Toleranzen gerechnet wird. Im Gegensatz zum Bau mit Beton können Holz­elemente millimetergenau vorgefertigt werden. Zudem sparten die Planer mit diesem Anschluss, der sich x-fach wiederholt, 24 Tonnen Stahl, 1270 Tonnen Beton sowie 1,2 Tonnen Verbindungsmittel und Schrauben.

Mehrere BIM-Modelle
An solchen Punkten sollten sich nun die Vorteile der BIM-Planung zeigen: Schon früh im Planungsprozess können die Bautechniker ein Detail optimieren und eine Bauteilanalyse herausziehen. Bereits für den Studienauftrag des Projekts mussten die Architekten ein BIM-Modell abgeben. «Das Krokodil war für uns mit dieser Planungsweise ein Pilotprojekt. Wir haben bis zum Massstab 1:50 alles als BIM-Modell modelliert und Details 1:20 bis 1:1 dem Holzbauer übergeben», sagt Daniel Kaschub von Baumberger & Stegmeier Architekten. Das Architekturbüro aus Zürich gewann 2016 zusammen mit Kilga Popp Architekten aus Winter­thur den Studienauftrag. Doch die Kompatibilität holperte noch. Die beiden BIM-Modelle wurden in einem zweistufigen Prozess geometrisch miteinander abgeglichen. Zudem wurden die Details klassisch in 2D gezeichnet, bevor sie in das Holzbaumodell einflossen. Daniel Kaschubs Fazit ist durchwachsen: «BIM ist noch nicht ausgereift und noch auf dem Weg zu einem effizienten digitalen Planungsprozess», sagt der Projektleiter. Zudem sei die CAD-Software in der Anwendung für solche Grossprojekte noch zu träge und es brauche einige systematische Verbesserungen.

BIM für die graue Energie
Zum Vorteil von Holz gehören die Vorproduktion «im Trockenen» und die schnelle Montage vor Ort. Und Holz weist wenig graue Energie auf. Um diese so tief wie möglich zu halten, braucht es von Anfang an Kenntnisse über die Details. Schon für den Wettbewerb hat die Implenia AG von den Architekten ein BIM-Modell verlangt. Die darin definierten Grundmaterialien lassen sich am Computer einfach austauschen, was für die Optimierung der grauen Energie ein grosser Vorteil ist. Aber nur bis zu einem gewissen Grad, wie Yves Deluz, Projektleiter Nachhaltigkeit bei der Implenia, sagt. Wollte man das Material des Haupttragwerks ändern, müsste man das Gebäude neu planen und ein zweites Modell erstellen. Ein Beton- und ein Holzbau könnten nicht eins zu eins miteinander verglichen werden. Die Materialwahl wirke sich auf das Grundkonzept, die Statik und die Dimensionen aus. Aber es sei ein Fernziel von BIM, dass man per Knopfdruck Bauteile ersetzen und die Lebenszyklusanalysen herausziehen könne. Darum war die Grundkonstruktion des Krokodils schon vor der Ausschreibung des Wettbewerbs klar und der Bau somit als Holzbau gesetzt.


Decken aus Massivholz

Das Grundmaterial ist ab dem Erdgeschoss vor allem Nadelholz. Die Untergeschosse wurden in Stahlbeton ausgeführt. Wo statisch möglich, haben die Unternehmer Recyclingbeton eingesetzt. Über den Erdgeschosswohnungen und den oberirdischen Geschossen liegen 22 Zentimeter dicke Massivholzdecken, die von der Hasslacher Gruppe fertig geschliffen direkt auf die Baustelle geliefert wurden. Die Brettsperrholzdecken sind mit X-fix-Zapfen verbunden, Schwalbenschwanzverbindern aus Buchen-­Furnierschichtholz. Sie werden mit dem Hammer in die Einfräsungen geschlagen, was das Eindrehen von Schrauben mit dem Akkuschrauber erspart – denn es sollte so viel Holz wie möglich eingesetzt werden.

Das Tragwerk entstand logistisch und produktionstechnisch von der Baustelle getrennt. Die tragenden Aussenwandelemente bestehen aus neun Schichten, die die Holzbauer der Implenia im Werk in Rümlang vorfabriziert haben. Innen verkleiden zwei Gipskartonplatten einen Installationsrost, gedämmt wird mit Isofloc, dann folgen eine OSB-Platte, die Ständer und eine äussere Gipsfaserplatte mit Windpapier, inklusive Fenster. Das Material ging von Binderholz direkt nach Rümlang zur Vorfabrikation. Vertikal sind die Elemente im Bereich der Decke teilweise mit Metallstützen durchtrieben.


Industrielles Farbkonzept
Der Ausbau der Wohnungen und der Treppenhäuser zeugt von einer neuen Heiterkeit. In Mietwohnungen Farbe bekennen traut sich nicht jeder Investor. «Das Haus steht in der Stadt, nicht auf dem Land oder in den Bergen», sagt der Architekt. Die Holzkonstruktion ist weiss lasiert, die Wände sind grau, die Küchen lila. Holz anstreichen ist seit jeher eine Veredelung. Nur in den Alterswohnungen liegt ein Bodenbelag aus Eiche, in den Mietwohnungen wählten die Bauherrschaften Anhydrit. Trotzdem ist die Holzkonstruktion im Innern sehr deutlich wahrnehmbar. Stützen und Unterzüge gliedern die tiefen Grundrisse und die ebenfalls lasierten Blockholzplatten der Decke wirken roh, aber freundlich. Das Farbkonzept alterniert je nach Bauherrschaft: Die Pensionskasse Adimora hat den Anstrich umgekehrt und das Holz grau und die Wände weiss gestrichen.

Alle Wohnungen sind durch ebenso farbige wie industriell anmutende Treppenhäuser erschlossen: Die Betonwände sind farbig gehalten, darin steht ein Stahlwerk mit Treppenläufen. Die grünen und gelben Farbtöne sind an die Farben in den alten Industriehallen angelehnt. Auf den Podesten liegen Spaltplatten aus Ton, belichtet durch Oblichter in einer orangen Decke. Im Krokodil ist auf jeden Fall die Ära der sterilen Einheitsgestaltung in Form- und Farbgebung passé. Davon zeugt auch der Innenhof, dort gehts weiter im Material- und Farbenkatalog. Er ist quasi eine Halle ohne Dach. Ein Gerüst aus Betonelementen und Stahlgeländern in Weiss bietet jeder Wohnung einen Balkon, der vor einer grünen Fassadenverkleidung aus Holz liegt. Auch dieser Farbton schafft eine Verbindung zur industriellen Vorgeschichte des Ortes: Viele Maschinen tragen einen resedagrünen Grundanstrich. Beim Blick in die Höhe ist im Innenhof ein Horizont erkennbar: Dort, wo die Laufkatzen über die Stahlträger rollen würden, sind die Materialien in Weiss gehalten. Der äus­sere Horizont des Blockrandes, die Schuppenhaut aus Titanzinkschindeln, wird ihren hellen Schimmer verlieren und mit der Zeit eine graue Patina anlegen.


Die Lokstadt
Rund um das Krokodil – so hiess die erste elektrische Gotthardlokomotive, die 1919 in Teilen von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) gefertigt wurde – entstehen in den nächsten fünf Jahren 13 Gebäude. Die ganze Lokstadt wird nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft entwickelt, so haben zum Beispiel Fussgänger und Velofahrer Vorrang. Eine baufeldübergreifende Tiefgarage erschliesst das Areal für Autos und Motorräder und verbannt Strassenlärm in den Untergrund. Die Anbindung an den öffentlichen Verkehr hilft, einen nachhaltigen Lebensstil umzusetzen. baumbergerstegmeier.ch, kilgapopp.ch, holzbau.implenia.com, lokstadt.ch


Das Projekt – die Fakten

Projekt: Neubau mit 248 Miet- und Eigentumswohnungen, Gewerbe im Erdgeschoss
Standort: Winterthur (ZH)
Fertigstellung: Dezember 2020
Bauherrschaft: Implenia Schweiz AG; Anlagestiftung Adimora;
Gaiwo Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen;
Gesewo Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen
Architektur: Arge Baumberger & Stegmeier AG, Zürich; Kilga Popp, Winterthur
Holzbau: Implenia Schweiz AG, Rümlang
Holzbauingenieur: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Zürich
Holzart und -menge Tragwerk: 5500 m3 Brettsperrholz Fichte/Tanne von
Hasslacher Gruppe (AT); 1500 m3 Brettschichtholz Fichte/Tanne,
700 m3 Rahmenholz Fichte/Tanne von Binderholz GmbH (AT)
Bauphysik: Pirmin Jung Schweiz AG, Rain (LU)
BIM-Support: Kaulquappe AG, Zürich
Digitale Planung: Design to Production, Zürich
Gebäudevolumen: 130000 m3
Geschossfläche: 41400 m2
Baukosten: ca. CHF 90 Mio., davon Holzbau CHF 16 Mio.

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