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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

04/2020 Auf der Überholspur

Stil.Form

Mit einer Haut aus Lärche

Das Langlaufzentrum in Campra (TI) zählt zu den am besten ausgestatteten Anlagen in den Schweizer Alpen. Mit dem Ersatzneubau haben Profis wie auch Novizen des Langlaufs einen stilvollen Startpunkt für eine der vielen Loipen in dem Wintersportgebiet südlich des Lukmanierpasses.

Text SD, PD | Fotos Christiane Nill, Lionel Henriod, Tonatiuh Ambrosetti, Giorgio Marafioti

Die Region um Campra verzeichnet eine lange Tradition im Langlauf. Das Tessiner Ski- undvWintersportgebiet bei Olivone liegt an der Südseite des Lukmanierpasses auf einer Höhe von 1500 m ü. M. Hier erstreckt sich im Winter für ambitionierte Langläufer ein 30 Kilometer langes Netz an Loipen. Pisten, die auf und ab zwischen Koniferen- und Erlenwäldern verlaufen, hier und da unterbrochen von Lichtungen in den ebenen Zonen.


Die Entdeckung Campras

Die Geschichte des Langlaufs rund um Campra setzt weiter südlich im Bleniotal in den 1930er Jahren ein – als eine Disziplin, die vor allem bei Wettkampfsportlern beliebt ist. 1934 gründen Athleten den ersten Skiclub der Region: Skiclub Simano, benannt nach dem nahe gelegenen Bergmassiv. Ein grosser Meilenstein in der regionalen Wintersportgeschichte ist der Bau der neuen Lukmanierstrasse 1974. Sie ermöglicht eine einfache Zufahrt zur Gegend von Campra, die dank geeigneter Topografie und bester Schneeverhältnisse ideale Bedingungen für den Langlauf bietet.

In den 1970er Jahren bauen die Langläufer des Skiclubs auf Eigeninitiative eine einfache Schutzhütte. Sie dient den Sportlern als Refugium vor Wind und Wetter und zur Verpflegung. Langlauf entwickelt sich in den folgenden Jahrzehnten vom Wettkampf- zum Breitensport und wird immer beliebter. Amateure entdecken diesen Wintersport für sich, und auch dank der vermehrten Mobilität nimmt die Zahl der Gäste in der Campra-Region ständig zu. Das macht den Bau von neuen und funktionalen Einrichtungen in mehreren Phasen notwendig. Über die Jahre hinweg wird die ursprüngliche Schutzhütte des Skiclubs nun rundherum mit zahlreichen einfachen Bauten erweitert. Sie existieren heute nicht mehr. Am selben Standort bietet der Neubau von Durisch + Nolli Architetti aus Massagno (TI) eine moderne Infrastruktur für den Langlauf und darüber hinaus.


Ersatzbau für den Wintersport

In die herrliche Landschaft gebettet zählt das neue Langlaufzentrum in Campra zu den am besten ausgestatteten Anlagen für Langlauf in den Schweizer Alpen. So verfügt das Centro Sci Nordico unter anderem über ein Restaurant, Gästezimmer, einen Spa-Bereich, einen Fitnessraum sowie eine Eisbahn vor dem Gebäude. Für Gruppen- und Einzellektionen im Langlauf stehen die Lehrer der lokalen Schweizer Skischule Blenio zur Verfügung. Im Sommer lässt sich die Lukmanier-Region über ein umfassendes Netz an Wanderwegen entdecken oder bei Touren mit dem Mountainbike.

2013 entschied das Architekturbüro Durisch + Nolli mit seinem Entwurf den Wettbewerb für sich. Die Planung und die Realisierung erfolgten zwischen 2015 und 2019. Die neue Herberge fügt sich dank minimaler Eingriffe in die Umgebung ein. Dabei bildet die geschaffene Struktur ein kompaktes und präzises Ensemble, das genau an jene Stelle tritt, an der sich der Vorgängerbau befand. Damit besetzt der Neubau den Teil des Grundstücks, der in landschaftlicher Hinsicht ohnehin bereits beeinträchtigt war. Der Neubau ist inspiriert von dem Charakter der einstigen Bestandsbauten – insbesondere im Hinblick auf deren Einfügung in die Landschaft.

Das Langlaufzentrum ist das Ergebnis von Vorfertigung, Modularität und Einfachheit der Konstruktion unter grosszügiger Verwendung des ortstypischen Materials: Holz. Zentrales Thema des Entwurfs ist die Aufwertung des gesamten Umfelds durch das neue Gebäude, das die charakteristischen Qualitäten des Ortes würdigt und eine natürliche Interaktion mit der umgebenden Landschaft erzielt. Das Bauen in Campra erfordert Sensibilität, insbesondere weil sich der Ort ausserhalb der Bauzone in einer Naturschutzzone, einer Moorlandschaft von nationaler Bedeutung, befindet.


Holz auf Beton

Der Sockel – vor Ort aus Stahlbeton gegossen – fängt den natürlichen Höhenunterschied des Geländes auf. Mikropfähle verstärken das Fundament, weil das Terrain in seiner Tragfähigkeit eingeschränkt ist. Den Sockelanschluss an die Stahlbetonwände bilden Stahlplatten, die im Beton verankert sind. Der horizontale Lastabtrag erfolgt durch die Verbindung der Holzwände und Holzdecken über eingelegte und verdübelte Stahlbleche. Im Betonsockel befinden sich alle Technikräume, die Sanitäranlagen und die Infrastruktur für die verschiedenen Sportarten. Er ragt aus dem Gelände und bildet somit die grosse Terrasse des Restaurants, die mit der zum Parkplatz führenden Treppe den Hauptzugang des Gebäudes darstellt.

Auf diesem Betonsockel ruht die Holzstruktur, grösstenteils aus Massivholzplatten gefertigt. Im Erdgeschoss sind die Rezeption, die Bar, die Küchen und die Räume für das Restaurant sowie der Speisesaal verortet. Flexibilität im Grundriss ermöglichen hier mobile Trennwände, um beispielsweise einen grossen Saal für Veranstaltungen anbieten zu können. Im ersten Stock sind die Gästezimmer. Die Giebelseite des Gebäudes wird in Richtung der Lukmanierpassstrasse durch ein zusätzliches Stockwerk betont, in dem der Wellnessbereich untergebracht ist. Markant ist die Fassade des Neubaus: Der Holzbau ist in Latten aus Lärche gehüllt – 60 × 20 Millimeter in einem Abstand von 10 Millimetern.

Das Gebäude zeichnet sich durch seine Modularität und strukturelle Rationalität aus. Die Gästezimmer im ersten Stock mit einer Länge von 4,60 Meter bilden das Basismodul. Dieses System ermöglicht eine äusserst rationelle Bauweise. Es reduziert auf wenige Grundelemente für die Tragkonstruktion, die in der Werkstatt vorgefertigt und dann in kurzer Zeit vor Ort montiert werden. Die Vorfertigung der Tragstruktur aus Holz nahm rund zwei Monate in Anspruch. In sieben Wochen richteten Mitarbeitende der Veragouth SA die gesamte Tragstruktur auf. Die Verkleidung und der Ausbau nahmen weitere zwei Monate in Anspruch. Ein zeitlicher Balanceakt, der glücklicherweise aufging. Denn nur eine Woche nach der Abdichtung des Satteldachs kam der erste Schneefall. Schnee ist nur eine Unwegsamkeit beim Bauen in dieser Höhenlage – neben Regen, Wind und Kälte.


Das Nachhaltigkeitskonzept

Die Verwendung von Holz als Baumaterial garantiert hervorragende Umwelt- und Energieeigenschaften, was dem umfassenden Nachhaltigkeitskonzept des neuen Gebäudes entspricht. Der in Trockenbauweise erstellte Bau kann leicht demontiert und das Holz ohne ökologische Nachteile entsorgt oder wiederverwendet werden. Die Heizungsanlage umfasst die Installation einer geothermischen Wärmepumpe mit einer Heizleistung von 60 kW in Kombination mit der Solarthermieanlage. Zur Deckung ausserordentlicher Spitzen im Energiebedarf und als Reservesystem steht ein Gas-Brennwertkessel mit einer Leistung von 150 kW zur Verfügung. Auf dem Dach ist eine solarthermische Anlage mit einer Fläche von 100 Quadratmetern installiert. Die erzeugte Wärme wird sowohl zum Heizen als auch für die Erzeugung von Warmwasser verwendet. In puncto Warmwasser verfügt das Bauwerk zusätzlich über zwei Speicher mit einer Gesamtkapazität von 5000 Liter, die von solarthermischen Kollektoren gespeist werden.

Campra gilt als schneesicher – ein Grund, weshalb immer mal wieder internationale Wettkämpfe in das Tessiner Winter- und Skisportgebiet verlagert werden. Das neue Langlaufzentrum ist ein weiterer guter Grund, zum Langlaufen ins Tessin auszuweichen und auf einer der Loipen entlang des ruhigen Flusses durch die Landschaft zu gleiten.
xilema.ch, campra.ch

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Durisch + Nolli Architetti Sagl, Massagno (TI)

1993 gründen Pia Durisch und Aldo Nolli das Architekturbüro Durisch + Nolli Architetti. Gemeinsam begleiten sie intensiv alle Projekte des Büros. Von Anfang an zeichnen sie sich durch einen von lokalen Einflüssen eigenständigen Ansatz aus und durch einige bedeutende Projekte im Umgang mit Stadtraum und Kulturerbe. Die Hauptaktivität richtet sich auf Bauten für das Gemeinwohl, auf den Erhalt von Baukultur und auf die Architektur der Stadt aus. Zu den jüngeren Werken des mehrfach ausgezeichneten Architekturbüros gehören die Wohnsiedlung für 280 Studenten der Student Mentor Foundation in Luzern 2013 und das Schulzentrum Nosedo in Massagno 2017 (Arge mit Giraudi Radczuweit Architetti). In jüngster Zeit konnte das Team durch die Teilnahme an nationalen Wettbewerben wichtige Projekte ausserhalb des Kantons Tessin akquirieren, wie das Assembly and Arts Building im Aiglon College (2017), das SRF-Next Sports & Media Center vom Schweizer Fernsehen SRF in Zürich Leutschenbach (2017) und das neue Betriebsgebäude DTB in St. Gallen (2020). durischnolli.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Langlaufzentrum Centro Sci Nordico, mit Gästezimmern, Spa und Restaurant
Standort: Campra (TI)
Fertigstellung: 2019
Bauherrschaft: Centro Sci Nordico Campra SA, Campra
Bauleitung: AM-T Architettura, Biasca (TI)
Architektur: Durisch + Nolli Architetti Sagl, Massagno (TI)
Holzbau: Veragouth SA, Bedano (TI)
Fenster und Türen: Binda SA, Taverne (TI)
Holzbauingenieur: Borlini & Zanini SA, Lugano (TI)
Bauingenieur Gesamtleitung: Reali e Guscetti Studio d’Ingegneria SA, Quinto (TI)
Baukosten (BKP 1?9): CHF 9,67 Mio.
Gebäudevolumen (SIA 416): 7500 m3
Nettogeschossfläche (SIA 416): 2100 m2
Holz (Tragwerk): ca. 680m3 BBS Fichte?/?Tanne

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