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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2019 Zuhause

FOKUS.THEMA

Seite an Seite

Acht Wohneinheiten – schmal in der Breite, kreativ und grosszügig in der Höhe – stehen aufgereiht in Winterthurs Stadtrain-Quartier. Es sind kleine Raumwunder. Bellwald Architekten ist mit dem Projekt für die HGW eine moderne Adaption des Reihenhaustyps gelungen. Die neuen Holzhäuser knüpften an die Bautradition der Siedlung an und setzen dabei farbliche wie auch konstruktive Akzente. Und – nicht zuletzt – sie schaffen bezahlbaren Wohnraum in hoher Qualität.

 Text Sandra Depner, Bellwald Architekten | Fotos Andreas Mader

 

An Sommertagen wie diesen schimmern die feinen Silberpigmente in der Sonne. Je nach Lichteinfall ändert sich der Farbton der Fassade. «Es ist wie ein Lichtspiel», sagt Heike Breninek von Bellwald Architekten. Sie fährt mit ihrer Hand über die Holzfassade des Pavillons, der Blick der Architektin wandert auf die gegenüberliegende Häuserzeile, eingekleidet mit denselben sägerohen Latten. Acht Reihenhäuser stehen hier, Seite an Seite, in der Siedlung Stadtrain im Nordosten Winterthurs, eingesäumt vom Spitzweg im Osten und dem Robinienweg im Westen.

Oktober 2018 übergab Bellwald Architekten der Heimstätten-Genossenschaft Winterthur (HGW) die Ersatzneubauten und erfüllte für acht Mietparteien den Wunsch vom günstigen Wohnen, ohne dass diese auf Komfort und moderne Ausstattung verzichten müssen. Heute staunt Breninek darüber, wie die Bewohner die Häuser nutzen und wie viel Leben in die Siedlung eingezogen ist.

Kometgrau: Viel Aufwand für eine Lasur

Die Reihenhäuser und der Quartiertreff bilden ein Ensemble. Kometgrau ist der Name der Verwitterungslasur, die die Holzlatten vorzeitig in dieses einheitliche Grau taucht. Die langen, vertikalen Leisten aus Fichte erzeugen eine reliefartige Oberfläche an der gesamten Fassade. «Es war eine intensive Zeit, bis wir die richtige Lasur fanden, die an diesen Ort passt», resümiert Holzbautechniker Marco Fehr von der Zehnder Holz und Bau AG. Denn das Grau der neuen Fassade sollte so natürlich wie möglich sein und zu jenem passen, das sich in der nahen Umgebung bei natürlich vergrautem Fichtenholz findet. Die Projektierung wurde von der HGW eng begleitet. Nach etlichem Tüfteln und Ausprobieren sowie zahlreichen Holzmustern und einem Eins-zu-eins-Fassaden-Mock-up entdeckten sie dann das Kometgrau. Viel Aufwand für eine Lasur. «Anfangs hatte ich so meine Bedenken, die Silberpigmente könnten künstlich wirken. Aber es ist perfekt», so Breninek.


Entwurf: Ein Spiel mit den Erwartungen

Es braucht etwas Zeit, um diese Reihenhäuser zu verstehen, den Rhythmus der Eingänge, die sich spiegelnden Grundrisse, die verschiedenen Raumhöhen. Einmal verstanden, bleibt die Faszination für das Raumwunder, das Breninek und ihr Team von Bellwald Architekten realisiert haben. Ihr Entwurf spielt mit den Erwartungen des Betrachters. Wo die einzelne Wohneinheit beginnt, das erschliesst sich nicht sofort. Auch nicht, wo sich der Zwischenboden der zweigeschossigen Wohnräume befindet. Zumindest nicht von aussen. Denn das Fassadenraster aus verschieden hohen Fenstern, Glasbrüstungen und die durchgehend vertikale Lattung lässt keinen Rückschluss darauf zu. Trotz oder gerade wegen der Schmalheit der einzelnen Wohneinheiten – die Breite liegt bei viereinhalb Metern – bietet der zehn Meter lange Baukörper eine Wohnfläche von 82 Quadratmetern verteilt auf 3,5 Zimmer. Im Innenraum runden Massivholz in Sichtqualität, ausgesuchte Materialien und Farben das Arrangement ab.

Die Reihenhäuser und der Quartiertreff in Holzrahmenbauweise bilden den westlichen Abschluss des Quartiers. Hier laufen die Johannis- und die Hegistrasse spitz zusammen. An ihren Enden formt sich ein Dreieck: der Vorplatz des neuen Pavillons. Mittlerweile säumen kleine Hecken die Abgrenzung, junge Bäume markieren den Vorplatz des Quartiertreffs. Zuvor standen hier an diesem Platz vier Garagenboxen. Sie wichen dem offen gestalteten Pavillon, der auf rund 230 Quadratmetern einschliesslich Untergeschoss der neue Treffpunkt für die Einwohner in der Umgebung ist. Er ist ein Geschenk der HGW an das Quartier.

Statistik: Reihenhäuser sind im Trend

Der von Bellwald Architekten entworfene Reihenhaustyp nimmt Bezug zur Vergangenheit und unterwirft sich der Bautradition der Siedlung. Bereits in den frühen 1920er Jahren wurden hier die ersten Reihenhäuser gebaut. Deutliche Akzente und eine moderne Interpretation dessen liefert das Winterthurer Architekturbüro mit dem Holzelementbau: durch alternierende Zugänge und den dadurch geschaffenen Raum, durch das Split-Level und die dadurch überhohen Räume, die dem Reihenhaus seinen loftähnlichen Charakter verleihen. Nicht zuletzt auch durch die Art des Bauens mit einem hohen Vorfertigungsgrad, der dem Holzelementbau zugrunde liegt, sowie der Zusammenarbeit auf einer digitalen Modellebene.


Reihenhäuser sind im Trend. Daten vom Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft (IdBH) an der Berner Fachhochschule belegen einen deutlichen Sprung. Seit sechs Jahren schraubt sich die Zahl der Bewilligungen immer weiter nach oben und lag 2018 bei knapp 500. Und immer mehr davon werden in Holzbauweise errichtet. Doch reicht das, um die Nachfrage nach Wohnraum zu stillen? Wie in vielen Städten in der Schweiz herrscht auch in Winterthur Wohnungsmangel: 2019 liegt die Leerwohnungsziffer bei 0,75 Prozent. Wer in der sechstgrössten Stadt der Schweiz eine freie Wohnung sucht, hat somit nicht viel Auswahl.

Rückblick: Das Stadtrain-Quartier

Ein Rückblick in die Vergangenheit der Stadt zeigt: Wohnungsknappheit ist kein neuzeitliches Phänomen. Auch Ende des vorletzten Jahrhunderts war es eng geworden: Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Landflucht bescherten Winterthur im Laufe des 19. Jahrhunderts einen Wirtschaftsaufschwung. Zeitgleich verknappte sich der Wohnraum. 1923 wurde die Heimstätten-Genossenschaft Winterthur gegründet. Seitdem schafft und unterhält sie bezahlbaren und hochwertigen Wohnraum. So entstanden im Stadtrain-Quartier ab Ende der 1920er Jahren mehrere Zeilen aus Kreuzreihenhäusern nach norddeutschem Vorbild: Die Einfamilienhäuser sind sowohl seitlich als auch am Rücken zusammengebaut. Über die Jahre hinweg änderten sich die Umgebung und die Besitzverhältnisse der HGW. Bis heute sind noch zwei Zeilen mit Reihenhäusern sowie mehrere Mehrfamilienhäuser im Besitz der HGW verblieben. Darunter waren auch die Laubenganghäuser aus den 1950er Jahren, die durch den Neubau ersetzt wurden.

Konstruktion: Ein Raumwunder

Die neuen Reihenhäuser schaffen viel Raum auf wenig Platz. Auch weil die viereinhalb Meter breiten Einheiten den Grundriss effizient ausnutzen. Im Erdgeschoss bilden die Gangflächen gleichzeitig Service- und Arbeitszonen. Eine hölzerne Box, die Küche, Garderobe, WC und Kellertreppe vereint, tritt als homogenes Möbel auf, das die Eingangszone vom Wohnbereich trennt.

Als Kontrast zu den Holzoberflächen an Wand und Decke sind die Oberflächen der Küche in ein tiefes Dunkelblau getaucht. Die beidseitige Belichtung durch die zum Teil überhohen Fenster mit innenseitiger Glasbrüstung, lässt viel Tageslicht über die offene Treppe in die beiden Geschosse dringen. Im Obergeschoss befinden sich das Hauptbadezimmer und ein Schlafzimmer sowie ein weiterer Raum. Dieser kann bei Bedarf mit einer Schiebetür verschlossen werden. Die Schiebetür erhielt von Holzbautechniker Fehr besondere Beachtung. Aufgrund der Masse sei es nicht möglich gewesen, sie erst nach der Aufrichte einzubauen. Dementsprechend plante Fehr die drei Meter hohe und zweieinhalb Meter breite Schiebetür bereits in die Vorfabrikation des Holzbauelementes ein, die nur wenige hundert Meter von der Baustelle entfernt in den Hallen der Zehnder Holz und Bau AG über CNC-Maschinen gesteuert wurde. «Das Element mit der eingebauten Schiebetür hoben wir dann mit dem Kran an seine Stelle im Obergeschoss.»

Raumhöhe: Sprung mit Loftcharakter

Wie bewältigt man die Herausforderung, viel Wohnraum zu schaffen, obwohl die Breite beschränkt ist? Lösungen fand Breninek mit der Innenarchitektin im Team. Sie nutzten die Höhe, loteten die Grenzen aus und wurden kreativ: «Wir wollten das Gefühl generieren, dass auch kleine Wohneinheiten eine Grosszügigkeit haben können. Das haben wir mit der Geschosshöhe erreicht. Nach oben hatten wir genug Luft.» Und so erklärt Breninek das Konzept: «Ich betrete das Gebäude bei einer Raumhöhe von 2,40 Metern. Im Wohnbereich springt die Raumhöhe dann auf 3,40 Meter und verleiht dem Raum diesen Loftcharakter. Im Obergeschoss ist es dann umgekehrt: Da, wo unterhalb im Erdgeschoss der höhere Raum liegt, befindet sich nun der niedrigere Raum mit seinen 2,40 Metern – und andersherum beim niedrigeren Raum im Erdgeschoss liegt darüber der höhere Raum im Obergeschoss.» Die neue Reihenhauszeile setzt generell auf viel Holz – an der Fassade, im Tragwerk und im Innenausbau. Die tragenden Aussenwände sind in Holzrahmenbauweise realisiert und mit Gipsfaserplatten und einer glatten Tapete weiss gestrichen als Abschluss verkleidet. Die tragenden Innenwände hingegen sowie die Zwischendecke, das Flachdach, die Schiebe- und Zimmertüren bestehen aus Blockholzplatten: farblos lasiert in Sichtqualität. All das ruht auf einem Untergeschoss-Sockel in Massivbauweise, in dem sich die Kellerabteile der Mieter und die Technik befinden. Hierhin führen jeweils zwei aussen liegende Zugänge sowie private Treppen in den einzelnen Wohneinheiten.


Konzept: Regional und nachhaltig

Regionalität und eine umweltbewusste Bauweise prägen die Neubauten. «Ja, man kennt sich», sagt Holzbautechniker Fehr. Er bezieht sich damit auf die anderen Unternehmer, die beim Projekt mitarbeiteten. Die meisten kommen aus Winterthur und der nahen Umgebung. Es war der Bauherrschaft ein Anliegen, regional ansässige Handwerker zu engagieren. Mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach und fünf Erdsonden für die Wärmeenergie leistet das Bauwerk zudem einen Beitrag zur 2000-Watt-Gesellschaft.

Quartiertreff: Pavillon im Zentrum

Wie die Reihenhäuser ruht auch der überhöhte Pavillon auf einem Untergeschoss-

Sockel in Massivbauweise. Das allseitig auskragende Dach mit einer extensiven Dachbegrünung spendet Schatten in den Sommertagen. Die Westseite und die Südseite mit einer verglasten Pfosten-Riegel-Konstruktion öffnen sich Richtung Quartierspitz. Über das Entrée erschliesst sich der grosse überhohe Saal mit einer Schrankrückfront und die über die gesamte Raumhöhe verlaufenden Glasfassade, die kombiniert ist mit einem Verschattungssystem sowie anthrazitfarbenen Vorhängen. Im Sommer verbinden die Türen in der Glasfassade den Aussen- und Innenraum.

Fazit: Zukunft kann man nicht planen

Es ist eine Weile her, dass sich Architektin Breninek und Holzbauer Fehr zuletzt am Robinienweg trafen. Seit der Übergabe im Herbst 2018 hat das Leben hier seinen Lauf genommen. Die acht Reihenhäuser wurden schnell bezogen, zwei bis drei Personen bewohnen je eines: Kleinfamilien, Pärchen, Jung und Alt leben hier Seite an Seite. Junge Rotbuchenhecken zonieren die privaten Bereiche vor den Hauszugängen, in Hochbeeten werden Gemüsepflanzen hochgezogen, viel Grün dominiert den Aussenraum, hier und da gepolsterte Sitzecken, ein Hasenstall, Velos und Sandkasten – all das zeugt von einer belebten und lebendig genutzten Fläche.

Doch wie ein Objekt tatsächlich von seinen Bewohnern angenommen und genutzt wird, das lässt sich nicht am Schreibtisch planen. Deshalb betrachten Fehr und Breninek auch mit etwas Neugier ihr Bauwerk und das, was sich in der Siedlung seit der Übergabe getan hat. Zum Beispiel beim Aussenraum: Die Eingänge zu den einzelnen Häusern sind alternierend angeordnet – vier befinden sich auf der Ostseite, die anderen vier auf der Westseite. Wer seinen Eingang an der Ostseite hat, der nutzt das Areal auf der Westseite mit Sitzgelegenheiten, und andersherum – so ähnlich dachte es sich die Architektin beim Entwurf. Der alternierende Rhythmus zwischen Eingang und Aussenraum soll Distanz und Raum schaffen zwischen den Mietparteien – zumindest in der Theorie: «Die Einheiten sind mit viereinhalb Metern sehr schmal. Bei dieser Ausgangslage bedeutet das, es wird schnell eng, sobald wir alle Eingänge auf der einen, und alle Sitzplätze auf der anderen Seite planen. In der Planung war die Nähe – besser gesagt: zu viel Nähe – ein wichtiges Kriterium. Durch den Rhythmus schaffen wir Raum für Privatheit.»

Das eine ist die Planung und das andere das, was die Menschen, die in dem Haus wohnen, schlussendlich machen. Hier zwischen Spitz- und Robinienweg sind die Grenzen fliessend. «Wenn ich das heute sehe: Die Distanz wird aufgebrochen. Die Nutzer wollen das gar nicht, die Nähe ist ihnen egal», staunt Breninek. «Die Bewohner leben auf beiden Seiten und haben Ost und West zum Aussenraum gestaltet.» hgw-winterthur.ch

Das Projekt – die Fakten

Objekt: Acht Reihenhäuser und ein Pavillon
Standort: Siedlung Stadtrain in Winterthur (ZH)
Fertigstellung: 2018
Bauherrschaft: HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur, Winterthur
Architektur: Bellwald Architekten AG, Winterthur
Baumanagement: Valda & Partner Baumanagement GmbH, Winterthur
Holzbau: Zehnder Holz und Bau AG, Winterthur
Holzbauingenieur: SJB Kempter Fitze AG, Frauenfeld
Baukosten (BKP 1 – 5): Reihenhäuser und Quartiertreff CHF 5,7 Mio.
Bruttogeschossfläche: Reihenhäuser 435 m2, Quartiertreff 272 m2
Gebäudevolumen: Reihenhäuser 4301 m3, Quartiertreff 930 m3
Holz: 48 m³ fünfschichtige Blockholzplatten (Innenwände und Decken);
54 m³ Duo-KVH (Aussenwände); 300 m² Dreischichtplatten (Wandaussteifung)


Zehnder Holz und Bau AG

1919 übernahm Konrad Zehnder den Holzbaubetrieb Trindler in Winterthur-Hegi. Vier Generationen setzen seither auf eine partnerschaftliche Unternehmenskultur. Zum Leistungsangebot zählen Holzbau, Umbau und Renovation, Innenausbau und Gesamtleistung sowie Unterhalt und Reparaturen. Holzbautechniker Marco Fehr, der als Projektleiter die neuen Reihenhäuser verantwortet, ist Teil der Geschäftsleitung.
zehnder-holz.ch


Bellwald Architekten AG

Die Bellwald Architekten AG mit Sitz in Winterthur besteht aus einem 13-köpfigen Team. Darunter ist Architektin Heike Breninek, Projektleiterin bei diesem Projekt und Mitglied der Geschäftsleitung. Das Architekturbüro versteht sich als universaler Baupartner, der vom Neubau bis zur Sanierung ein breites Leistungsspektrum anbietet. bellwaldag.ch

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