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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

03/2021 Raum und Kilma

AUS.GEZEICHNET

Ufo am Grossmarkt

Das «Mehr!»-Theater am Grossmarkt in Hamburg hatte für die Inszenierung des neuen Harry-Potter-Musicals einen magischen Auftrag zu vergeben. Beim Bau des Theaterpavillons war die Hübscher Holzbau AG aus dem Kanton Schaffhausen von Anfang an mit eingebunden. Ausgezeichnet wurde die silbern glänzende Flugscheibe am Grossmarkt mit dem BDA Hamburg Architektur Preis 2020.

Text PD,SD | Fotos Johan Dehlin

 

«Verrücktheiten sieht man in Hamburg nicht so gerne (...). Wenn aber doch mal ein unbekanntes Architekturobjekt von der Insel landet, begegnet man ihm mit grösster Sympathie», so beschreibt es die Jury des BDA, Bund Deutscher Architekten, anlässlich der Verleihung des BDA Hamburg Architektur Preises für den architektonischen Entwurf aus Grossbritannien.

Das «unbekannte Architekturobjekt» erhielt mit zwei weiteren Projekten den ersten Preis und ist das Werk eines international bekannten Architekturbüros: Carmody Groarke aus London entwarfen den Pavillon aus Holz mit seiner besonderen Haut aus Aluminium. Der Pavillon ist die neueste Ergänzung des «Mehr!»-Theaters und dient sowohl als Ticketschalter als auch als Aufenthaltsraum vor oder während der Theateraufführungen, die im Hauptgebäude laufen. Der Bau kann ausserdem als temporäres Theater mit Raum für bis zu 1200 Gäste genutzt werden.

Seine kreisrunde Form ist seinem Standort am Grossmarkt geschuldet. Die Form des Pavillons ist nämlich auf den Kraftfahrzeugverkehr abgestimmt. So ist für die hunderten Lieferwagen, die jeden Tag auf dem Gelände des Hamburger Grossmarkts unterwegs sind, eine fliessende und ungehinderte An- und Abfahrt gewährleistet.


Rahmen aus gebogenem Brettschichtholz

Konstruiert ist der Pavillon aus einem Rahmen aus Brettschichtholz. Als Fassadenverkleidung kam ein helles, gewelltes Aluminium zum Einsatz, was das Objekt ideal in sein Umfeld aus Lager- und Industriebauten einfügt. Das ist laut BDA-Hamburg-Jury besonders hervorzuheben, da der Pavillon einen magischen Ort kreiert, der «mit seiner Verkleidung die Lichtstimmungen am Hafen» aufgreift. Und auf die bestehenden Gebäude, wie etwa die Grossmarkthalle, anspielt. «Die wellenförmige Aluhaut nimmt die Schwünge von Bernhard Hermkes ikonischer Architektur auf», wie die Jury weiter würdigt. Zur umlaufenden Galerie gelangt man über zwei niedrige Treppen zu beiden Seiten des Eingangsbereichs. Der Hauptraum im Inneren ist wider Erwarten quadratisch und analog zur Fassade mit dem gewellten Aluminium verkleidet. Ein rundes Oblicht in der Mitte lässt grosszügig Tageslicht eindringen.

Holzbau made in Schaffhausen

Statik, Holzaufbau und Konstruktionsdetails sind vom Team der Hübscher Holzbau AG ins Projekt eingeflossen. In enger Zusammenarbeit hat das Holzbauunternehmen aus dem Kanton Schaffhausen den architektonisch einzigartigen Entwurf des Londoner Architekturbüros kreativ und präzise umgesetzt. Die komplette Vorfertigung erfolgte in Beringen – unter Einsatz von CNC-Maschinentechnik, präziser handwerklicher Arbeit, fachkundiger Vorarbeit und Organisation sowie ausgefeilter Logistik und Planung.

Der Pavillon ist ein besonderes Projekt für den Beringer Holzbaubetrieb. Denn die Hübscher Holzbau AG sieht ihre Kernkompetenzen eigentlich in der Gesamtabwicklung von Ein- und Mehrfamilienhäusern, der energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden sowie individuellen Innenausbaukonzepten in Holz – als zuverlässiger Partner vor Ort im Schaffhauser Umland. Aber mit dem Pavillon am Grossmarkt mittlerweile auch für Auftraggeber im Norden Deutschlands. «Die Entfernung war für uns nicht relevant. Abstimmung und gemeinsame Planung, das gilt für mich als entscheidende Vorarbeit für gutes Gelingen», sagt Michael Hübscher, Geschäftsführer der Hübscher Holzbau AG.

Die ersten Gespräche mit den Architekten und dem ausführenden Generalunternehmen fanden im Frühjahr 2019 statt. Hübscher Holzbau erarbeitete ein Statikkonzept und setzte anschliessend die Holzkonstruktion planerisch im Detail um. Der Baubeginn erfolgte im Oktober desselben Jahres – mit dem Ziel der Fertigstellung im Februar 2020.

Durch den terrassenförmigen Umlauf in Silberoptik scheint der Pavillon über dem Boden zu schweben. Technisch gelöst basiert diese Anmutung auf 96 Schraubfundamenten, die 3,5 Meter lang und grösstenteils – mit 2,5 Metern – im Boden verankert sind. Das Setzen der Schraubfundamente war kein ganz ungefährliches Unterfangen. Denn vor der Bohrgenehmigung musste der Kampfmittelräumdienst das Gelände zunächst sichern, um zu verhindern, dass bei den Bohrungen Detonationen verborgener Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst werden könnten.


Tragwerk aus 32 Sparren

Das Tragwerk der Holzbodenplatten besteht aus 32 Sparren, die fächerartig um den Licht-
innenhof nach aussen angelegt sind. Sie sind durch 22 Querstreben je Raster verstärkt. Dieser Bereich wird heute als Restaurant und Eventlokalität genutzt. Darauf aufbauend montierten die Zimmerleute die 32 Wandelemente auf der Aussenkante der Bodenkonstruktion. Auch die Aus- und Eingänge beziehungsweise der Kassenbereich sind in der Vorproduktion exakt vorbereitet worden. Die Dachkonstruktion ähnelt der Bodenkonstruktion. Allerdings sind hier die Sparren mit 80 Zentimetern Höhe und 20 Zentimetern Breite nicht nur aus statischen Gründen massiver angelegt. Sie sind ein architektonisches Detail der Innenraumgestaltung: Die starken, schwarz gestrichenen Balken tragen zur Atmosphäre des Festraums bei. Einfache Holzplatten dienen als Dachfläche und sind mit einer bituminösen Dachabdichtung gegen Wettereinflüsse geschützt. Im weiteren Ausbau wurden die Oblichter für den Lichtinnenhof eingebaut. Anschliessend konnte die umlaufende Terrassenkonstruktion, bestehend aus Galerie und Treppenzugängen, errichtet werden. Den Abschluss bildet die Verkleidung der Holzkonstruktion mit der silbern schimmernden Fassadenhaut.


Magische Kulisse für Musical

Im Innenraum trägt der Mix aus schwarz gestrichenem Holz, Lichteffekten und Aluoptik der Wellenbleche zu einer festlich-modernen Atmosphäre bei. Hinzukommen der rote Boden und die von den Balken herabhängenden Leuchten. Ein idealer, fast schon magischer Ort, der wie gemacht ist für das Musical, das unweit des Pavillons auf der Bühne des «Mehr!»-Theaters läuft: «Harry Potter und das verwunschene Kind». Beziehungsweise laufen soll, denn aufgrund der Pandemie wurde die Premiere auf den Herbst 2021 verschoben. mehr-theater.de


Hübscher Holzbau AG

Die Geschichte des in Beringen (SH) ansässigen Familienunternehmens geht auf das Gründungsjahr 1951 zurück. 2018 übernahm Holzbauingenieur Michael Hübscher in dritter Generation die Leitung der Hübscher Holzbau AG. Der Holzbaubetrieb beschäftigt rund 65 Mitarbeitende in den Bereichen Holzhausbau, Umbau und Sanierung und Innenausbau.
huebscher-holzbau.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Neubau Pavillon für Kultur und Gastronomie
Standort: Hamburg (DE)
Bauherrschaft: «Mehr!»-Theater, Hamburg
Baustart: Oktober 2019
Fertigstellung: Holzbau Dezember 2019, Innenausbau Februar 2020
Architektur: Carmody Groarke, London (GB)
Statik, Holzbauplanung und Umsetzung: Hübscher Holzbau AG, Beringen (SH)
Nettogeschossfläche (SIA 416): 500 m2, bei einem Durchmesser von 32 m
Holz: 67 m3 OSB 3, 1870 m2 3S-Platten, 144 lfm Latten, 27 m2 KVH-Duo,
120 m2 BSH GL24h Sicht, 67 m3 BSH GL24h Industrie

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