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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

3/2022 Zeitgemäss

BAU.WERK

Urban gedacht

Es sollte ein unkonventionelles Bauprojekt werden. Und in der Tat, die Dachaufstockung in Basel ist in jeglicher Hinsicht speziell. Die Eigentümer, ein junges Elternpaar mit vier kleinen Kindern, hat dabei tatkräftig mitangepackt.

Text Susanne Lieber | Fotos Armin Schärer, Ines Blank, Weisswert | Pläne Atelier Atlas Architektur GmbH

 

In Basel wird es eng. Wie in vielen Städten fehlt es an Wohnraum. Und wenn Projektentwicklungen am Stadtrand scheitern, bleibt nur der Vorstoss in die Vertikale. Wie das konkret ausschauen kann, zeigte 2016 die Studie «Das Basler Dach». Initiant und treibende Kraft: Lukas Gruntz. Der junge Architekt und Leiter der Arbeitsgruppe entwickelte zusammen mit sechs Mitstreitenden – darunter Céline Dietziker, mit der er inzwischen ein Architekturbüro führt – ein Dachaufstockungssystem in Holzbauweise.

Das Konzept stiess auf Interesse. Auch bei Ines Blank und Christian Beck-Wörner. 2014 hatten die beiden in Basel ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus im Stadtteil St.Johann gekauft. Damals bewohnten sie mit ihren drei kleinen Kindern die beiden unteren Etagen, das Dachgeschoss hatten sie an eine andere Familie vermietet. 2019 – das vierte Kind war bereits im Anmarsch – entschlossen sie sich, das Gebäude nach oben hin mit drei Geschossen in Holzbauweise zu erweitern. Ganz nach dem Vorbild des «Basler Dachs». Entsprechend konnte die Aufstockung des Hauses auch in bewohntem Zustand erfolgen. Ein Aspekt, der Lukas Gruntz bei seinem Konzept sehr wichtig war. Die innerstädtische Nachverdichtung sollte sozial verträglich umsetzbar sein und keine «Entmietung» rechtfertigen dürfen. Bei Erweiterungs- oder Ersatzneubauten ist dies leider ein gängiges Prinzip; dabei geht bezahlbarer Wohnraum sukzessive verloren.


Holzbau im Höhenflug

«Das Basler Dach» basiert auf der Idee, Aufstockungen in Holz auszuführen, was gleich mehrere Vorteile hat: Zum einen kann die Tragstruktur weitgehend vorgefertigt und die Bauzeit dadurch erheblich verkürzt werden. Die Fertigbauelemente sind bereits in wenigen Tagen montiert. Das schont nicht nur die Nerven von Mietern und Nachbarn, sondern verstopft auch nicht unnötig die städtische Infrastruktur. Zum anderen ist Holz als Baustoff bekanntlich um ein Vielfaches leichter als Beton oder Stahl. Und Gewicht spielt bei einer Aufstockung eine massgebende Rolle. Muss der Bestandsbau in Sachen Statik aufwendig nachgerüstet werden, wird es teuer und bisweilen kompliziert. Gänzlich lässt sich eine statische Ertüchtigung aber kaum vermeiden. Auch bei diesem Bauprojekt nicht. Zumal Basel stark erdbebengefährdet ist, was erhöhte Sicherheitsvorkehrungen verlangt. Ob sich in naher Zukunft ein so verheerendes Beben wie 1356 wiederholt, bleibt zwar abzuwarten. Gewappnet sein muss man aber allemal. Für das Bauvorhaben der jungen Familie bedeutete das unter anderem: Das Fundament der Brandschutzmauern, auf denen das Holztragwerk statisch ruht, musste nachbetoniert werden.


Städtisches Flair auf drei Etagen

St.?Johann ist nicht gerade das, was als liebliches Stadtviertel bezeichnet wird. Im Norden Basels gelegen, ist es von industriellem Charakter geprägt. Direkt hinter der Gründerzeitbebauung, in die sich auch das Eigenheim der sechsköpfigen Familie einreiht, steigt der Schlot des IWB-Heizkraftwerks empor. Dagegen wirken die Häuser, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, wie ein Bollwerk der Wohnlichkeit. Ein urbanes Spannungsfeld, das die junge Bauherrschaft aber durchaus schätzt. Doch wie stockt man auf, inmitten einer so heterogenen Bebauung? An was orientiert man sich hier formal? «Die Aufstockung sollte sich nicht unterordnen, sondern vielmehr behaupten. Sie löst sich deshalb selbstbewusst von den umliegenden Gebäuden», erklärt Lukas Gruntz das architektonische Konzept. Entstanden ist dieses übrigens gemeinsam mit der Bauherrschaft, in enger und gar freundschaftlicher Zusammenarbeit.

Auch das Raumprogramm wurde gemeinsam und im intensiven Austausch entwickelt. Und so ist eine Maisonettewohnung entstanden, auf deren unterer Ebene sich Schlafzimmer und ein Bad befinden. Auf der oberen Ebene dominiert ein grosser Wohn-/Essbereich mit offener Küche. Erweitert werden die Geschosse jeweils mit Balkonen, die sich rückseitig über die gesamte Gebäudebreite erstrecken. Von hier aus lässt sich auf das städtische Treiben blicken, dem man sich schwer entziehen kann.

Wer die beste Aussicht geniessen möchte, muss über eine Luke nochmals ein Stockwerk hinauf. Vom dritten Dachgeschoss – ein ungedämmter Raum, der als Hitzepuffer dient – erschliesst sich eine gedeckte Loggia beziehungsweise ein weiterer Balkon.

In Übergangszeiten wird der Estrich als sogenannter Bonusraum genutzt. Hier wird gespielt, getobt und geschaukelt, was das Zeug hält. Und sollte später jemals Bedarf bestehen, lässt sich der stützenfreie Raum mit überschaubarem Aufwand ausbauen.


Ein Engagierter Zimmermann

Vision und Planung sind eine Sache. Am Ende kommt es aber auf die Umsetzung an. Und dafür wurde Urs Arlt ins Boot geholt. Der passio­nierte Zimmermann hat schon viele Dachaufstockungen begleitet. Sogar in unmittelbarer Nachbarschaft, in der er selbst auch wohnt. Nach Abschluss der Planungsphase und der Baueingabe des Architekten wurde das Projekt also vertrauensvoll in seine Hände gelegt.

Die Tätigkeit des Zimmermanns ging dabei weit über das übliche Mass hinaus. Denn er errichtete nicht nur das Tragwerk und stand täglich auf der Baustelle, er koordinierte auch alles, was die beteiligten Gewerke anging – vom Sanitär bis zum Gussboden. Die meisten Handwerker kannte er schon. Auch Rücksprachen mit Nachbarn und Behörden gehörten zum Pensum. Er war quasi Schnittstelle für alle und alles. Und sorgte so dafür, dass das Projekt auch in «schlanker» Besetzung gelang.

Insgesamt war das Budget eher knapp kalkuliert. Wo immer möglich, musste deshalb auch das junge Bauherrenpaar ran. Vor allem der Familienvater, der sonst als Lehrer arbeitet und seine Ferien investierte, wurde hierbei ordentlich eingespannt. Er hat bei allem geholfen, ob beim Betonieren der Fundamente im Untergeschoss oder beim Innenausbau. «Christian hat quasi wie ein Angestellter für mich gearbeitet», so der Kommentar des Zimmermanns. Eine Zusammenarbeit, die hervorragend funktionierte. Überhaupt lief der Bau recht reibungslos ab.

Holz so weit das Auge reicht

Früher hatte Arlt einen grösseren Zimmereibetrieb. «Aber ich gehe langsam auf die Pensionierung zu», erklärt der 59-Jährige amüsiert. Die Produktion der Holzbau­elemente konnte er deshalb nicht selbst stemmen. Stattdessen übernahm die PM Mangold Holzbau AG aus Ormalingen (BL) die Fertigung. Bei den vorproduzierten Wand- und Decken­elementen handelt es sich aber nicht um Fertigelemente, wie man sie üblicherweise kennt. «Ich nutze gerne Balken aus Brettschichtholz, die nur einseitig mit Dreischichtplatten belegt sind. Statisch ist das ausreichend und gleichzeitig nicht so schwer», erklärt Urs Arlt. Als Brandschutzmauern wurden ebenfalls Holzbauelemente eingesetzt, aber natürlich rundum mit Gips­faserplatten verkleidet.

Der Baustoff Holz ist omnipräsent. Und das war ausdrücklich so gewünscht. Die Wände und Decken sind mit Massivholzplatten aus Tanne belegt, die Oberfläche wurde hierbei nur geseift. Das natürliche Material sollte überall sicht- und erfahrbar bleiben und sich keinesfalls hinter Verkleidungen verstecken. Holz und Handwerk werden hier zelebriert, und zwar in jeglicher Hinsicht. So dürfen beispielsweise die alten Wohnungstüren der unteren Geschosse, die den erhöhten Brandschutzvorgaben nicht mehr entsprachen, heute in der Maisonettwohnung wieder ihren Charme versprühen. Liebevoll aufgearbeitet und mit Ölfarbe gestrichen, sind sie in der modernen Wohnung ein schönes Relikt aus der Vergangenheit. «Für uns war klar, dass Alt und Neu nicht voneinander getrennt werden sollen, sondern vielmehr miteinander verwachsen dürfen», erklärt Architekt Lukas Gruntz die Gestaltungsidee hinter diesem Bauprojekt. Und das ist übrigens – so sei an dieser Stelle verraten – sein äusserst gelungenes Erstlingswerk. 

Atelier Atlas Architektur GmbH

Gegründet wurde das Basler Büro Atelier Atlas Architektur 2021 von Lukas Gruntz und Céline Dietziker. Bereits 2016 hatten sie zusammengespannt und mit einer Arbeitsgruppe ein Konzept zur Nachverdichtung in Basel entwickelt («Das Basler Dach»). Beide sind als Redakteure bei Architektur Basel tätig. Céline Dietziker ist zudem Stiftungsrätin bei Architektur Dialoge, Lukas Gruntz Mitglied der kommunalen Kommission für Denkmalsubventionen.
atelier-atlas.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Dachaufstockung (Mehrfamilienhaus)
Standort: Basel
Bauherrschaft: Ines Blank, Christian Beck-Wörner
Fertigstellung: 2021
Geschossfläche (SIA 416): 250 m2
Gebäudevolumen (SIA 416): 690 m3
Architektur: Atelier Atlas Architektur GmbH, Basel
Bauleitung: Urs Arlt, Zimmeria St. Johann, Basel
Holzbauingenieur: Büro für Bau und Holz, Basel
Holzbau: PM Mangold Holzbau AG, Ormalingen (BL)
Holz: Balken aus Brettschichtholz, Dreischichtplatten (Tanne geseift)
Baukosten: CHF 900 000

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