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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

3/2022 Zeitgemäss

Stand.punkt

«Vielleicht sollte man ganze Büros weiterbilden»

Die Baubranche muss einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der nationalen Klima- und Energiepolitik leisten. Nur: Verfügen die Architekturschaffenden und Planenden über die nötigen fachlichen Kompetenzen? Einschätzungen von SIA-Präsident Peter Dransfeld und Architekturprofessor Peter Schürch.

Interview Nicolas Gattlen | Fotos zVg

 

Herr Dransfeld, Herr Schürch, Sie haben sich beide früh in Ihrer Karriere mit dem Holzbau auseinandergesetzt und bauen seit Jahrzehnten hauptsächlich mit Holz. Woher stammt Ihre Begeisterung für diesen Baustoff?
Peter Schürch: Sie wurde mir wohl schon in der Kindheit mitgegeben. Meine Mutter ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, in einem Bauernhaus aus Holz. Dort haben wir viele Arbeits- und Ferientage verbracht. Die Maserungen, der Duft des alten Holzes, die Laube und die mächtige Dachkonstruktion faszinierten mich. In meinen ersten Berufsjahren arbeitete ich jedoch zu viel mit Beton. Das ging mir gegen den Strich und bewog mich, mein eigenes Büro zu gründen. Ich wollte den Beweis erbringen, dass man ökologisch bauen kann – ohne den geringsten Abstrich bei der Architektur. Mit Holz, so zeigte sich, ist das möglich.

Peter Dransfeld: Mein Interesse für den Holzbau hat sich in der Studienzeit entwickelt. Ich hatte das Glück, bei Thomas Herzog in München praktizieren zu dürfen. Thomas Herzog war Professor an der TU mit eigenem Architekturbüro. Er suchte einen modernen Zugang zum Holz, in der Tradition eines Mies van der Rohe. Das fand ich ungemein spannend und motivierte mich, zwei Semesterarbeiten den Holzbauten zu widmen, was in den 1980er Jahren eher untypisch war. An den Hochschulen galt der Holzbau nicht als zeitgemäss oder zukunftsweisend.

Heute wird ihm ein grosses Potenzial zur notwendigen Reduktion der CO2-Emissionen zugesprochen. Hat der Holzbau damit auch an den Hochschulen an Bedeutung gewonnen?
PD: Ich kenne die Studiengänge nicht im Detail. Bei meinen jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stelle ich aber fest, dass sie – im Unterschied zu meiner Generation – einiges an Kompetenz im Bereich Holzbau mitbringen.

PS: Ja, die Hochschulen haben sich diesbezüglich bewegt. Sie vermitteln die Grundkompetenzen für den Holzbau und bieten für Interessierte auch Vertiefungskurse an. Und doch fällt mir auf, dass viele Kolleginnen und Kollegen Mühe haben, voll auf die Karte Holz zu setzen und sich dazu zu bekennen. Man will nicht als «Holzarchitekt/in» oder als «Schule für Holzarchitekt/innen» dastehen. In dieser Hinsicht könnten die Schulen noch mehr machen und den Studierenden eine echte Möglichkeit bieten, sich auf nachhaltiges, zirkuläres Bauen, das Weiterbauen im Bestand und den Holzbau zu konzentrieren. Auch bei der Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Hybridbau sehe ich grosses Potenzial.

Dem zirkulären Bauen kommt eine grosse Bedeutung zu: Die Wiederverwertung von Baustoffen hilft, die Energieaufwände und CO2-Emissionen bei der Erstellung der Gebäude (graue Energie / graue CO2-Emissionen) zu senken. Ist das zirkuläre Bauen ein Thema in der Ausbildung?
PD: Hier stehen wir erst am Anfang. Die Erkenntnis, dass das nachhaltige Bauen mehr umfasst als die Reduktion der Betriebsenergie und die Gewinnung von Solarenergie hat sich erst jüngst durchgesetzt. Doch ich stelle fest, dass die Hochschulen diese Diskussionen aufnehmen. Es werden auch Semesterarbeiten dazu geschrieben. Noch aber wird das zirkuläre Bauen hauptsächlich auf Stufe Forschung und Entwicklung behandelt.

PS: Auch ich stelle fest, dass in diesem Bereich einiges läuft. An der Berner Fachhochschule bieten wir zum Beispiel Nachhaltigkeitswochen für die Eintrittssemester an, u.a. mit Besichtigungen von nachhaltigen Objekten. Am Bauwerk lassen sich verschiedene Querschnittsthemen besser aufzeigen und die Basics des nachhaltigen Bauens schlüssig vermitteln. Was indes noch fehlt, ist eine vertiefte, echte, systematische Auseinandersetzung mit diesen Themen. Es sind übrigens eher die Studierenden, die dies fordern. Von Kolleginnen und Kollegen bekam ich oft zu hören, dass gute Architektur per se nachhaltig sei. Das trifft so nicht zu. Das nachhaltige Bauen erfordert andere, zusätzliche Kompetenzen, neue Ideen, auch eine neue Ästhetik, die in den Medien präsentiert und von den Architekturpreis-Jurys honoriert werden soll.

PD: Vorbilder sind wichtig. Und gerade im Holzbau gibt es viele gute Beispiele, etwa in Vorarlberg oder Graubünden. Dazu findet man auch eine Menge Literatur. Ich empfehle aber, diese Bauten mit den Studierenden oder mit den Bürokollegen zu besuchen und mit allen Sinnen zu erleben, gerade im Winter, wenn sich zeigen muss, dass die Wärmekonzepte funktionieren. Ich selbst habe an Dutzenden Exkursionen teilgenommen, viele von ihnen selber organisiert. Für mich zählen Exkursionen zu den lehrreichsten und prägendsten Weiterbildungen.


Seit mehr als 15 Jahren bietet EN Bau, eine Kooperation aus fünf Schweizer Fachhochschulen, die Weiterbildung MAS in Nachhaltigem Bauen an. Sie, Herr Schürch, haben seit 2006 die Studiengangleitung für das Grundlagenmodul inne. Wie hat sich die Nachfrage entwickelt?

PS: Nach einer ersten Begeisterungswelle ist das Interesse etwas abgeflaut. Insgesamt wurden die verschiedenen CAS-Angebote von 1330 Studierenden absolviert. Bis heute gibt es in unserem Programm 281 MAS-Abschlüsse EN Bau. Lange Zeit verzeichneten wir beim Basismodul CAS Nachhaltiges Bauen etwa 20 Studierende pro Jahr, was natürlich nicht dem Potenzial an Berufsleuten entspricht, die sich solche Kompetenzen aneignen könnten. Erfreulicherweise ist die Teilnehmerzahl dieses Grundmoduls in den letzten fünf Jahren wieder deutlich gestiegen, neu auf etwa 40 pro Jahr. In der Gesamtschau komme ich zum Schluss, dass die Architekturschaffenden und Bauplanenden eher weiterbildungsresistent sind.

Wieso das?

PS: Nun, sie sind zeitlich unter Druck. Das sind die Ärztinnen und Ärzte auch. Im Unterschied zu diesen sind die Architektinnen und Architekten aber nicht verpflichtet, sich regelmässig weiterzubilden. Der SIA könnte hier Druck aufbauen und Weiterbildungen einfordern. Gleichzeitig muss man auch den finanziellen Möglichkeiten der Büros Rechnung tragen. Ein CAS-Modul kostet etwa 5000 Franken, für einen MAS-Abschluss muss man mit 20 000 bis 25 000 Franken rechnen. Viele Architekturbüros sind eher klein und verfügen nicht über die finanziellen Ressourcen, um die Mitarbeitenden zu unterstützen. Vielleicht sollte man in der Weiterbildungsoffensive einen anderen Ansatz wählen und anstelle von einzelnen Mitarbeitenden ganze Büros weiterbilden, das scheint mir lohnender.

PD: Ich nehme da eine liberalere Haltung ein und bin überzeugt, dass sich die Büros die nötigen Kompetenzen auch ohne Pflicht aneignen, weil sie sonst auf dem Markt nicht bestehen. Mit dem revidierten Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen verschieben sich die Prioritäten; die Städte und Gemeinden werden der Nachhaltigkeit künftig mehr Gewicht beimessen, genauso die privaten Investoren und Bauherren. Die Gesellschaft drängt sie in diese Richtung.

Aus- und Weiterbildungen

MAS in nachhaltigem Bauen: Die Lehrgänge (CAS) sind praxisorientiert und ziehen sich über drei bis vier Monate. Mit dem Abschluss des Grundlagenmoduls, vier weiteren Kompetenzmodulen aus dem Programm und einer Masterarbeit können AbsolventInnen ihr Studium mit dem MAS abschliessen. enbau.ch

HFP Experte/-in für gesundes und nachhal­tiges Bauen: Die Sanu feature learning AG bietet neu einen Lehrgang zur Höheren Fachprüfung HFP Expertin / Experte für gesundes und nachhaltiges Bauen an. sanu.ch

Der Lehrgang eco-bau, wird zusammen mit SIA inForm angeboten: Er vermittelt Baufachleuten und Planenden das nötige Grundwissen für die Planung und die Realisierung von ökologischen und gesunden Gebäuden. Mit dem Absolvieren aller vier Grundkurse inklusive Praxisarbeit kann man sich als Fachpartner eco-bau ausweisen.
ecobau-optimierung.events.sia.ch


Tagungskurs von sia/eco-bau: «Netto null und graue Energie – Wege zum klimaneutralen Bauen» (1. November 2022 in Zürich)
Übersichtliche Zusammenstellung von Weiterbildungsangeboten mit Fokus auf Energie-
effizienz, Energiesuffizienz und erneuerbare Energien auf: energieschweiz.ch > Bildung > Weiterbildungsangebote


Peter Schürch

Peter Schürch ist Architekt und Inhaber des Büros Halle 58 Architekten. Zentrale Grundsätze seines Büros sind hohe gestalterische Qualität, die Ganzheitlichkeit sowie der sparsame Einsatz von unproblematischen, nachhaltigen Baumaterialien und Energiesystemen. Peter Schürch lehrt Architektur und Entwurf an der Berner Fachhochschule und leitet den Studiengang CAS Nachhaltiges Bauen für die BFH (EN Bau). Seit 2010 hält er den Jury-Vorsitz des Norman Foster Solar Award.


Peter Dransfeld

Peter Dransfeld ist seit April 2021 Präsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverbands SIA und vertritt damit über 16 000 Fachleute aus den Bereichen Architektur, Ingenieurbau, Technik und Umwelt. Der Architekt ETH SIA hat seit 1994 ein eigenes Architekturbüro. Er hat sich intensiv mit Energiefragen auseinandergesetzt, verfügt über breite Erfahrung beim Um- und Neubau von Null- und Passivhäusern und war unter anderem Vorstandsmitglied bei Swissolar.

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