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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

02/2019 Reflektiert

Lebens.raum

Zu Gast in Hergiswald

Im Wallfahrtsort Hergiswald verbindet das neue Gasthaus verschiedene Lebensvorstellungen miteinander – architektonisch wie ideell. Der neue Holzbau in Strickbauweise steht auf den alten Grundmauern und erinnert an den Vorgängerbau.

Text Gion A. Caminada, SD | Fotos Tschopp Holzbau AG, Christian Kathriner, Martin Wittwer (freitreppe.com) | Pläne Gion A. Caminada

Hergiswald liegt an erhöhter Lage oberhalb von Kriens. Der Ort besteht aus mehreren Bauten, die am Rande einer Waldlichtung aufgereiht sind. Das Prunkstück der Anlage ist die Wallfahrtskirche. Für das kulturelle Verständnis des Ortes sind auch die weiteren Bauten, die aussergewöhnliche Geologie sowie die Spuren in der Topografie von Bedeutung. Der Kartäuser Johannes Wagner soll sich im 15. Jahrhundert hier niedergelassen haben. Daraufhin wurde Hergiswald zu einem beliebten Wallfahrtsort. Das heutige Interesse für den Ort ist offener und breiter. Hergiswald vermag – unabhängig von verschiedenen Lebensvorstellungen – die Besucher zu berühren.

Die Albert Koechlin Stiftung erwarb im März 2002 die Kirche, das Gasthaus Sonne und das Ökonomiegebäude von der Kapellenstiftung Hergiswald im Baurecht. Nach der Restaurierung der Kirche wurde nun das Gasthaus durch einen Neubau ersetzt. Im August 2015 reichte die Stiftung ein Vorprojekt zur Genehmigung ein. Nach einer Bauzeit von rund 18 Monaten öffnete das Gasthaus im April 2019 seine Tore. Die bestehenden Kellermauern blieben als tragende Elemente erhalten. Während im hinteren Teil des Gebäudes die Betonwände bis ins erste Obergeschoss reichen, beginnt der Holzbau im vorderen Restaurationsbereich bereits im Erdgeschoss. Dieser besteht aus einer massiven Holzkonstruktion aus Douglasie, die mit grossen Fenstern ausgestattet ist. Erd- und erstes Obergeschoss sind in Ständerbauweise konstruiert, das zweite und dritte als Strickbau.

Die Bauten und ihre Umgebung

Über die Strasse, die ins Eigenthal führt, erreicht man Hergiswald. Direkt an der Einmündung zum Ort steht, etwas erhöht gegenüber den restlichen Bauten, das Kaplanenhaus. Dieser stattliche Blockbau – mit dem regional häufig vorkommenden Klebedach – bildet den Auftakt zum Ort. Denn von dieser Stelle aus hat der Betrachter freie Sicht auf das Ensemble. Seitlich der etwas abfallenden Strasse steht eine breitgelagerte Stallscheune mit der typischen Ein- und Ausfahrt zur Heubühne. An der Traufseite ist eine Remise angebaut. Von diesem oberen Bereich des Ortes führt ein Weg am Gasthaus vorbei zur Rückfassade und anschliessend zum Hauptportal der Kirche. Ein steiler Fussweg verbindet den Zugang zur Kirche mit dem Kaplanenhaus. Oder man nimmt den Rosenkranzweg, auch Prügelweg genannt, der direkt bei einer Anhöhe unterhalb des Gasthauses endet. An dieser Stelle ist die Präsenz der Kirche besonders eindrücklich. Entlang der Waldgrenze unterhalb der Kirche befindet sich ein Fussweg zur Klause von Johannes Wagner. In einer Höhle, geschützt unter einem Felsvorsprung, soll der Kartäuser gewohnt haben.

Das dominante Element von Hergiswald ist die Kirche. Sie unterscheidet sich durch ihr helles Äusseres von den umgebenden Bauten. Die Wallfahrtskirche entstand aus einer kleinen Waldkapelle und wurde im 17. Jahrhundert vergrössert. Sie gilt als eines der wichtigsten frühbarocken Bauwerke in der Innerschweiz und ist das bedeutendste Loretoheiligtum der Schweiz.

Mehrere Bildaufnahmen zeigen, wie Lebensvorstellungen Hergiswald beeinflusst haben. Als das Pilgern um 1900 etwas an Bedeutung verlor, wandelte sich das Gasthaus zu einer Pension und zu einem Kurhaus. Vor einigen Jahren wurde das Gebäude durch einen Anbau mit Treppenhaus und Nasszellen erweitert. Bei diesen Umbauten sind substanzielle Teile der ursprünglichen Konstruktion nachlässig behandelt worden.

Eine zusammenhängende Struktur – für die Blockbauweise wesentlich – war nicht mehr vorhanden. Eine Ausnahme bilden die Keller: Das Sockelgeschoss aus Naturstein ist in der Struktur sehr gut erhalten und nun Bestandteil des neuen Gasthauses. Früher war die Verwendung von alten Materialien und Bauteilen für das neu zu Errichtende selbstverständlich und nicht selten auch existenziell wichtig. Neubauten wurden oft auf alten Fundamenten gebaut – so auch in Hergiswald, was einerseits Mittel einsparte. Andererseits impliziert der Erhalt der Substanz eine Wertschätzung gegenüber den Erbauern.

Die Räume - autonom und in Beziehung

Das neue Gasthaus ist etwas höher als sein Vorgängerbau. Die von den Bewilligungsbehörden verlangte Wesensgleichheit wird über eine angemessene Sorgfalt im Umgang mit Topografie, Raum, Konstruktion und neuer Funktion gewahrt. Der Blick von Hergiswald zur weiten Landschaft ist eindrucksvoll. Im Entwurf des Gasthauses war die Lenkung des Blicks auf den unmittelbaren Kontext genauso wichtig wie das Panorama. Die räumliche Organisation ist durch die Vielfalt der Nutzungen ziemlich komplex.

Der Zugang erfolgt von der Westseite. Über einen Vorraum betritt der Gast die Mitte des Hauses. Er geht in die Gaststube oder über eine Treppe zum Saal. Im Restaurant gibt es ausschliesslich Fensterplätze. Diese ermöglichen eine freie Sicht zur Kirche, zum unmittelbaren Kontext und zur weiteren Umgebung. Den Abschluss des Restaurants bildet der Kaminraum. Ein Cheminée und die Aussicht zum Wald lassen Erinnerungen an den Vorgängerbau wach werden.

In der Mittelachse des Erdgeschosses führt die Treppe zum von drei Seiten gleichmässig belichteten Saal. Eine gedeckte Veranda im Nebengebäude ergänzt das Angebot für Feierlichkeiten. Eine vom öffentlichen Raum getrennte Treppe führt vom Vorraum des Saales zu den Zimmern im darüberliegenden Geschoss – die vier Gästezimmer sind symmetrisch angeordnet, haben je eine Nasszelle und einen Aussenraum. Ein zweiräumiges Gästezimmer befindet sich zentral im Dachgeschoss. An höchster Lage des Hauses ist die Pächterwohnung. Licht spenden mehrere Dachgauben, die den Blick nach Osten und Westen freigeben. Zum Wald hin liegt ein Balkon – als Kanzel zur Landschaft. Im Erdgeschoss des Hauses befinden sich die Küche sowie die Betriebs- und Lagerräume. Im Umfeld des Gasthauses gibt es verschiedene Aussenräume: eine Tagesterrasse im Eingangsbereich für die Besucher des Restaurants, eine Zwischenterrasse für organisierte Anlässe und eine Gartenebene als Übergang vom Prügelweg zur Kirche und Gasthaus. Diese bepflanzte Fläche bildet einen Übergang in die Landschaft. Ein Hauch der ehemaligen Kurhausatmosphäre lässt sich erahnen.

Der Technik- und der Personalraum befinden sich im Sockelgeschoss. Wie auch die Pilgerstube, die das komplementäre Glied des Wallfahrtsortes darstellt. Die Pilgerstube ist ein Raum der Stille mit einem grossen Fenster mit Blick in den Wald. Die Sitzbank zum Fenster, ein Tisch im Zentrum und eine leere Fläche sind die Elemente dieses Raumes. Der Boden ist mit Stirnholzklötzen belegt; die Wände und die Decken sind mit einem grobkörnigen Lehm auf Schilfrohrplatten verputzt. Das Material soll die Geräusche absorbieren.

Konstruktion und Erscheinung

Das neue Haus steht auf den alten Grundmauern, wobei das Gewicht nicht allein auf der historischen Substanz lagert. Durch rhythmisch angeordnete Holzstützen wird das Gewicht auf zusätzliche Fundamente verlagert. Das Alte und das Neue tragen gemeinsam die neue Last. Die konstruktive Überlagerung vereint die Zeitschichten. Der von Grund auf neue Westtrakt ist in sichtbar belassenem Beton gebaut. Beim Holzbau kam Douglasie aus dem nahegelgenen Wald zum Einsatz.

Die hybride Konstruktion aus Stützen und geschlossenen Wandflächen entspringt der Nutzung der Räume. Im Restaurant und im Saal deuten die grossen Verglasungen zwischen den Stützenreihen von aussen die öffentlichen Räume an. Bei den darüber liegenden Geschossen ist die Wand des Blockbaus geschlossener. Die private Sphäre wird spürbar und die Charakteristik des Strickbaus bekommt ihren der Konstruktion adäquaten Ausdruck. Wesentlich für die Strickkonstruktion sind die Eckverbindungen mit den Vorstössen. Sie haben eine grosse Plastizität. Aus den Regeln und der Gesetzmässigkeit dieses Konstruktionssystems bilden sich Form und Wirkung des Hauses. Die inneren Räume werden durch die Wandvorstösse in den äusseren Flächen sichtbar. Die Strickbauweise ist Konstruktion und Raumbildung zugleich.

Das Konstruieren in Strick war im Alpenraum stark verbreitet, wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten von neuen Holzbauweisen verdrängt. Den Blockbau dennoch in die heutige Zeit zu tragen, war beim Gasthaus Hergiswald eine bewusste Entscheidung, die eine Weiterentwicklung erforderte. Die Wahl für die Strickkonstruktion hat mit dem Vorgängerbau zu tun und mit dem Umstand, dass diese Bauweise im Kanton Luzern weiterhin zu finden ist.

Die Decken sind als Holz-Beton-Verbundsystem konstruiert. Brettstapelelemente und Überbeton sind über Kerben und Holzverbundschrauben verzahnt. Das ermöglicht grosse Spannweiten und leistet durch das Gewicht einen wesentlichen Beitrag zur Schalldämmung. Über dem Saalraum steht ein Hängewerk. Es reicht bis zum Dachgeschoss und leitet die Lasten der aufgehängten Decke des Saales mit den darüberliegenden Geschossen über die grossen Holzpfeiler auf die massive Konstruktion im Untergeschoss. Mit dieser Konstruktion wird der Saal stützenfrei. Der Raum wird sozusagen von der Tektonik entbunden und bekommt dadurch eine eigene Autonomie.

Grundsätzlich ist die gesamte Holztragstruktur vom Erdgeschoss bis ins zweite Obergeschoss auf einen Feuerwiderstand R60 ausgelegt. Im Dachgeschoss sind, entsprechend den VKF-Brandschutzvorschriften BSV 2015, keine Massnahmen an die Tragstruktur in Bezug auf den Feuerwiderstand vorgesehen. Einzig das Hängewerk ist auch im Dachgeschoss auf R60 ausgelegt, da das darunterliegende Geschoss von der Tragfähigkeit dieses Hängewerks abhängt. Im Brandfall können die mittleren Strickwände im zweiten Obergeschoss ausfallen, ohne dass es zu einem Einsturz kommt. Dafür verantwortlich sind die in den Zwischenwänden versteckten Stützen, die erst durch den Ausfall der Mittelwände infolge eines Brands aktiviert werden.

Holz war als Baumaterial gegeben

«Das Spannende bei diesem Bauprojekt war, dass bei der Auftragserteilung das Holz noch im Wald stand. Dadurch konnten wir der Bauherrschaft jeden einzelnen Prozess in der Wertschöpfung zeigen», sagt Ivan Tschopp, Geschäftsführer bei der Tschopp Holzbau AG. Angefangen beim Fällen der Douglasie im Wald im Dezember 2017, weiter zum Auftrennen der Stämme in der Sägerei und zur Produktion der Elemente im März 2018 und schliesslich das Aufrichten des Ständerbaus zwei Monate später und des Blockbaus Ende Juni desselben Jahres.

Die inneren Wandverkleidungen der Strickwände sind aus Douglasie und Weisstanne, die Böden im Restaurant aus widerstandsfähigem Stirnholzparkett. Der Saalboden besteht aus edlen Nussbaumriemen, die Böden in den Obergeschossen aus sinnlich wirkender Douglasie. Holz war als Baumaterial für das neue Gasthaus gegeben. Die Architektur sollte die räumliche Nutzung unterstützen: Offenheit im Gasthaus und im Saal, Intimität und Geborgenheit in den Gästezimmern und in der Wohnung. Diese Vorstellungen haben zur Wahl der Konstruktionen geführt: Massive Stützen mit grosszügigen Verglasungen schaffen helle öffentliche Räume, gestrickte Wände bilden bergende Kammern für das Wohnen.

Hergiswald ist nicht nur ein beliebter Ausflugsort für die Menschen, sondern auch die Heimat einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Um die Stimmigkeit des Ortes zu verbessern, wurden verschiedene Massnahmen im Aussenraum getroffen. Heute existiert die künstliche Aufschüttung beim Übergang des neuen Gasthauses zum Wald nicht mehr. Eine Aufwertung des Waldrandes bieten die neu gepflanzten Laubbäume. Die bestehenden Wiesenflächen wurden extensiviert und mit Elementen der lokalen Kulturlandschaft ergänzt.

hergiswald.ch, gasthaushergiswald.ch

Tschopp Holzbau AG

Tschopp Holzbau wurde 1972 als Einzelfirma durch Alois und Nina Tschopp gegründet. Sieben Jahre später bezog das Unternehmen den Neubau am heutigen Standort in Hochdorf (LU) und wuchs auf zwölf Mitarbeitende an. In den kommenden Jahren folgten diverse Erweiterungen der Infrastruktur und bei den technischen Anlagen. 2002 wurde die Einzelfirma im Rahmen der Nachfolgeplanung zur Tschopp Holzbau AG umgewandelt. Drei Jahre später übernahm Ivan Tschopp die Geschäftsführung, 2008 schliesslich als Inhaber das Unternehmen. 2017 expandierte der Betrieb erneut mit einer Produktionshalle und mit Investitionen in Technik und Logistik. Die Tschopp Holzbau AG ist mittlerweile auf rund 100 Mitarbeitende angewachsen und bietet alles rund um den Holzbau, Umbau und Innenausbau mit Holz an.

tschopp-holzbau.ch


Das Projekt – die Fakten

Objekt: Gasthaus Hergiswald
Standort: Kriens-Obernau (LU)
Baujahr: 2018/?2019
Bauherrschaft: Albert Koechlin Stiftung, Luzern
Architekt: Gion A. Caminada, Vrin (GR)
Projektleiter: Jan Berni
Landschaftsarchitekt: Freiraumarchitektur GmbH, Luzern
Bauingenieur: Conzett Bronzini Partner AG, Chur
Bauleitung und Kostenplanung: Schärli Architekten AG, Luzern
Holzbau: Tschopp Holzbau AG, Hochdorf (LU)
Holzlieferanten: Lang Sägewerk AG,
Hochdorf; Schilliger Holz AG, Küssnacht (SZ); Flückiger Holz AG, Schöftland (AG); Sägewerk Berger, Steffisburg (BE)
Gebäudevolumen SIA 416: 5170 m3
Nettogeschossfläche SIA 416: 1370 m2
Holz: 386 m3 Massivholz, Leimholz und Holzwerkstoffe

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