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05/2018 Mehrgeschossig bauen mit Holz

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Kastanienholz – innovative Ressource aus dem Tessin

Der Einsatz von Laubholz im Bauwesen bietet Entwicklungspotenzial. Buche und Esche gelten als interessante Holzarten – zur Herstellung von Brettschichtholz und anderen Produkten mit herausragenden mechanischen Eigenschaften. Im Tessin wird nun auch die einheimische Ressource Edelkastanie erforscht.

Text und Fotos Dr. Andrea Bernasconi, Federlegno.ch

 

Die Herstellung von technologisch anspruchsvollen Laubholzprodukten hat von der Forschung bis zur breiten Anwendung in der Praxis einen längeren Weg hinter sich. Bereits in den 1980er Jahren wurden in der Schweiz die ersten Tragwerke aus Buchen-Brettschichtholz hergestellt. Doch erst in den letzten Jahren werden sie in grösserem Umfang produziert. Die Definition von diesbezüglichen Standards und Richtlinien ist noch relativ neu und die entsprechenden normativen Grundlagen werden mit etwas Glück in naher Zukunft verfügbar sein.

Wenn man den Blick ins Tessin richtet und sich der dort weit verbreiteten Edelkastanie widmet, ist ein ähnliches Entwicklungspotenzial wie beim Buchen- und Eschenholz erkennbar. Die Kastanien dienten der Bevölkerung in früheren Zeiten als Nahrungsquelle. Auch heute noch ist die Edelkastanie für das Tessin eine wichtige Holzart, die einen grossen Teil der Wälder besiedelt. Doch sie ruft immer mehr nach einer vernünftigen Ausnutzung. Bereits in den 1990er Jahren wurde ein erstes, etwas schüchternes Projekt zur Herstellung von Brettschichtholzträgern aus Tessiner Kastanienholz erarbeitet. Gescheitert ist es letztlich an einer nicht ausgereiften, lokalen Produktionsanlage. Dennoch konnten diese ersten Untersuchungen beweisen, dass sowohl die Idee wie auch der Ansatz nicht falsch sind.

Brettschichtholz aus Kastanie
Im Tessin richtet sich die Aufmerksamkeit seit einiger Zeit vermehrt auf Laubholz und damit auch auf die Kastanien. Die Tessiner Holzkette zeigt ein berechtigtes Interesse an einer besseren Nutzung der heimischen Ressource Wald und wurde damit zum Auslöser eines Prozesses, der unter der Ägide von Feder-
legno.ch eine bessere Wertschöpfung der lokalen Holzproduktion erarbeitet. Dabei wurde festgestellt, dass es im Bauwesen durchaus einen Markt mit Potenzial für ein einheimisches Nischenprodukt gibt. In einer ersten Untersuchung wurde zunächst die effektive Verfügbarkeit der Ressource Kastanienholz eruiert. Das Ergebnis zeigt, dass die Tessiner Wälder über genügend Kastanienholz verfügen, damit dieses in brauchbaren Mengen und nutzbaren Qualitäten produziert werden kann. Mit diesem Wissen wurde nun ein Projekt lanciert, das die Produktion von Kastanien-Brettschichtholz für den Einsatz im Bauwesen als Ziel deklariert.


Lamellenproduktion bis fünf Meter

Um Kastanienholz für tragende Holzquerschnitte verwenden zu können, ist die Produktion von Brettschichtholz eine Voraussetzung. Denn nur durch das Aussortieren und Wiederzusammenfügen der kleineren Teile werden ein angemessener Ertrag und eine brauchbare Qualität des Endprodukts erreicht. Mit einer relativ kleinen, aber sehr modernen, leistungsfähigen und flexibel aufgebauten Produktionslinie wurden zur Produktion der Kastanien-Brettschichtholzelemente Lamellen mit einer Rohdicke von 45 bis 48 Millimetern und einer vorerst auf 175 Millimeter beschränkten Rohbreite weiter bearbeitet. Diese Querschnitte wurden von verschiedenen Tessiner Sägereien in Längen von zwei bis etwa fünf Metern produziert. Die Fertigungsanlage – ursprünglich für die Bearbeitung von Nadelholz konzipiert – erlaubt den kurzfristigen Eingriff in sämtliche Produktions- und Einstellungsparameter. So konnte beispielsweise die integrierte Klebstoffauftragsanlage bezüglich der Klebstoffmengen und Pressdrücke auf die Bedürfnisse des Kastanien-Laubholzes umgestellt werden.

Prüfversuche für weitere Produktion
Für die Entwicklung des Kastanienbrettschichtholzes wurden Bäume aus dem gesamten Kanton Tessin bereitgestellt und in zwei Sägereien eingeschnitten. Die Trocknung der Rohlamellen erfolgte in der Trocknungskammer eines Brettschichtholzherstellers. Dort wurden sie anschliessend nach Festigkeit sortiert. Die Sortierung diente primär dazu, eine grobe Rangordnung der Holzqualität zu erreichen. Im Dezember 2017 konnten dann im Tessin die ersten Brettschichtholzträger aus Tessiner Kastanienholz produziert werden. Es wurden 30 Träger mit Querschnitten bis 480 auf 150 Millimetern und mit Längen bis über 9 Metern hergestellt. Diese Träger nahmen dann den Weg in das waadtländische Tragwerksprüflabor der Hochschule für Wirtschaft und Ingenieurwissenschaften. Dort sind sie in diesem Frühjahr mit weiteren rund 200 Einzelbrettern und 400 keilgezinkten, gestossenen Brettern auf Steifigkeit und Festigkeit experimentell untersucht worden. Die Bruchproben und die Zerstörung des Materials erlauben eine erste Abschätzung der Festigkeit und der mechanischen Charakterisierung. Die Ergebnisse der Prüfversuche dienen nun als Grundlage, um das restliche, noch in Form vor Rohlamellen eingelagerte Material gezielt nach den neu festgelegten Regeln in die Produktion zu schicken.

Aufwertung einer lokalen Ressource
Das Projekt zur Herstellung von Kastanien-BSH aus Tessiner Holz ist ein Beispiel dafür, wie eine lokale Ressource aufgewertet werden kann. Besonders wichtig für das Gelingen ist der tatkräftige Einsatz der gesamten Holzkette, koordiniert von Federlegno.ch. Die ersten Ergebnisse waren zufriedenstellend und es wird erwartet, dass das Kastanienholz aus dem Tessin künftig auch im Bauwesen eine Anwendung finden wird. federlegno.ch