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08/2019 Mitarbeiterbindung

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Mitten durch die Wildnis

Zwanzig Jahre ist es schon her, dass Orkantief Lothar über Europa und die Schweiz zog und dabei eine Spur der Verwüstung hinterliess. Im Naturpark Gantrisch entstand aus dem Sturmholz seinerzeit der Gäggersteg. Doch die Natur hat ihn mittlerweile zurückerobert; er ist morsch geworden. Um den einzigartigen Weg mitten durch die Wildnis auch für die Zukunft zu erhalten, bauten 48 lernende Zimmerleute der Sektion Bern nun einen neuen Steg.

Text und Fotos Ramona Ronner | Fotos und Axiometrie Indermühele Bauingenieure

Der Naturpark Gantrisch ist ein beliebtes Ausflugsziel. Das unwegsame Gelände liegt abseits der breiten Wanderwege in der Grenzregion der Kantone Bern und Freiburg. Seit Juli ist es der Arbeitsplatz für zahlreiche junge Zimmerleute aus der Sektion Bern. Sie bauen dort am Gäggersteg, der vor rund 15 Jahren aus Lotharsturmholz gefertigt wurde. Das mittlerweile in die Jahre gekommene Konstrukt soll einer modernen Version weichen. Mit der Planung für den neuen Steg wurde bereits 2015 begonnen. Das Architekturbüro Patrick Thurston gewann vor vier Jahren den Projektwettbewerb gemeinsam mit Indermühle Bauingenieure. Besonders die Ästhetik der neuen Konstruktion überzeugte die Bauherrschaft. Hoch gebaut und dennoch unaufdringlich bietet der neue Steg breite Wege für die hoffentlich zahlreichen Besucher. Er ist ausserdem mit seinen 258 Metern Gesamtlänge etwa 100 Meter länger als sein Vorgänger.

Der Verein Gäggersteg des Naturparks Gantrisch vergab den Holzbauauftrag an die eigens dafür gegründete Arbeitsgemeinschaft Gäggersteg. Zu dieser schlossen sich die Berger Holzbau GmbH, die Gertsch Holzbau AG, die Honymo Holzbau AG, die Zumwald + Neuhaus AG und U. Zbinden Holzbau zusammen. Zuvor hatten die fünf Zimmereien noch nie alle miteinander gearbeitet, doch sie waren gleich davon begeistert, den Bau des neuen Gäggerstegs gemeinsam zu realisieren. Während der Diskussion entstand die Idee, daraus ein Lehrlingsprojekt zu gestalten. Karin Remund, Bereichsleiterin Naturpark Gantrisch und Leiterin Holzkammer, war schnell davon überzeugt und unterstützte dieses Vorhaben tatkräftig. Ebenfalls Andreas Andermatt, Geschäftsführer der Sektion Bern und Leiter Bildungszentrum Lyss. Er hatte bereits selbst gute Erfahrungen damit gemacht, viele Lernende in ein Bauunterfangen einzubinden, und nahm sogleich die Lehrlingsakquise im Kanton Bern in Angriff.


Einzigartiger Arbeitsplatz

Schnell konnten 48 Lernende für das Projekt Gäggersteg begeistert werden. Die Lernenden kommen aus allen Regionen des Kantons und die wenigsten kannten sich. Nun mussten sie zusammenspannen – sei es beim Abbund in einer der fünf Zimmereien der Arge oder bei der Montage im Naturpark. So auch die drei angehenden Zimmermänner, die an jenem sonnigen Septembertag auf der Baustelle waren, als die Redaktion von «Wir Holzbauer» vorbeischaute. Alle drei sehen es als eine Gelegenheit, selbständig an einem nicht ganz alltäglichen Objekt mitzuarbeiten. «In einem solch aussergewöhnlichen Gelände mitten in der Natur werde ich wahrscheinlich während meiner Lehre nur ein einziges Mal arbeiten können,» freut sich Omid Homajun von der Küpfer Holzbau AG über den speziellen Arbeitseinsatz. Seine Kollegen Mario Bänziger von der Jampen Holzbau AG und Tim Rothenbühler von der Leibundgut Schenk AG teilen seine Begeisterung.


Vereintes Know-how

Begeistert sind auch die Chefs und Mitarbeitenden der fünf Zimmereien der Arge Gäggersteg. Die Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft funktioniere grossartig, sagt Hans-Rudolf Berger, Geschäftsführer der Berger Holzbau GmbH: «Man lernt sich ganz anders kennen und merkt: Denen geht es genauso wie uns. Wir schlagen uns alle mit den gleichen Dingen herum.» Er schätze ausserdem den Input sehr: «Jeder bringt sein eigenes Know-how ein. So ergänzen wir uns super und können auch den Lernenden viel mit auf den Weg geben.» Der Weg soll bis Ende November, möglichst noch vor dem ersten Schnee, fertiggestellt sein. Der Zeitplan scheint bisher gut aufzugehen und der geplanten Eröffnung im Frühling 2020 sollte somit nichts in die Quere kommen. Mit dem neuen Steg wird den Besuchern dann nicht nur die Natur nähergebracht, er soll auch aufzeigen, wie leistungsfähig und innovativ einsetzbar der einheimische Werkstoff Holz ist. Mindestens die Hälfte des Tannen- und Fichtenholzes wird von Burgergemeinden aus der Region gespendet. Die Geländerabdeckung ist aus Lärchenholz gefertigt.

Millimeterarbeit im Gelände
Damit alle Bauteile für den Steg sicher vom Zwischendepot in das unwegsame Gelände transportiert werden konnten, wurde eigens eine mobile Seilbahnanlage durch Fachspezialisten montiert. Helikopterflüge mussten auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden. Das Versetzen der Laufstegelemente inklusive Geländer erfolgte mit einem Rauppenbagger. Da es nicht möglich war, die Montagearbeiten mit einer Hubarbeitsbühne im Gelände auszuführen, wurde ein Montage- und Sicherheitskonzept mit einem Spezialisten und der Unterstützung der Suva (Peter Meier, Arbeitssicherheit) erarbeitet. Somit war sichergestellt, dass die Mitarbeitenden die Arbeiten in der Höhe sicher und flexibel ausführen konnten.

Eine Stegbreite besteht aus jeweils vier Paketen à vier Brettern (5/22 cm), die mit Eichendübeln verbunden sind. Die Pakete wurden mittig auf die Böcke abgelegt und anschliessend von Hand mit Elementgurten einmal nach links und einmal nach rechts in die Position versetzt. Die Bodenelemente sind bei den Stössen verzahnt ausgeführt. An der tiefsten Stelle ist die 53-teilige Bockkonstruktion lediglich 70 Zentimeter hoch, an der höchsten misst sie 8,5 Meter. Beim Zusammenfügen mussten die Elemente dann jeweils von Hand justiert werden. Herausfordernd war das Fundament: Zum einen ist das Gelände abschüssig, zum anderen ist die Dichte des Erdreichs von ungleichmässiger Beschaffenheit. So mussten die Positionen der Schraubfundamente mit millimetergenauen Messgeräten eruiert werden. Da der Baugrund sehr inhomogen ist, kamen Schraubfundamente mit unterschiedlichen Durchmessern und Längen zum Einsatz, um die erforderliche Tragfähigkeit zu gewährleisten. Insgesamt wurden 212 Schrauben mit Längen zwischen 1,3 und 3 Metern verbaut.


Für die Zukunft gebaut

Längs verlaufende Spalten im Laufsteg und Bleche, die so konstruiert sind, dass Wasser gut abfliessen kann, beugen Witterungsschäden vor. Das Holz und die metallenen Verbindungsplatten sind unbehandelt belassen. Bildet sich aussen Rost, bleiben die Metallplatten im Innern intakt. «Ausserdem ist der Steg so gebaut, dass einzelne Teile jederzeit gut ausgewechselt werden können», sagt Andermatt. Damit sollte der neue Gäggersteg noch lange bestehen bleiben – 20 Jahre sind das Ziel. «Wir sind zuversichtlich, dass er auch noch danach in einem guten Zustand sein wird,» sind sich Andreas Andermatt und Hans-Rudolf Berger einig. Rund um den Steg wird die Fläche nach den Bauarbeiten renaturiert. Weil sich das Bauwerk bis zu über acht Meter über dem Boden befindet, können die Besucher aber noch eine ganze Weile über die Baumkronen und Gebüsche hinwegschauen. Bis irgendwann auch der neue Steg wieder in der Natur verschwindet.
gantrisch.ch, berger-holzbau.ch, gertsch-holzbau.ch, honymo-holzbau.ch, zbinden-holzbau.ch, zumwald-neuhaus.ch

Gäggersteg

Projekt: Ersatzneubau Gäggersteg als Lehrlingsprojekt, Naturpark Gantrisch (BE)
Bauzeit: Juli bis November 2019
Bauherrschaft: Naturpark Gantrisch, Verein Gäggersteg
Architektur: Patrick Thurston Architekturbüro, Bern
Ingenieurleistung: Indermühle Bauingenieure, Thun
Holzbau: Arge Gäggersteg mit Berger Holzbau GmbH, Gertsch Holzbau AG, Honymo Holzbau AG, U. Zbinden Holzbau und Zumwald + Neuhaus AG
Holzart: 150 m3 einheimische Fichte/Tanne, vereinzelt Lärche
Gesamtlänge: 258 m