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04/2021 Stall mit Aussicht

BAUEN

Stall mit Aussicht

Auf dem «Bödeli» hoch über Landquart haben sich die Brüder Martin Philipp und Urs Philipp einen eigenen Stall gebaut. Wenn schon, denn schon, sagten sie sich und beauftragten die Bianchi Holz- und Treppenbau mit dem Projekt. Der Stall nach Mass fällt auf: Weit strahlt er über die Bündner Herrschaft und setzt für Landwirte, Architekten und das Tierwohl hohe Massstäbe.

Text Sue Lüthi | Bilder Claudia Reinert | Pläne Casanatura

 

«Das war eine Riesengaudi, als die Rinder im Herbst das erste Mal in den Stall zogen!», sagt Roman Gabathuler begeistert. «Drei waren bereits oben und sie riefen den andern schon von Weitem zu.» Im Stall suchte sich jedes sein Plätzchen und sogleich kehrte Ruhe ein. Das sei ein gutes Zeichen. Im alten Stall war ein «Hi- und Härete», so der Bündner Holzbautechniker und Architekt in seinem Dialekt.


Das riesige Gebäude, das sich auf den einzig ebenen Flecken im steilen Hang oberhalb von Mastrils bei Landquart (GR) gesetzt hat, ist vom ganzen Tal gut zu sehen. Es steht quer zum Hang, hält den Rücken gegen den nördlichen Wald und eine offene Fassade Richtung Süd. Die Bauherren, die Brüder Martin Philipp und Urs Philipp, haben vor elf Jahren ihre Berufe an den Nagel gehängt und sich für die Landwirtschaft entschieden. Sie betreiben Biomast und Zucht mit Rindvieh und unterhielten bisher zwei Ställe an verschiedenen Orten, einer davon war ein Mietstall. Als seine Pacht ablief, entschieden sie sich für einen Neubau.


Mathematik mit Rindviehgrössen

Roman Gabathuler arbeitet bei der Casanatura GmbH, der Planungs- und Architekturabteilung der Bianchi Holz- und Treppenbau AG. Mit viel Engagement stellte er sich der Aufgabe, alle Bedürfnisse von Mensch und Tier optimal unter ein Dach zu bringen. Einen Stall zu planen, beginnt mit Rindviehmathematik: Eine Milchkuh ist eine Grossvieheinheit, genannt GVE, 10 Kühe = 10 GVE. Tiere der Rindergattung, die über 730 Tage alt sind, entsprechen 0,6 GVE, das heisst 28 Stück = 16,8 GVE und so weiter. Das Resultat ist, dass im Stall der Philipps total 100 Tiere aller Grössen leben, in der Viehfachsprache sind es 46 GVE. Hochgerechnet und multipliziert mit dem Tierwohl, das sagt, wie viel Länge und Breite jedes Tier zum Liegen und Fressen braucht, ergibt das eine bestimmte Fläche.


Im Stall springen die Kälber umher, die grossen Kühe lassen sich gemütlich die Frühlingssonne auf den Bauch scheinen und käuen wieder und wieder. «Sie drängen sich alle in die Sonne», sagt Martin Philipp begeistert. Dass sie oft draussen liegen, sei das beste Zeichen, dass sie alles richtig gemacht hätten. Der Stall ist in seiner Grundform ein Rechteck (20 × 48 Meter) mit einem asymmetrischen Satteldach, in der Mitte eine Strasse, rechts und links gesäumt von Futter auf dem Boden. Ein Acrylglasband erstreckt sich den First entlang und senkrecht durch die Giebelfassade. Es flutet den gesamten Stall mit Tageslicht. Zehn Satteldachbinder im Abstand von 4,60 Meter mit Koppelpfetten bilden die Hallenform, horizontal ist auf jeder Seite ein Heuboden eingezogen. Das Dach ist mit 40 Millimeter starken Sandwichpaneelen eingedeckt. Die kleinere, nördliche Dachfläche wird mit durchgängigen Stützen neben dem First abgetragen. An der südlichen, viel grösseren Fläche zeigen sich offen die Träger und Binder und lassen – zusammen mit der Brüstung der Laube – die Konstruktion wie ein Muster aus Luft und Holz wirken.

 

Die sechs Bedürfnisse der Kuh
In diesem Teil wohnen die grösseren Rinder, die Kälber und die zehn Milchkühe. Zum Kalben kommen die Kühe in die Abkalbebox, wo sie ihre Ruhe haben. Via Kameras können die Bauern das Geschehen im Stall beobachten, die Steuerung des Lichts und der Kamera haben sie auf dem Mobiltelefon immer dabei.


Etwa 15 Kälber albern in der benachbarten Box herum, wie kleine Kinder rempeln sie einander an und rennen hin- und her. Je nach Geschlecht und Gewicht wird ihnen eine Funktion zugeteilt: die weiblichen dienen oft der Zucht, die männlichen werden gemästet und kommen nach etwa zwei Jahren zum Schlachter. Doch bis dahin sollen sie das bestmögliche Leben haben. Sechs Punkte erfüllen die Bedürfnisse einer Kuh: frische Luft, Licht, gutes Futter, frisches Wasser, einen schönen Liegeplatz und ein griffiger Boden. Sind diese sechs Bedürfnisse erfüllt, ist dem Tier wohl, ob drinnen oder draussen. In einem Kaltstall wie diesem herrscht Aussentemperatur. «Im Winter scheint die Sonne bis tief ins Gebäude hinein, bis zum Futter», erklärt Roman Gabathuler den Grundriss. Die Südfassade ist offen, die anderen drei Seiten können mit Hubfenstern geschlossen werden. Vergangenen Winter mass Martin Philipp im Stall minus zehn Grad. «Doch so gesund wie jetzt waren meine Tiere noch nie!», kein einziges war krank oder erkältet.


Luftzug jedoch ist ein Problem. Darum und wegen der Luftreinhalteverordnung war die Standortstudie wichtig. Zusammen mit den Vertretern des Amts für Landwirtschaft Graubünden, der Raumplanung und Pro Natura haben die Bauherren und Roman Gabathuler das Gebäude optimal in die Landschaft gesetzt, die Winde vom Tal und Berg gemessen, Schatten und Sonne berechnet, die Geruchsemissionen berücksichtigt und alles architektonisch so gestaltet, dass das grosse Volumen leicht wirkt und zum Berg passt. Gabathuler ist im Entwurf und in der Projektierung ebenso ausgebildet wie als Holzbautechniker. Gleich zwei Ställe waren 2020 bei den Bianchis auf dem Planungstisch, der eine auf dem Berg, der andere in der Ebene. Die genannten Voraussetzungen bestimmen die landwirtschaftliche Arbeitsweise, die Grösse der Tiere und die Anforderungen an das Gebäude grundsätzlich. Dazu gehören Abklärungen mit den Behörden, da der Bau von landwirtschaftlichen Gebäuden vom Kanton finanziell unterstützt wird und gewisse Auflagen erfüllen muss. Ebenso werden die Bauherren in speziellen Kursen informiert. Zusätzlich haben sich die Planer vom Agronom Christian Manser, der sich auf Kuhsignale spezialisiert hat, betreffend des Tierwohls beraten lassen.


Auf den Betrieb optimiert

Die Matratzen, das sind die strohbepackten Liegeflächen der Tiere, liegen auf Element-Spaltenböden, durch die die Flüssigkeiten in die Grube darunter geraten. Die Gülle und in Mastrils speziell der Mist wird als Dünger auf den umliegenden Alpböden verwendet. In der Mitte liegt ein riesiger Wassertank, der vom Dachwasser gespiesen wird und 80 000 Liter fasst. Dieses liegt bereit zum Löschen, sollte das Gewölbe Feuer fangen. 30 000 Liter des Reservoirs können die Landwirte auch zum Spülen des Stallbodens nutzen. Ferner birgt das Untergeschoss eine Garage für die Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Die Herausforderung für Roman Gabathuler und Erwin Walker, Inhaber der Bianchi Holz & Treppenbau AG, waren einerseits der Entwurf im gesetzten Kostenrahmen und andererseits die kurze Umsetzungsphase nach der Baubewilligung. Das Einsetzen des felsigen Untergrunds als Fundament, das Optimieren des Aushubs, die Tragwerkplanung und die gesamte Projektleitung zeichnen die beiden Holzbauer als umfassende Planer und Handwerker aus.


Im Stall hat jedes Rind seine Box, ausgelegt mit Stroh, das bis zum Ende des Jahres nach persönlichem Rezept des Landwirts geschichtet und gemischt wird. «Das Vieh frisst oder liegt, das ist seine Art», erklärt Martin Philipp. Hier am Berg halten sie kleinere Vieharten, die dem Boden nicht zu arg zusetzen, fünf verschiedene sind es im Moment. Die Kühe werden gemolken, die Kälber säugen die Bauern mit der Flasche. Eine Person kann einen solchen Betrieb allein bewirtschaften. Er kommt am Morgen und am Abend zum Füttern, Melken und Misten. Im Futtersilo lagert das Heu vom Land rundherum, das mit dem Futterkran gepackt und via Kranbahn unter dem First verteilt werden kann. Etwa zwei Heuballen fressen die hundert Tiere täglich. Im Sommer jedoch geht’s raus auf die Alp. Dann ist der Stall leer und die Heuböden werden gefüllt. Klettert die Besucherin dort hinauf und findet den Weg zwischen den Binderkonstruktionen und dem duftenden Heu hindurch, gelangt sie auf die Laube mit einem atemberaubenden Blick ins Rheintal und hinüber zu den weissen Gipfeln der Prättigauer Berge. Dies wäre der siebte Punkt des Tierwohls.
bianchi-treppen.ch, casanatura.ch


Neubau Viehstall

Projekt: Ökonomiegebäude für Biomast und Zuchtvieh
Ort: Umcherer, Mastrils (GR)
Fertigstellung: 2020
Bauherrschaft: Martin Philipp und Urs Philipp, Mastrils
Architektur: Casanatura GmbH, Landquart (GR)
Projektleitung: Casanatura, Roman Gabathuler, Landquart
Holzbau: Bianchi Holz- und Treppenbau AG, Landquart
Holzbauingenieur: Fromm + Partner AG, Landquart
Baukosten: CHF 1,75 Mio.
Holzart und -menge: Fichte/Tanne 288 m3
Gebäudevolumen (SIA 116): 12 750 m3