«Die Zertifizierung bietet neu mehr Spielraum»

Reinhard Wiederkehr hat an den Brandschutzvorschriften mit­geschrieben und damit den mehrgeschossigen Holzbau geprägt. Über die Jahre beobachtete er, wie die Holzkette brach. Als ­Ingenieur und Mitglied mehrerer Verbände engagiert er sich für den Einsatz von Holz und die Zertifizierung.

Interview: Sue Lüthi

Warum soll eine Bauherrschaft mit Schweizer Holz bauen?
Ich bin überzeugt, dass sich die Wertschöpfungskette vom Wald bis zum Gebäude in der Schweiz gut rechtfertigen lässt. Sie hat jahrhundertelang funktioniert. Heute sind Teile davon etwas verloren gegangen. Wir als Gesellschaft sind alle an der Wertschöpfung des Waldes beteiligt, wir pflegen ihn und leisten Arbeit. Es ist meiner Meinung nach falsch, wenn wir den Baum 80 Jahre im Wald pflegen, ihn dann fällen, die Stämme exportieren und das teure Produkt, vielleicht ein Möbel, nachher wieder importieren. So vergeben wir wertvolle Arbeitsschritte.


«Mich freut, mit welcher Selbstverständlichkeit heute mit Holz gebaut wird»


Wo ist die Wertschöpfungskette abgebrochen?
Irgendwo zwischen Waldrand und Verarbeitung. Früher wählten wir im Wald den Baum, der Förster fällte diesen und brachte ihn in die Sägerei. Das Holz trocknete, danach verbaute es die Zimmerei oder Schreinerei. Heute sind die Prozesse viel schneller, das lokale Sägereigewerbe konnte oft nicht überleben. Viele Sägereien sind eingegangen, wegen Nachfolgeproblemen, weil sie ungünstig lagen oder das Kapital für die Modernisierung fehlte. Neue Maschinen sind teuer, es braucht viel Umsatz. Dazu kommen gesellschaftliche Veränderungen: Berufe wie der Küfer oder Wagner sind verschwunden, der Transport hat sich ausgeweitet und ist günstig – es kommt nicht mehr darauf an, wie weit das Holz gefahren wird. Zudem ereigneten sich Stürme und das viele Sturmholz wurde staatlich subventioniert ins Ausland geführt, wo es verarbeitet werden konnte. Das ging leider in die falsche Richtung.


«Der Holzbauer wird zum Botschafter und rückt näher zur Kundschaft»


Welche Funktionen haben Sie bei der Lignum?
Ich habe bei Lignum ein Praktikum absolvierte und musste mich mit Brandschutz beschäftigen – seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich habe mich aus Überzeugung immer für die Verbandstätigkeit eingesetzt und trage dort mehrere Hüte: als ehemaliges Vorstandsmitglied der regionalen Arbeitsgemeinschaft im Aargau und heute als Lignum-Vizepräsident. Das macht meinen Hut politisch und darum war ich daran beteiligt, das Label Schweizer Holz zu entwickeln. In der letzten Überarbeitung des Reglements nahm ich die Perspektive des planenden Ingenieurs ein: Er soll interessiert sein, der Bauherrschaft Schweizer Holz zu empfehlen, das Label soll halten, was es verspricht, und die Verwirklichung möglich sein. Ich konnte zwischen den Positionen der Holzkette vermitteln, damit wir das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren. Das Label ist eine starke Marke, es zeigt, dass die Branche als Gesamtes dahintersteht.


«Wir haben uns neu an der Swissness-Gesetz­gebung orientiert»


Was sind die Neuerungen der Zertifizierung?
Wir haben uns neu an der Swissness-Gesetzgebung orientiert, nach dem Vorbild von Schweizer Schokolade und Schweizer Uhren, auch diese haben Bestandteile aus dem Ausland. Niemand baut hier Kakao an und produziert Metall. So sind gewisse Wertschöpfungsschritte im Ausland oder der Bezug von Teilprodukten aus dem Ausland möglich. Wir haben eine vernünftige Lösung gefunden, die mehr Spielraum bietet. Auch hilft, dass nur Bauteile zertifiziert werden können. Zum Beispiel wenn OSB- oder Holzfaserplatten gewünscht sind, die in der Schweiz nicht mehr produziert werden, kann trotzdem das Gebäude zertifiziert werden. Sonst kämen Alternativen wie Gipsplatten und Mineralwolle zum Einsatz. Damit ist der Nachhaltigkeit nicht gedient. Das Gebäude könnte zertifiziert werden, obwohl weniger Holz verbaut ist. Dies muss jedoch transparent kommuniziert werden. So wird es auch für den Holzbauer interessanter, sich einzusetzen. Er wird zum Botschafter und rückt näher zur Kundschaft.


«Das Label zeigt, dass eine Branche als Gesamtes dahintersteht»


Wie gehen Sie auf die Bauherrschaft zu?
Uns geht es primär darum, überhaupt mit Holz zu bauen. Auch ohne Zertifizierung kommt viel Schweizer Holz zum Einsatz und das ist die bessere Lösung, als mit Beton oder Stahl zu bauen. Umso besser ist, wenn wir die Bauherrschaft zu Schweizer Holz bewegen können, wenn sie den Wert erkennt und sie das Thema unterstützt. Dann startet der Prozess und das Holz findet den Weg in den Werkvertrag.

Was freut Sie heute besonders?
Nach über 30 Jahren als Holzbauingenieur habe ich Freude, zu sehen, wie viele neue und grosse Holzbauprojekte entstehen, ohne dass diskutiert wird. Ich freue mich aber auch über einen eingeschossigen Kindergarten, vor allem deshalb, weil solche Bauten heutzutage mit grosser Selbstverständlichkeit mit Holz konstruiert werden. Ich freue mich darüber, dass als Folge der sechsgeschossigen Holzbauten, die ich mit Herzblut begleitet habe, heute mehrgeschossige Gebäude aus Holz sogar im Gesundheitsbereich normal sind. Die Pflänzchen, die wir gesetzt haben, wachsen!


«Wir sehen: Die Pflänzchen, die wir gesetzt haben, wachsen»


Zur Person
Reinhard Wiederkehr (58) aus Beinwil am See (AG) absolvierte eine Zimmermannslehre, ­­studierte in Biel und erlangte das Diplom als Holzingenieur HTL Fachrichtung Holzbau. Zusätzlich machte er seinen Abschluss als Zimmermeister. 1992 gründete er zusammen mit Peter Makiol das Holzbau-Ingenieurbüro Makiol Wiederkehr AG in Beinwil am See. Seit über ­30 Jahren gilt Reinhard Wiederkehr als ausgewiesener Experte im Bereich Holzbau und Brandschutz. 2015 erhielt er in diesem Zusammenhang die Auszeichnung Cadre d’or HolzBau. Bei Makiol Wiederkehr sind heute 35 Mitarbeitende beschäftigt, die meisten haben eine praxis­bezogene Ausbildung. Reinhard Wiederkehr ist in mehreren Verbänden aktiv: Er ist Vizepräsident der Lignum, Brandschutzexperte VKF, Mitglied im SIA und STV (Swiss Engineering) und seit zwei Jahren im STE-AoC (Swiss Timber Engineers Association of Construction) engagiert, um den Holzbauingenieuren einen Stellenwert in der Holzkette zu geben. holzbauing.ch